Andrew Feldherr / Grant Hardy (eds.): The Oxford History of Historical Writing. Vol. 1: Beginnings to AD 600, Oxford: Oxford University Press 2012, XX + 652 S., 6 Karten, 4 s/w-Abb., ISBN 978-0-19-921815-8, GBP 95,00
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Claudia Deglau: Der Althistoriker Franz Hampl zwischen Nationalsozialismus und Demokratie. Kontinuität und Wandel im Fach Alte Geschichte, Wiesbaden: Harrassowitz 2017
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Regina M. Loehr: Emotion and Historiography in Polybius Histories, London / New York: Routledge 2024
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David M. Gwynn: The Goths, London: Reaktion Books 2017
Steffen Diefenbach: Römische Erinnerungsräume. Heiligenmemoria und kollektive Identitäten im Rom des 3. bis 5. Jahrhunderts n. Chr., Berlin: De Gruyter 2007
James Howard-Johnston: Witnesses to a World Crisis. Historians and Histories of the Middle East in the Seventh Century, Oxford: Oxford University Press 2010
Mit der Oxford History of Historical Writing haben Herausgeber und Verlag ein ebenso ambitioniertes wie überfälliges Projekt realisiert: eine globalgeschichtlich ausgerichtete Geschichte der Geschichtsschreibung. Das auf insgesamt fünf Bände angelegte Großunternehmen verfolgt Historiographie in ihren unterschiedlichsten Ausprägungsformen von den jeweiligen Anfängen bis in die Gegenwart. Der hier anzuzeigende Band umfasst die Zeit bis 600 n. Chr.; der geographische Fokus erstreckt sich von Mesopotamien und Ägypten über den Nahen Osten bis in den Mittelmeerraum, ein zweiter Schwerpunkt umfasst die chinesische und indische Historiographie.
Bücher, die derart übergreifend angelegt sind, stellen stets das Ergebnis von Kompromissen dar - dies ist auch in diesem Fall nicht anders. Wie Daniel Woolf, der federführende Herausgeber der Reihe, eigens betont, wurde (mit gutem Grund) darauf verzichtet, alle Bände in eine vorgegebene Struktur zu pressen, denn Ziel des Unternehmens war "neither an encyclopedia nor a dictionary" (X). Stattdessen wurde den Verantwortlichen für die einzelnen Bände möglichst große Gestaltungsfreiheit eingeräumt. Die Herausgeber des Antike-Bandes haben diese dazu genutzt, ein nützliches Kompendium vorzulegen, das sowohl Einführungen und erste Orientierungen als auch vertiefte Auseinandersetzungen mit Einzelproblemen bietet. Diese Gratwanderung ist allerdings mit einer gewissen Heterogenität der Beiträge erkauft: Routinierte Zusammenfassungen des aktuellen Diskussionsstands, auf die man in Zukunft gern zurückgreifen wird, stehen neben originären Forschungsleistungen.
Piotr Michalowski verfolgt die Entstehung der Schrift in Mesopotamien seit ca. 3200 v. Chr. sowie die allmähliche Herausbildung von Texten, in denen Auseinandersetzungen mit 'Vergangenheit' fassbar sind (5-28); Herrscher erkannten sehr rasch das Potential historiographischer Texte und stellten diese in den Dienst ihrer Repräsentation. Dass trotz des Fehlens einer eindeutig als 'Historiographie' zu beschreibenden Literatur die Auseinandersetzung mit Geschichte dennoch "a central topic of social communication" im Alten Orient war (29), zeigt Mario Liverani auf, indem er in einem chronologischen Durchgang den unterschiedlichen Funktionen vergangenheitsbezogener Texte nachgeht (29-52). Dabei erweisen sich insbesondere seine Ausführungen zu den Unterschieden zwischen der "much more nuanced and problematic, even defensive" hethitischen und der assyrischen Geschichtsschreibung als erhellend (39). Einen Überblick über die sehr vielfältigen materiellen und schriftlichen Formen der Konservierung von Vergangenheit in Ägypten sowie ihre komplexe Interaktion gibt sodann John Baines, der ebenfalls die Rolle von Historiographie für die herrscherliche Repräsentation hervorhebt (53-75). Ein besonderes Glanzstück des Bandes stellen die Ausführungen von John Van Seters dar, der in alttestamentlichen Texten verschiedene Stufen einer Konstruktion bzw. Bearbeitung der Geschichte Israels nachweist und diese als Ausweis komplexer Identitätsfindungsprozesse in unterschiedlichen, zumeist krisenhaften Situationen deutet (76-96).
Insgesamt zehn Beiträge sind der Historiographie in der griechisch-römischen Antike gewidmet. Dabei wurde gezielt versucht, sich von einem klassizistisch eingefärbten Begriff von Geschichtsschreibung als Literatur zu lösen. Dementsprechend beginnt die Reihe der Beiträge mit Robin Osbornes Überblick über "Greek Inscriptions as Historical Writing" (97-121), in dem u.a. das wichtige 'Gesetz' von Dreros und selbstverständlich auch die sog. Tempelchronik von Lindos noch einmal eingehend behandelt werden. Das historiographische Potential der griechischen Dichtung (inkl. der Tragödie) leuchtet Deborah Boedeker aus, u.a. indem sie nachzuweisen sucht, dass auch die ersten 'echten' Geschichtsschreiber (Herodot, Thukydides) "are deeply affected by their poetic predecessors" (136) - letzteres u.a. aufgrund des Sachverhalts, dass poetische Texte vielfach als Quellen herangezogen wurden (122-147). An die Stelle einer Einführung in die Entstehung der griechischen Geschichtsschreibung setzt Jonas Grethlein den Versuch, das Geschichtswerk des Thukydides in wesentlichen Teilen als Dokument einer Auseinandersetzung mit zeitgenössischen rhetorischen Texten zu deuten (148-170). John Dillerys Ausführungen zur hellenistischen Historiographie bieten einen kompetenten Überblick über die wichtigsten Strömungen und Autoren, bei dem allerdings Polybios eine etwas systematischere Behandlung verdient gehabt hätte (171-218). Die Sonderstellung des Josephos innerhalb der antiken Geschichtsschreibung unterstreicht der ausschließlich diesem Autor gewidmete Beitrag von Jonathan J. Price, der insbesondere den Standort des jüdischen Gelehrten innerhalb der antiken Historiographie zu bestimmen sucht (219-243).
Auch die Reihe der Beiträge zur römischen Historiographie beginnt mit Überlegungen zu nicht-literarischen Ausformungen: Alison E. Cooley beschäftigt sich zunächst mit "History and Inscriptions" (244-264), bevor Uwe Walter gekonnt in die Geschichtsschreibung der römischen Republik einführt und diese überzeugend in größere kulturelle (Memoriakultur, griechische Einflüsse) und politische Zusammenhänge einbettet (265-290). Die Auseinandersetzung einzelner Autoren mit der politischen Ordnung des Prinzipats nimmt Ellen O'Gorman zur Richtschnur für ihre Ausführungen zur kaiserzeitlichen Historiographie, die freilich keinen Überblick geben (und daher als Einführung nur begrenzt geeignet sind), sondern einen Beitrag zum vermeintlichen Spannungsverhältnis von Geschichtsschreibung (inkl. Biographie) und Prinzipat in den ersten beiden Jahrhunderten n. Chr. liefern wollen (291-315). David S. Potter hingegen stellt die "Greek Historians of Imperial Rome" in Form einer gelungenen Gesamtschau vor, die sich über immerhin gut 500 Jahre von Diodor bis Priskos von Panion erstreckt, für die Spätphase allerdings allzu kursorisch geraten ist (316-345). Damit ist bereits die Spätantike erreicht, die ebenfalls mit einem Überblicksartikel zur christlichen Historiographie (von Julius Africanus bis zu den Historiographen des 6./7. Jahrhundert), verfasst von Michael Whitby, vertreten ist (347-370).
Besonderen Gewinn hat der Rezensent aus der Lektüre der zehn Beiträge zur chinesischen und indischen Historiographie bezogen, zu denen er sich als Althistoriker allerdings nicht kompetent äußern kann. Hingewiesen sei jedoch auf den wichtigen abschließenden Beitrag von G. E. R. Lloyd, in dem Verknüpfungen zwischen den einzelnen Kapiteln vorgenommen werden, die für die Kohärenz des Bandes insgesamt unverzichtbar sind (601-619). Allen Beiträgen sind nützliche Zeittafeln sowie Quelleneditionen und Literaturhinweise beigefügt.
Insgesamt liegt mit dem ersten Band der Oxford History of Historical Writing ein Grundlagenwerk vor. Die meisten Beiträge stellen als gelungene Überblicksdarstellungen einen willkommenen Ausgangspunkt für weitere Forschungen dar; in einigen Kapiteln finden sich darüber hinausgehende originelle Erörterungen einzelner Sachverhalte, die man in einem übergreifenden Reihenwerk zunächst nicht vermuten würde. Insofern stellt das Sammelwerk in verschiedener Hinsicht eine Fundgrube dar.
Mischa Meier