Wolfgang Reinhard (Hg.): 1350-1750. Weltreiche und Weltmeere (= Geschichte der Welt; Bd. 3), München: C.H.Beck 2014, 1008 S., 55 Abb., 34 Karten, ISBN 978-3-406-64103-9, EUR 48,00
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Wann immer der Versuch unternommen wird, eine Weltgeschichte, Globalgeschichte oder wie auch immer begrifflich gefasste "Geschichte der Welt" zu verfassen, muss man zwischen zwei wesentlichen Herangehensweisen wählen: Entweder man entscheidet sich für prägnante Fallbeispiele, in denen jene Wirkprinzipien und Zusammenhänge, die nach der Annahme eines Autors der "Geschichte der Welt" wesentlich zugrunde liegen, exemplarisch aufgezeigt werden können; um den Preis der Unvollständigkeit können so Wirkgefüge mit größerer Präzision in ihrer idiosynkratischen Ausprägung dargestellt werden. Oder man kann versuchen, tatsächlich möglichst alle Räume und Themen aufzugreifen und damit dem berechtigten Wunsch eines Gesamtüberblicks beziehungsweise einer Universalgeschichte zu genügen, und stellt sich der Gefahr der Oberflächlichkeit und unzulässigen Generalisierung.
Die von Akira Iriye und Jürgen Osterhammel koordinierte, auf sechs Bände angelegte Reihe Geschichte der Welt versucht letzteren Anspruch zu erfüllen: eine thematisch an sich nicht weiter begrenzte, universelle Weltgeschichte räumlich und zeitlich erschöpfend abzudecken. Wolfgang Reinhard, dem Herausgeber des hier rezensierten dritten Bandes, fiel es zu, dies für den Zeitraum 1350-1750 zu tun, wofür er den Titelzusatz Weltreiche und Weltmeere als Aufhänger gewählt hat. Der Darstellung ein klareres Profil zu verleihen müsste - angesichts des von der Reihe vorgegebenen, weiten Feldes - Aufgabe der Einleitung sein, denn auch 1008 Seiten können niemals eine unbegrenzte Weltgeschichte für 400 Jahre bieten. Wie von Wolfgang Reinhard nicht anders zu erwarten, werden dort die Prinzipien (vor-)staatlicher Reichsbildung klar, kompakt und eindrücklich herausarbeitet und eine Ausrichtung auf politische bzw. politisch-ökonomische Geschichte dargelegt. Jenseits dieser Weichenstellung leidet die nur etwa 40-seitige Einleitung jedoch an der Krankheit, die wenig abgegrenzte Themenstellungen herausfordern: nämlich einem zu großen Anspruch auf "globale" oder universelle Gültigkeit der dargestellten Kausalketten und Trendlinien. Immer wieder finden sich widersprüchliche, geradezu herausfordernde, aber in der Kürze natürlich nicht ausargumentierbare Feststellungen, wie "obwohl [...] der Islam in der Theorie mindestens ebenso intolerant ist wie das Christentum" (41), apodiktische Aussagen über die "konsequente Säkularität des modernen [europäischen] Staates" ("überall sonst hingen Religion und Politik viel enger zusammen") (27), sowie Gemeinplätze über den Einfluss des Klimas auf historische Entwicklungen. Auf drei Seiten werden Dschunken, Galeonen und Fregatten gerefft und atlantische, indische und pazifische Ozeanwelten diskutiert. Die zwei Seiten über "Kommunikation" schließen nach Erörterung von Hegemonial- und Kreolsprachen mit sieben Zeilen über Sex "fremder Männer" mit "einheimischen Frauen" als "Kommunikation mit kulturellen Folgen" (47). All das kann leider nicht überzeugen.
Da es also über das Politische hinaus wenig thematische Struktur gibt, ist es der geografische und kulturelle Interaktionsraum, an dem sich der Band orientiert und der seine Gliederung in fünf Hauptbeiträge bestimmt. Die gesamte Welt wird dabei in fünf Kulturräume aufgeteilt, auch wenn eine starke interne Heterogenität und die Existenz ausgedehnterer "Kontaktzonen" als natürlich vorausgesetzt werden. Die fünf Beiträge sind ausnahmslos mit Spezialisten besetzt, deren Expertise vielfach mit der angenommenen "Kernregion" der Kulturräume verbunden ist. Peter Perdue, Chinaexperte, für "Kontinentaleurasien"; Suraiya Faroqi, Expertin für das Osmanische Reich, nimmt sich der islamischen Welt als Ganzes an. Beide Abschnitte bieten gediegene Überblicksdarstellungen der politischen Geschichte, wiederum geordnet nach einzelnen "Reichen", was die recht starke Segmentierung des Raumes auch unter der Ebene der Kulturregionen fortschreibt.
Stephan Conermann, Autor des Abschnitts "Südasien und Indischer Ozean", kann von seiner Publikationsgeschichte her auch auf starke Affinität zum Kommunikationsraum selbst verweisen, weshalb in diesem Beitrag auch die Bedeutung der Verbindungen und Vernetzungen deutlicher hervortritt. Ähnliches gilt für Reinhard Wendts und Jürgen Nagels (Fernuniversität Hagen) Darstellung von "Südostasien und Ozeanien": Hier sind es fast natürlicherweise Kontakt und Interaktion äußerer Akteure mit lokalen Gruppen, die im Mittelpunkt stehen. Mit seinem zeitlich eher auf das Ende der 400 behandelten Jahre gelegten Schwerpunkt hätte er einen guten Abschluss bilden können, um die Veränderungen in "der Welt" von 1350-1750 und die Anbahnung der "Wege zur modernen Welt" (Band 4) zu exemplifizieren - zumal einige der teilweise dort behandelten Räume schon in anderen Kapiteln thematisiert sind (Vietnam) und die Charakterisierung als eigener Block sicher schwächer ist als bei den vorherigen Abschnitten.
Den Abschluss zu bilden fällt jedoch Wolfgang Reinhards eigenem Beitrag über "Europa und die atlantische Welt" zu. Wie schon beim Beitrag über Südostasien liegt hier der Schwerpunkt tendenziell ebenfalls auf dem Ende des behandelten Zeitraums. Das erklärt sich daraus, dass eine "Atlantische Welt" sich ja überhaupt erst zu formieren beginnt, zunächst cis-, dann circumatlantisch. Und dort, wo sie sich formiert, ist sie europäisch. Die eigentlich indigene Sicht fehlt durch diese Perspektive leider weitgehend. Den Völkern Amerikas wird (auch wenn Widerstand und unvollständige Eroberung anerkannt werden) eine weitgehend passive Rolle zugeschrieben: Der Neuen Welt wird - so ein Zitat aus der Einleitung - "die gesamte europäische Kultur aufgeprägt" (48). Amerika erscheint auf die Funktion als Appendix eines über den Atlantik agierenden Europa reduziert: Das "nicht europäische" Amerika, sei es präkolumbianisch, peripher oder kolonial, hat keinen eigenen Platz. Dieser Zugang konterkariert ein wenig die Abnabelung von der europäischen Perspektive, die ja als zentraler Aspekt des Werks hervorgehoben wird und die in anderen Bereichen, wie der konsequenten Einhegung der europäischen Geschichte selbst auf etwa 70 Seiten, durchaus gelingt. Auch muss man Reinhards kenntnisreiche und differenzierte Betrachtung des spanischen Kolonialreichs würdigen, die für einen Autor mit stärker anglo-amerikanischem Forschungsfeld alles andere als selbstverständlich ist, vor allem, wenn so wenig Platz dafür zur Verfügung steht.
Man muss abschließend zudem noch einmal deutlich hervorheben, dass der Band sich an die Vorgabe der Reihe halten musste: Es galt, 400 Jahre abzudecken, in denen es genau um den Beginn einer zusammenwachsenden Welt geht, wo aber eigentlich segmentierte Geschichte dominiert (die Bände 4-6 müssen dagegen "nur" 120, 75 beziehungsweise 70 Jahre abhandeln, in einem sich immer stärker kontrahierenden globalen Raum - die noch nicht erschienenen Bände 1 und 2 werden es da nicht leichter haben). Die (zu) starke Orientierung am Raum und dessen Segmentierung, die mit der Zuschlagung Amerikas zu Europa nicht ganz gelungene Auswahl der Räume, die zu wenig griffige Einleitung sowie der fehlende abrundende Rahmen sind so betrachtet nur Ausdruck der Tatsache, dass jede "Weltgeschichte" - egal, wie die Entscheidungen hinsichtlich ihrer Struktur ausfallen - naturgemäß Angriffspunkte für Kritik bietet.
Die wichtigste Aufgabe einer nicht auf Europa konzentrierten, wesentlich politischen Geschichte der Welt wurde hingegen erfüllt, und das mit qualitativ hochwertigen Einzelbeiträgen. Nicht zuletzt ist zu würdigen, dass dieses Konzept bis 1750, und somit 250 Jahre länger durchgehalten wird, als es den meisten anderen Weltgeschichten gelingt, die ab 1500 dazu neigen, in eine "europäische Weltgeschichte mit Exkursen" zu kippen.
Werner Stangl