Andrew F. Cooper / Jorge Heine / Ramesh Thakur (eds.): The Oxford Handbook of Modern Diplomacy, Oxford: Oxford University Press 2013, XXXV + 953 S., ISBN 978-0-19-958886-2, GBP 100,00
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Diplomatiegeschichte hat hierzulande - anders als im englischsprachigen Bereich, in dem Diplomatic History das führende Zeitschriftenorgan ist - einen schlechten Ruf, gilt sie doch vielfach nur als eine Disziplin des bürokratisch beschränkten Umgangs mit Weltproblemen. Auch wenn es sich im engeren Sinn nur um den "conduct of official state-to-state negotiations" - so David Welch (827) - handeln sollte, hat sich in den letzten ein oder zwei Jahrzehnte der Gegenstandsbereich in vielen Dimensionen beträchtlich ausgeweitet.
Drei Forscher, um das kanadische Center for International Governance Innovation (CIGI) in Waterloo, Ontario, gruppiert, bildeten schon 2002 eine Kerngruppe, um im globalen Rahmen die neuartige Regierungskonferenz der G20 mit auf die Schiene zu setzen. Von einer solchen Innovation ausgehend, haben sie als Herausgeber in insgesamt 49 profunden sektoralen Artikeln nunmehr ein Handbuch vorgelegt, das seinesgleichen sucht. In einer gemeinsamen Einleitung machen Cooper, Heine und Thakur die Dimensionen deutlich: Da ist zum ersten die (neue Qualität von) Globalisierung, sodann sind es Fragen der Beteiligung von Civil Society, zum dritten die Rolle von Non-State Actors. Mit ersten neuen Zügen seit dem Ersten Weltkrieg habe sich der Schwerpunkt spätestens in unserem Jahrhundert verlagert "from Club to Network Diplomacy" und damit zu vielfältigen neuen Herausforderungen, Chancen und Kommunikationsformen: Es gibt viel mehr Beteiligte, das meiste läuft mündlich, die Transparenz ist hoch und es finden zunehmend "bilateral flows" statt. Flows ist im Übrigen ein Stichwort, das wiederholt für diese Charakteristik des Transnationalen auftaucht. Trotz oder vielmehr gerade wegen dieser geradezu explodierenden Dimensionen des Feldes ist eine vorläufige Übersicht nützlich. Das Handbuch liefert eine gelungene Mischung zwischen Institutionen, Problemfeldern, Fallstudien und manchem anderen.
Die Autoren sind zum Teil frühere hochrangige Politiker, wie der finnische Staatspräsident Ahtisaari, der selbst im Kosovo lange als UN-Sondergesandter zu vermitteln suchte, Lloyd Axworthy, kanadischer Außenminister, Gareth Evans, australischer Außenminister, Paul Martin, Premierminister Kanadas. Hervorragende Wissenschaftler wie Kalevi Holsti oder Joseph Nye kommen hinzu, letztere wie auch viele der anderen Autoren zusätzlich oder temporär auch Träger staatlicher oder UN-Funktionen. Die Autoren stammen zu einem sehr großen Teil aus Kanada, Australien, sodann aus den USA oder anderen Commonwealth-Ländern. Einige Südamerikaner, Skandinavier sowie Belgier und Niederländer finden sich gleichermaßen. Deutsche wie auch Personen aus dem übrigen Europa sind nicht dabei. Ebenso fehlen Beiträger etwa aus dem ehemaligen Ostblock oder China. Schon diese Mischung ist bemerkenswert, zeigt es doch für die vertretenen Länder einen intellektuellen Austausch wie Personenwechsel zwischen Wissenschaft - hier vor allem Politikwissenschaft und Völkerrecht - und Praxis, wie er zumindest bei uns nicht üblich ist.
Auch wenn das traditionelle Feld von Außenpolitik immer wieder einmal erwähnt wird, dominiert doch ganz der Blick auf die innovativen Entwicklungen. Natürlich wird auch einmal Hillary Clinton zitiert, man möge doch die ganze Perspektive von Moral, Humanitarismus und Gutes-Tun, an die alle glaubten, doch mal weglassen und "straight realpolitik" (43) betreiben. Louise Fréchette, früher Untergeneralsekretärin der UNO, meint einleitend "diplomacy is an art, not science"(XXXIII) - aber das sind doch nur caveats gegenüber einer behutsamen Herausarbeitung der Gegenwartstechniken und -lagen. Historiographie ist nicht beabsichtigt, auch wenn viele Artikel knappe Rückblicke bringen. Harold Nicolsons Diplomacy von 1939 gehört zu den Klassikern für "früher", Alexander George, George Ball und Gordon Craig werden mehrfach als historische Gewährsleute herangezogen. Margret Macmillans Studie über Peacemaking 1919 bildet bisweilen den historischen Ausgangspunkt. Dennoch holen einige Artikel breit in die Vergangenheit aus. Zu nennen ist der über Finanzdiplomatie (Eric Helleiner). Zur Wiener Konvention von 1961 (Jan Wouters u.a.) gibt es eine saubere geschichtliche Analyse und Dokumentenvorstellung. Arms Control and Disarmament Diplomacy (Rebecca Johnsen) oder die Kubakrise von 1962 (David A. Welch) sind gleichfalls historisch-retrospektiv gearbeitet, aber gerade bei letzterem dominiert klug eine Anwendung von systematischen Kategorien auf den konkreten Fall.
10 abschließende Beiträge (Teil VI) sind Fallstudien gewidmet - instruktiv gewiss, etwa zur Doha-Runde, der Landminen-Konvention sowie der Klimapolitik. Doch dominiert hier neben einer Problembeschreibung der globalen Bedeutung stark das Nachzeichnen der Verhandlungen im UN-Rahmen. Hervorsticht - neben dem genannten Ahtisaari - der Beitrag von Martin über die Entstehung und Leistung der G20-Runde, vor allem aber Jan Egeland zur humanitären Diplomatie, vermag der damalige UN-Verantwortliche für diesen Sektor die Ambivalenzen zwischen "gut" und "gut gemeint" beim internationalen Umgang mit der Tsunami-Katastrophe von 2004 aufzuzeigen und dabei manche recht konkreten Lehren gerade angesichts des hemdsärmeligen Auftretens der Bush-Administration, aber auch mancher NGOs zu illustrieren.
Diese Benennung von Beiträgen aus unterschiedlichen Teilen der sechs Sektionen deutet die netzwerkartige Anordnung im Band zur neueren Netzwerkdiplomatie schon an. Teil I, "Setting of the scene", gibt eher Leitargumente. Teil II, The Main Actors, thematisiert neben Civil Society auch transnationale Firmen (die hier nie Multis genannt werden), dann aber auch Medien - vielleicht zu knapp. Ebenso wie hier hätte man sich den Abschnitt über International Organisations and Diplomacy stärker aufgefächert vorstellen können. Teil III ist den "Modes of Practice" gewidmet, wobei nach der auch vorhandenen Bilateral Diplomacy recht stark überlappend multilateral diplomacy, conference diplomacy, commission diplomacy und international summitry als getrennte Artikel vorkommen. Das artet bisweilen aus zur Elaborierung unterschiedlicher Kategorien und additiver Faktorenanalyse. Aber im Ansatz fließt hier bisweilen auch Kritik an einem großen Aufwand bei geringem Ertrag ein. Der Umgang von Diplomatie mit Medien wird hier zwar abgehandelt und u.a. Katars Al Jazeera vorgeführt. Doch das ist nur ein kleiner Teil eines viel breiteren Themas, denn auch die Medialität der Diplomatie selbst hätte gesonderte Aufmerksamkeit verdient. Ob humanitäre Diplomatie und Verteidigungsdiplomatie auch zu diesem Teil gehörten oder eher zu IV, Tools and Instruments, wäre zu fragen. Wichtiger erscheint mir, dass die eher traditionellen Formen von Internationaler Politik, die auf pure Machtdurchsetzung, Terror und militärische Mittel setzen, nur am Rande gestreift werden. Gewiss wird einmal reflektiert, wie civil society mit uncivil societies umgehen sollten (177), doch wird dieses Thema im gesamten Handbuch kaum vertieft.
Einleuchtend sind in Teil IV u. a. die Themen Wirtschaft, Handel, Völkerrecht abgehandelt. Aber beim Faktor Kultur wäre ein breiteres Eingehen etwa auf "nation branding" sehr sinnvoll gewesen. Soft power wird häufig als modernes Substitut für hard power gesehen. Die Dimensionen dieses Ansatzes führt Su Changhe anschaulich vor, der mit Joseph S. Nye jr., der Schöpfer dieses Begriffs, gleichsam antwortet: Er sei nicht für soft power allein eingetreten, sondern empfehle smart power, also die flexible Verbindung von soft und hard power. Das ist einleuchtend. Aber wenn hard power dennoch weiterhin eine bedeutende Rolle spielt, besitzt diese gegenüber den innovativen Ansätzen von Diplomatie immanente Grenzen. Das sollte thematisiert sein.
Mit einer gewissen Beliebigkeit der Subsumption schließt sich Teil V, Issue Areas an. Hier kommen auch die traditionellen Bereiche um das Thema Sicherheit vor, die sich im eingangs genannten Sinne beträchtlich sowie inhaltlich ausgeweitet haben. Erneut taucht hier Handel und seine Diplomatie auf, aber auch Ernährung, Flüchtlinge, Gesundheit. Ob Human Rights nicht eigentlich ein Querschnittthema wären, lässt sich fragen. Hier wird nur der engere Begriff im UN-System abgehandelt (David P. Forsythe), doch in diesem Rahmen ergibt dies bereits einen geglückten Überblick.R2P (responsibility to protect) taucht unter den Fallstudien auf; der Autor Thomas G. Weiss hält dies mit Herausgeber Thakur für die dramatischste normative Wendung unserer Zeit und lobt den Libyeneinsatz 2011 recht optimistisch über den grünen Klee - die unerwünschten Nebenwirkungen, die zu den Standardeinsichten gerade moderner Diplomatie gehörten sollten, verschwinden weitgehend. Das verweist aber auch darauf, dass der Beitrag wohl schon 2011 abgeschlossen war und man sich - wie auch andernorts zumal bei konkreten Fällen - eine stärkere Aktualität hätte wünschen können.
Nichtsdestotrotz: Es liegt ein zwischen Reflexion, Kategorienbildung und praktischer Auswertung von Erfahrungen entstandenes überaus nützliches Handbuch vor, dem man über den engeren Fachkreis hinaus zahlreiche Leser und Rezipienten wünscht.
Jost Dülffer