Marthe Kretzschmar: Herrscherbilder aus Wachs. Lebensgroße Porträts politischer Machthaber in der Frühen Neuzeit, Berlin: Dietrich Reimer Verlag 2014, 299 S., 10 Farb-, 86 s/w-Abb., ISBN 978-3-496-01494-2, EUR 49,00
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Nachdem dem veristischen Porträt - insbesondere, wenn es aus Wachs geschaffen war - im 19. Jahrhundert sein künstlerisch-ästhetischer Wert abgesprochen und es bisweilen heftig kritisiert wurde, setzte seine kunstgeschichtliche Behandlung im 20. Jahrhundert neue Maßstäbe der Bewertung. Maßgeblich ist noch immer die Studie Julius von Schlossers; kunst- und kulturwissenschaftliche Ausstellungen popularisieren die fachliche Behandlung. [1] Schaulust und künstlerisches Porträt bilden dabei die Eckpunkte, zwischen denen das keroplastische Bildnis seit der Mitte des 16. Jahrhunderts erscheint.
Die ebenso quellen- wie objektbezogene Studie von Marthe Kretzschmar lotet diese Eckpunkte nun für die "Herrscherbilder aus Wachs" neu aus. Sie nimmt dabei insbesondere den politisch-repräsentativen Raum dieser Bilder zwischen 1600 und 1800 in den Blick und behandelt sie im Kontext gattungsübergreifender Staatsporträts und höfischen Zeremoniells. "Die Inszenierung keroplastischer Porträts diente der Imagination einer Distanzüberwindung und scheinbar körperlicher Nähe zum Herrscher und erleichterte dadurch auch, das Herrscherbild zu memorieren" (10).
Zunächst ausgehend von der Annahme, lebensgroße Wachsbildnisse eines Herrschers seien offizielle Porträts politisch-repräsentativer Bedeutung und als Porträtvariante neben Bildnissen der Malerei, Skulptur und Plastik zu verstehen (11), untersucht die Autorin sie im Folgenden vor dem Hintergrund höfischer Residenz- und Zeremonienkultur.
Einem Überblick über den Forschungsstand (14-17) folgt, basierend auf einer Benennung von Bedeutungssphären des Wachsbildnisses nach David Freedberg [2] (u.a. Funeralzeremonien, Votivplastik, Ahnenporträts) deren Analyse. Ausgehend von der funktionalen Trennung der Funeraleffigies vom dem frühneuzeitlichen Wachsporträt nach Wolfgang Brückner, der letzteres als Staatsporträt verstand [3], fügt Kretzschmar schlüssig die Kategorie der politischen Repräsentation hinzu (21-24). Die Erläuterung des Untersuchungsansatzes (25-28) macht die Ausweitung der Untersuchung auf politisch-repräsentative Räume wie den Festsaal und die Rüstkammer deutlich. "Die extreme Übereinstimmung zwischen Abbild und Abgebildetem könnte folglich ein Indiz einer Stellvertreterschaft sein, um die Präsenz des Dargestellten an diesen Orten zu simulieren" (25).
Im Rahmen einer porträttheoretischen Auseinandersetzung (38-60), die für die ästhetische Bewertung von "Ähnlichkeit" interessante Blickweisen zur Funktion und Bedeutung der Wachsporträts eröffnet, erläutert Kretzschmar am Beispiel der marmornen Büsten Ludwigs XIV. den funktionalen, weil örtlich gebundenen Rahmen als grundlegendes Konzept für Herrscherbilder und überträgt dieses auf Keroplastiken.
Dies führt schließlich zu einer Kategorisierung verschiedener Funktionsweisen der herrschaftlichen Wachsbildnisse (61-86), von denen die der Repräsentation und der Memoria als fundamental erkannt werden. Als Wurzeln kennzeichnet Kretzschmar einerseits kleinformatige Wachsbildnisse im Relief und die seit dem 15./16. Jahrhundert in Norditalien geschaffenen polychromen Porträtplastiken (70-78) sowie andererseits die antik römischen pompae funebres bzw. imagines maiores (78-80), die als Repräsentationsbilder der Verstorbenen in das Programm von Trauerarchitekturen eingebunden waren.
Der grundlegenden Funktion der Effigies widmet Kretzschmar ein umfangreiches Kapitel (104-140). Insgesamt erkennt Kretzschmar zur Erklärung der frühneuzeitlichen Effigies das Zusammenwirken von innovativer Orientierung am antiken Brauchtum, bestehenden lokalen Traditionen von Körperrepräsentationen und der spezifischen politisch-historischen Situation (111). Für die Funeralriten der Renaissance ergeben sich daraus motivische Entlehnungen und Modifikationen bereits bestehender eigener Riten. Die seit der Mitte des 16. Jahrhunderts überlieferten Trauerarchitekturen werden im Folgenden anhand einiger Beispiele vorgestellt und damit mögliche Funktionen von keroplastischen Porträtfiguren des Herrschers diskutiert (114-140). Darauf basierend benennt die Autorin abschließend die Liegefiguren des Verstorbenen in den Trauerarchitekturen als "Porträtvariante zur Vergegenwärtigung und Erinnerung an den Verstorbenen durch die Trauergemeinde. Diese Figuren waren losgelöst von rituellen oder staatstheoretisch relevanten Funktionen." (127)
Insbesondere aus der zeremoniellen Präsentation der Ahnen in Form von Wachsbildnissen schließt Kretzschmar nun an die Thesen von Kilian Heck zum räumlichen Bezug genealogischer Darstellungen an. [4] Die genealogische Disposition wird folgend grundlegend für die These, das Wachsporträt diene im Sinne der Monumentalisierung der physischen Präsenz des Machthabers (141-159). Als verwandte Gattungen diskutiert Kretzschmar monumentale Grabmalfiguren ebenso wie die Einbindung des lebendigen Herrschers in ein genealogisches Bildprogramm, welches der Herrscher selbst komplettiert. Hieraus leitet sie nun den Moment der tatsächlichen oder distinguierten Inszenierung von Anwesenheit ab. Mit Bezug zu der eingangs formulierten Abhängigkeit der Funktion vom Ort der Präsentation bindet Kretzschmar diese schlüssig in die Historie von öffentlich zugänglichen Residenzen (150-159), und folgend in den Kontext höfischer Sammlungen und deren Konzepte ein (160-184).
Am Beispiel von Porträtfiguren aus Berlin und Dresden diskutiert die Autorin dann die veränderten Parameter höfischer Repräsentation um 1700 (185-197). Als historischen Hintergrund erarbeitet sie dabei basierend auf Untersuchungen zum höfischen Zeremoniell die Konkurrenz der deutschen Fürstenhöfe um die Rangerhöhung zum König in dieser Zeit. Dieses Bestreben ließ sich, so Kretzschmar, durch die Präsentation einer lebensnahen Wachsfigur und die damit verbundene Zeichenhaftigkeit zum Ausdruck bringen. Im Unterschied zu anderen Porträtgattungen - und hier zeigt sich die Problematik zur eingangs formulierten "Porträtvariante" - wird der Herrscher nun in "seiner physischen Körperlichkeit dargestellt. Dadurch wird, im Kontrast zu den Porträtgattungen, die das reale Erscheinungsbild künstlerisch ausdeuten, mit dem lebensgroßen keroplastischen Porträt nicht nur auf den Dargestellten referiert, sondern sein Körper gleichsam reproduziert." (195)
Ein Wehmutstropfen bei dieser objektnahen Arbeit ist, dass die Bilder (vor allem der Trauerarchitekturen) oft zu klein und in mittlerer Qualität als Reproduktionen zum Abdruck kamen, was jedoch wohl nicht der Autorin anzulasten ist. Die als wichtige Referenzpunkte angeführten Quellen hätte man sich im Original gewünscht, gleichwohl dient die Übersetzung dem Lesefluss. Zudem hätte eine Kapitelnummerierung einzelne Teile stringenter zusammengebunden bzw. hierarchisiert.
Von diesen äußeren Kritikpunkten abgesehen gelingt Kretzschmar in der sprachlich und inhaltlich durchdacht formulierten Studie eine stringente Analyse von Funktionen und Bildwirkungen des keroplastischen Porträts seit der Mitte des 16. Jahrhunderts. Sie eröffnet durch klug gewählte Zitate und zielgerichtete Diskussion aktueller Forschungen neue Sichtweisen, die zukünftig auf die Behandlung des lebensgroßen Porträts aus Wachs, aber auch auf die Bewertung anderer Porträtgattungen Einfluss haben sollten.
Anmerkungen:
[1] Julius von Schlosser: Tote Blicke. Geschichte der Porträtbildnerei in Wachs. Ein Versuch, hg. v. Thomas Medicus, Berlin 1993; Jan Gerchow (Hg.): Ebenbilder. Kopien von Körpern. Modelle des Menschen, Ausstellungskatalog Ruhrlandmuseum, Essen, Ostfildern-Ruit 2002; Frank Matthias Kammel (Bearb.): Charakterköpfe. Die Bildnisbüste in der Epoche der Aufklärung, Ausstellungskatalog Germanisches Nationalmuseum, Nürnberg, Nürnberg 2013, bes. 64-81; Stefan Roller (Hg.): Die große Illusion. Veristische Skulpturen und ihre Techniken, Ausstellungskatalog Liebieghaus, Frankfurt am Main, München 2014.
[2] David Freedberg: The Power of Images. Studies in the History and Theory of Response, 2. Aufl., Chicago / London 1991.
[3] Wolfgang Brückner: Bildnis und Brauch. Studien zur Bildnisfunktion der Effigies, Berlin 1966, bes. 123.
[4] Kilian Heck: Genealogie als Monument und Argument. Der Beitrag dynastischer Wappen zur politischen Raumbildung der Neuzeit, München / Berlin 2002.
Anna Pawlik