Loren J. Weber / Giles Constable / H. Rouse (eds.): Law, Rulership, and Rhetoric. Selected Essays of Robert L. Benson, Notre Dame, IN: University of Notre Dame Press 2014, XXIII + 382 S., 55 s/w-Abb., ISBN 978-0-268-02234-1, USD 68,00
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Als der US-amerikanische Mediävist Robert L. Benson 1996 plötzlich verstarb, hinterließ er eine umfangreiche Sammlung von Vorträgen und Essays, die teilweise mit Anmerkungen sowie knappen Verweisen versehen waren. Diese Studien, die oft in unterschiedlichen Versionen vorlagen und so von der permanenten Arbeit des Autors an ihnen zeugten, stellten Vorarbeiten zu kleineren Einzelbeiträgen, aber offenbar auch zur von Benson geplanten größeren Biografie Friedrich Barbarossas dar und scheinen allesamt zur späteren Publikation vorgesehen gewesen zu sein; ein Aufsatz findet sich bereits in der Festschrift für Friedrich Baethgen von 1955. Auf dieses Material aus dem Nachlass Bensons greift der hier vorliegende Band zurück, in dem insgesamt 19 Studien aus der Feder des Autors veröffentlicht sind. Dabei wurden die Beiträge weitgehend so wiedergegeben, wie man sie im Nachlass des Mediävisten vorfand. Die Herausgeber übten sich in Zurückhaltung, wenn es um die Auflösung unklarer Anmerkungen oder Verweise ging und führten auch keine Aktualisierungen hinsichtlich der zitierten Literatur durch. Die einzelnen Beiträge geben so den Forschungsstand zur Zeit ihrer Niederschrift, aber eben auch die originäre Auffassung ihres Autors wieder.
Im Anschluss an das Vorwort von Horst Fuhrmann, das insbesondere Bensons Zeit in München und seine Verbindungen zu den MGH beleuchtet (vii-x), erläutert Loren J. Weber zunächst die skizzierte Herkunft des Materials sowie die Probleme und Vorgehensweise bei der Drucklegung der Beiträge (xi-xvi). Es folgen die Studien Bensons, die in insgesamt fünf Abschnitten präsentiert werden. Der erste thematisiert geistes- und kulturwissenschaftliche Fragen ("Thought and Culture"). Am Anfang steht dabei ein Beitrag zum Topos Urbs et orbis, der in seiner ideengeschichtlichen Dimension als Instrument imperialer Ansprüche seitens des römischen Kaisertums in Antike und Mittelalter, der Stadt Rom und des mittelalterlichen Papsttums behandelt wird (3-19). Es folgt eine Untersuchung zu den Überlegungen von hochmittelalterlichen Kanonisten zu hierarchischen Konzepten in der Kirche und ihren Auswirkungen auf die Stellung des Papstes, aber auch der Primaten und Metropoliten gegenüber ihren Suffraganen (20-36). Sie schließt mit der Erkenntnis, dass sich kirchliche und weltliche Hierarchien spiegelten, von den Autoren parallelisiert und aufeinander bezogen wurden, weil man sie als Ausdruck einer gottgegebenen Ordnung betrachtete. Ein weiterer Aufsatz behandelt die Meditationes des Kartäusers Guigo, der sich mit der Frage des Bewusstseins des eigenen Selbst und mit der Natur des Menschen auseinandersetzte (37-44). In den beiden folgenden Beiträgen wendet sich Benson Boncompagno da Signa und seinen Schriften zu. Zunächst nimmt er einige Briefe in der Rhetorica antiqua, einer Formelsammlung, in den Blick, die sich mit strittigen kirchlichen Wahlen befassen (45-55). Er identifiziert sie anders als noch Geoffrey Barraclough als Satiren, die über die Missstände an der römischen Kurie hinsichtlich des dort notwendigen Einsatzes von Geldern durch Petenten informieren, zugleich aber auch unterhalten wollten. Im anschließenden Aufsatz widmet er sich den Ausführungen des Autors zum Alter, die Boncompagno - als Vertreter einer Deutung des Alterns als Verfallsprozess - als Opponenten der Position Ciceros ausweisen (56-80). Eine Edition des Werks De malo senectutis et senii ergänzt die Analyse (81-92).
Der zweite Abschnitt umfasst Beiträge zu "Art and Rulership". Dabei befasst sich Benson in einem Aufsatz mit der ideengeschichtlichen Dimension der symmetrischen Darstellung von Figuren in Handschriften zwischen 800 und 1200, die einerseits die Harmonie zwischen den Universalgewalten Papsttum und Kaisertum / Königtum betonten, andererseits aber die Stellung des weltlichen Herrschers gegenüber seinen Untertanen hervorhoben (95-130). Für die Zeit um und nach 1200 konstatiert er eine an den Rechtshandschriften ablesbare Wende, die in der Konzentration auf den Papst oder den König Ausdruck fand. Im Anschluss daran untersucht er die bildliche Darstellung König Davids beginnend mit den berühmten "Cyprus plates", vor allem aber in mittelalterlichen Psaltern und Bibeln (131-157). Er kommt dabei zum Ergebnis, dass die ab dem 12. Jahrhundert in Kombination mit der Salbung oder alleine dargestellte Krönung des alttestamentlichen Königs als Reflex zeitgenössischer Vorstellungen von der Amtseinführung israelitischer Herrscher zu deuten ist. Zum Abschluss dieses Abschnitts versucht er anhand einer Analyse insbesondere der Krönungsszene auf dem Kelch von Trzemeszno das Gefäß als Produkt aus dem Umfeld kaiserlichen Hofs zu deuten, das für Friedrich Barbarossa bestimmt war (158-181).
Aspekten mittelalterlicher Herrschaft wendet sich der folgende dritte Abschnitt zu, der den Bogen vom frühen bis ins hohe Mittelalter spannt. In einem Vergleich des Prologs der Lex Salica mit dem der überarbeiteten Version aus dem 8. Jahrhundert zeichnet Benson nach, wie die Vorstellung von den Franken als auserwähltem Volk Gottes im Text Einzug hielt (185-197). Im Anschluss daran unterzieht er Fritz Kerns Buch zu "Gottesgnadentum und Widerstandsrecht" einer kritischen Würdigung (198-203), ehe er die Darstellung des Königs als "neuer David" - in allzu trennscharfer Unterscheidung von Personifikation und Exemplifizierung als konzeptionellen Anwendungsstrategien - insbesondere in der Karolingerzeit, aber auch darüber hinaus untersucht (204-216). Im Anschluss behandelt er die dem Kaiser in der Kanonistik des 12. und 13. Jahrhunderts ausgehend von Rufinus zugeschriebene Rolle des oeconomus der Kirche, dessen Befugnisse nicht aus eigener auctoritas herrührten, sondern sich in einem Unterordnungsverhältnis gegenüber dem Papst allein auf eine delegierte administratio erstreckten (217-245).
Die drei Abhandlungen des vierten Abschnitts kreisen um Friedrich Barbarossa; sie stellen Studien dar, die offenbar in das geplante Buch Bensons über den Stauferkaiser einfließen sollten. Auf einen - in der erhaltenen Form unfertigen - Beitrag zum Konstanzer Vertrag von 1153 (249-261) und eine - vom Verfasser selbst noch als revisionsbedürftig betrachtete - Abhandlung zur berühmten Konfrontation auf dem Hoftag von Besançon 1157 (262-292) folgt eine Untersuchung der Darstellung Friedrich Barbarossas als Herrscher der Welt, in der Benson weit ausgreift und die Entwicklung der Idee des imperium unter dem Staufer insgesamt analysiert (293-313).
Im fünften und letzten Abschnitt stehen die modernen Sichtweisen des Mittelalters im Zentrum der Betrachtung. Zunächst übt der Verfasser heftige Kritik an Norman Cantors Buch "Inventing the Middle Ages", namentlich an den Teilen, die Ernst H. Kantorowicz gewidmet sind (317-337). Mit Verve und nicht frei von Polemik wendet sich Benson, der selbst Kantorowicz-Schüler war, gegen die Darstellung, sein Lehrer habe eine nationalsozialistische Vergangenheit gehabt. Die politische Einstellung des Biografen Kaiser Friedrichs II. wird auch in der folgenden Abhandlung thematisiert, mit der sich Benson gegen eine "anti-imperiale" Deutung der Christus-Darstellung in der Apsis von Santa Pudenziana in Rom richtet (338-346). Im Anschluss daran stellt er in einem Aufsatz zum "Mythischen" in Studien zu Friedrich II. die Werke von Kantorowicz und David Abulafia gegenüber (347-354), ehe zuletzt über das moderne Bild von Mediävisten in literarischen Essays, im Film und vor allem in zwei Romanen von Kingsley Amis und Angus Wilson reflektiert wird (355-365). Ein Verzeichnis der zitierten Handschriften und ein Register, das Orts- und Personennamen sowie Sachen verzeichnet, beschließen den Band (368-382).
Als Texte, die spätestens Ende der achtziger oder Anfang der neunziger Jahre des 20. Jahrhunderts niedergeschrieben wurden, lesen sich die hier versammelten Aufsätze weniger als Äußerungen zu aktuellen Forschungsdebatten: in einigen Bereichen ist die Forschung in den vergangenen Jahren über den hier erzielten Kenntnisstand hinausgelangt; bisweilen thematisierte Forschungslücken sind mittlerweile geschlossen. Gleichwohl finden sich im Band scharfsinnige Analysen und Einsichten, die auf künftige Untersuchungen anregend wirken werden. Insgesamt dokumentieren die Studien, die häufig ineinander greifen und durchweg - auch aufgrund ihres teils vorhandenen und unveränderten Vortragsstils - gut lesbar sind, die Breite und Tiefe einer vier Jahrzehnte dauernden wissenschaftlichen Tätigkeit, die um Fragen zu Herrschaft und Hierarchien in mittelalterlicher Vorstellung und ihrer Darstellung in Schrift und Bild kreiste. Die Arbeiten legen zugleich Zeugnis ab von der Originalität und der Hingabe eines herausragenden Mediävisten seiner Zeit, dem diese Hommage verdientermaßen gewidmet ist.
Andreas Fischer