Louis A. Ruprecht: Classics at the Dawn of the Museum Era. The Life and Times of Antoine Chrysostome Quatremère de Quincy (1755-1849), Basingstoke: Palgrave Macmillan 2014, XXVIII + 272 S., 4 s/w-Abb., ISBN 978-1-137-38407-2, GBP 60,00
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Mit seinem jüngsten Buch beabsichtigt Louis A. Ruprecht, die wissenschaftlichen, theoretischen und kulturpolitischen Leistungen Antoine Chrysostôme Quatremère de Quincys (1755-1849) in ihrer Gesamtheit zu würdigen. Insbesondere die englischsprachige Wissenschaftsgemeinde will er mit den Schriften des aufgeklärten Gelehrten bekannt machen. Basierend auf seiner vorangegangenen Studie zu Johann Joachim Winckelmann, erörtert Ruprecht zunächst die Kontroversen um Kunst und Religion seit der klassischen Antike bis zur Frühen Neuzeit. [1] Darauf folgt eine knappe Biografie Quatremère de Quincys. Den Kern aber bilden dessen zu Lebzeiten erschienene Hauptwerke, die in chronologischer Folge vorgestellt werden.
Quatremère de Quincy ist so unbekannt nicht. Er betätigte sich als Archäologe und Kunsthistoriker und schaltete sich in die seinerzeit hitzig geführten Debatten um die Funktion von Kunst und ihrer Institutionen ein. Das öffentliche Kulturleben gestaltete er aktiv mit, indem er sich unter anderem für Bau- und Restaurierungsprojekte sowie für das Institut de France engagierte. Seine Karriere verlief jedoch keineswegs geradlinig. Da er zeitlebens mit der konstitutionellen Monarchie sympathisierte, geriet er in Gefangenschaft, entging einem Todesurteil und wurde ins Exil nach Deutschland getrieben, aus dem er erst nach der Verkündigung der Amnestie durch Napoleon zurückkehrte. Das nach Edouard Pommier "bewegte Schicksal dieses mit den Kämpfen und Dramen der Revolution so eng verbundenen Mannes" bietet also genug Stoff für umfangreiche Forschungen. [2]
Ruprecht ist indes zuzustimmen, dass mit Ausnahme der Monografien von René Schneider aus dem Jahr 1910 bislang eher Einzelaspekte seines Schaffens ins Blickfeld geraten sind. [3] Namentlich seine kritischen, teils als inkonsistent wahrgenommenen Kommentare zu den durch Friedensverträge "abgesicherten" Raubzügen unter dem Direktorium in Rom und zur Institution des öffentlichen Museums, wie sie in den Lettres au Général Miranda (1796), den Considérations morales sur la destination des ouvrages de l'art (1815) oder in den an Antonio Canova gerichteten Lettres écrites de Londres à Rome (1818) nachzulesen sind, haben die Aufmerksamkeit auf sich gezogen. In den aktuellen, weit über Fachgrenzen hinausweisenden Diskussionen um die illegitime Aneignung und Restitution von Kulturerbe und um die umstrittenen Universalmuseen sind sie zu Schlüsseltexten avanciert, weil sie sich als anschlussfähig für museumskritische, postkoloniale oder marxistische Positionen erweisen. [4]
Hat bereits Jesper Rasmussen kürzlich darauf hingewiesen, dass Quatremère de Quincys historische Bedeutung noch kaum erfasst ist [5], wendet sich Ruprecht nun explizit gegen die Verengung der Forschung auf Streitfragen zu den Wechselwirkungen von Raub, Rückführung materiellen Erbes und öffentlichem Museumswesen, wobei er letzteres durchaus als besonders prägend für die wissenschaftlichen und praktischen Tätigkeiten seines Protagonisten ausmacht. Der Auffassung, dass Quatremère nicht mehr als ein Winckelmann nacheifernder Klassizist gewesen sei, widerspricht er ebenfalls (XX, passim). Ohne die Gemeinsamkeiten im Antikenverständnis beider Gelehrter in Abrede zu stellen, arbeitet Ruprecht daher immer wieder auch Unterschiede heraus. So habe beispielsweise das Augenmerk des Katholiken Quatremère de Quincy der Skulptur ebenso wie der Architektur antiker Tempel und damit auch ihrer ursprünglich religiösen Funktion gegolten, während Winckelmanns Lesart dekontextualisierend gewesen sei, da er sich ausschließlich den Figuren gewidmet habe (123). Nicht nur hier gelingt es Ruprecht dank seines interdisziplinären Ansatzes als Religionswissenschaftler und Experte des Mittelmeerraums, die Besonderheiten des intellektuellen Vermächtnisses von Quatremère de Quincy aufzuzeigen.
Wie einleitend erwähnt, versteht Ruprecht sein Buch in erster Linie als Dienstleistung für anglofone Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen, die kaum Zugriff auf Übersetzungen der Quellen haben. Ganze drei Schriften Quatremère de Quincys wurden zu dessen Lebzeiten ins Englische übertragen. Erst 2012 erfolgte die Übersetzung seiner vieldiskutierten Briefe an Miranda und Canova. Mit dem nun vorliegenden Überblick über die Monografien, Handbücher, theoretischen Abhandlungen, Essaysammlungen und öffentlichen Reden gewinnt die wissenschaftliche, teils an der Tagespolitik orientierte Produktivität Quatremères deutliche Konturen. Gleichermaßen wird sein breitgefächertes Interesse ersichtlich, befasste er sich doch mit klassischer Architektur und Bildhauerei, mit Renaissancekunst ebenso wie mit Künstlern seiner eigenen Epoche. Ruprecht belegt mit seiner Zusammenschau, dass die trotz ihres von einem nicht zu verneinenden Klassizismus und zeittypischen Orientalismus geprägten Schriften jenseits institutionsgeschichtlicher Aspekte auch für die bis heute anhaltenden Diskussionen um Polychromie in der antiken Bildhauerei, um Restaurierungspraktiken oder um Materialität und künstlerisch-technische Verfahren relevant sind.
Hervorzuheben ist Ruprechts Vermögen, seine Leser und Leserinnen souverän durch Quatremère de Quincys vielgestaltiges Erbe zu navigieren. Zu jeder Publikation erteilt er präzise Auskunft über die Struktur, den Veröffentlichungskontext und Argumentationsverlauf. Stets begründet er, warum er Sachverhalte des politischen und kulturellen Zeitgeschehens oder methodisches Vorgehen in seinen quellenkritischen Analysen mehr oder weniger intensiv ausleuchtet. Stets bezieht er sich auf bereits vorgestellte Passagen oder greift späteren Texten Quatremères voraus, sodass die Zusammenhänge der einzelnen Quellen zum Gesamtkorpus und zur Biografie des Autors kontinuierlich vor Augen stehen. Dies führt mitunter zu Wiederholungen, die man jedoch gern in Kauf nimmt. Ruprechts Rückführung einer europäischen Museumskultur ausschließlich auf die Sammlungen in Rom, insbesondere auf die Vatikanischen Museen, leuchtet angesichts seiner Forschungsschwerpunkte zwar ein, blendet jedoch parallele Entwicklungen einer sich dem bürgerlichen Publikum zunehmend öffnenden Sammlungskultur, beispielsweise in deutschsprachigen Ländern des 18. Jahrhunderts, aus. [6] Ungeachtet dieses Einwands hat Ruprecht seinen Anspruch, Quatremère de Quincys wissenschaftliche Beiträge in ihrer Breite zugänglich zu machen und dessen Rolle für die zeitgenössische Altertumskunde und Kunstgeschichte einer nuancierten Diskussion zu unterziehen, zweifelsohne erfüllt. Sein Buch lenkt dabei nicht nur die Aufmerksamkeit auf die Übersetzungsdesiderata, die den internationalen Wissenstransfer nach wie vor behindern. Über das Interesse hinaus, das er bei Vertretern der Archäologie, Kunstgeschichte oder vergleichenden Religionswissenschaften wecken dürfte, ist seine Studie auch aus wissenschaftsgeschichtlicher Perspektive "faszinierend" - um mit einem seiner Lieblingsbegriffe zu schließen.
Anmerkungen:
[1] Louis A. Ruprecht Jr.: Winckelmann and the Vatican's First Profane Museum, New York 2011.
[2] Édouard Pommier: Die Revolution in Frankreich und das Schicksal der antiken Kunstwerke, in: Antoine Chrysostôme Quatremère de Quincy: Ueber den nachtheiligen Einfluß der Versetzung der Monumente in Italien auf Künste und Wissenschaften (1796), hg. v. dems., Stendal 1998 (= Schriften der Winckelmann-Gesellschaft; Bd. 16), 41-84, 42.
[3] René Schneider: Quatremère de Quincy et son intervention dans les arts (1788-1830), Paris 1910; ders.: L'Esthétique classique chez Quatremère de Quincy (1805-1823), Paris 1910.
[4] Vgl. z.B. Daniel J. Sherman: Quatremère/Benjamin/Marx: Art Museums, Aura, and Commodity Fetishism, in: Museum Culture. Histories, Discourses, Spectacles, hg. v. Daniel Sherman / Irit Rogoff, Minneapolis 1994, 123-143.
[5] Jesper Rasmussen: Entre règles et régénération, in: Penser l'art dans la seconde moitié du XVIIIe siècle: théorie, critique, philosophie, histoire, hg. v. Christian Michel / Carl Magnusson, Paris 2013 (= Collection d'histoire de l'art de l'Académie de France à Rome; Bd. 15), 675-697, 675.
[6] Vgl. z.B. Tempel der Kunst. Die Entstehung des öffentlichen Museums in Deutschland 1701-1815, hg. v. Bénédicte Savoy, Mainz 2006.
Andrea Meyer