Rezension über:

Rita Lizzi Testa (ed.): The Strange Death of Pagan Rome. Reflections on a Historiographical Controversy (= Giornale Italiano di Filologia; 16), Turnhout: Brepols 2013, 198 S., ISBN 978-2-503-54942-2, EUR 75,00
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Rezension von:
Raphael Brendel
München
Redaktionelle Betreuung:
Mischa Meier
Empfohlene Zitierweise:
Raphael Brendel: Rezension von: Rita Lizzi Testa (ed.): The Strange Death of Pagan Rome. Reflections on a Historiographical Controversy, Turnhout: Brepols 2013, in: sehepunkte 15 (2015), Nr. 2 [15.02.2015], URL: https://www.sehepunkte.de
/2015/02/26583.html


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Rita Lizzi Testa (ed.): The Strange Death of Pagan Rome

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Alan Camerons umfangreiches und gelehrtes Werk The last pagans of Rome (Oxford 2011) hat in der Fachwelt umfangreiche Beachtung gefunden, wie vor allem die zahlreichen Rezensionen bezeugen.[1] Wer aber nun dachte, dass mit der Replik von François Paschoud (Antiquité Tardive 20 (2012), 359-388), die insgesamt 29 engzeilig und in Doppelspalten bedruckte Seiten in größerem Format umfasst, der Höhepunkt bereits erreicht sei, wird mit dem hier zu besprechenden Band eines Besseren belehrt.

Dessen Hintergrund ist folgender: Am 10. und 11. November 2011 fand in Perugia eine Konferenz statt, die sich alleine Camerons "last pagans" widmete und deren insgesamt fast 200 Seiten umfassende Beiträge nunmehr gedruckt vorliegen.

Da jeder Beitrag gewissermaßen eine Teilrezension bildet, erweist sich die Ordnung innerhalb der einzelnen Aufsätze als ausgesprochen ähnlich: Die Thesen Camerons zum behandelten Spezialthema werden ausführlich referiert und gleichermaßen unterstützende, modifizierende oder entgegenstehende Argumente vorgebracht.

Die Einleitung von Guido Clemente (13-29) bietet eine allgemeine Charakteristik von Camerons Werk und weist auf einige Probleme desselben hin. Seine Kritikpunkte lauten: Die aristokratische Klage über die Bürde der Macht wird in ihrer Eigenschaft als Topik nicht ausreichend berücksichtigt; die Tempelrestaurationen des späten vierten Jahrhunderts werden zu stark relativiert; die Rolle des Volkes bei religiösen Zeremonien bleibt weitgehend unberücksichtigt; ebenso wird kaum auf die Rolle der Kirche eingegangen; die Bedeutung des Carmen contra paganos ist auch dann noch gegeben, wenn Nicomachus Flavianus nicht das Ziel ist; Cameron geht zu stark philologisch vor (ein in dem Band allgemein immer wiederkehrender Kritikpunkt), wenn er den Bußakt des Theodosius I. durch den Fokus auf die Rhetorik des Paulinus von Mailand zu sehr relativiert; da Nicomachus Flavianus lange im Dienst des Theodosius stand, muss seine Parteinahme für Eugenius auch religiös bedingt sein.

Mit dem Beitrag von Rita Lizzi Testa (31-51), der die ersten beiden Kapitel von Camerons Werk (zum Begriff paganus, zur Heidenpolitik von Constantius II. bis Theodosius I.) abdeckt, beginnt die Reihe der Diskussionen einzelner Kapitel. Zustimmung erfährt Cameron hier in seiner Beurteilung der Heidengesetze des Theodosius; bezüglich des Begriffs des paganus spricht sich Lizzi Testa allerdings für eine Verwendung bereits in vorkonstantinischer Zeit aus.

Giorgio Bonamente (53-70) diskutiert das dritte Kapitel über die Schlacht am Frigidus. Auch wenn er Cameron darin zustimmt, dass der Krieg zwischen Theodosius und Eugenius nicht aus religiösen Gründen ausgebrochen ist und auch die Schlacht nicht als letzter Kampf zwischen Christentum und Heidentum angesehen werden kann, bezweifelt er doch, dass sich jegliche religiöse Komponente negieren lässt. Als weitere Kritikpunkte führt Bonamente an, dass Cameron in seiner Analyse die Kapitel des Zosimos aus ihrem Kontext herausnimmt und seine alternative Chronologie der Werke des Eunapios nur Hypothesencharakter aufweist; Camerons Annahmen zu Rufinus stimmt er wiederum zu.

Allgemeineren Charakter haben die Ausführungen von Silvia Orlandi über Camerons Benutzung epigraphischer Quellen (71-84). Orlandi zeigt, dass eine systematischere Verwendung der Inschriften gleichermaßen zusätzliche Argumente, aber auch Hinweise auf Konflikte und Intoleranz zwischen Christen und Heiden hervorgebracht hätte. Zudem weist sie darauf hin, dass auch ein Schweigen der Quellen als relevante Aussage zu werten ist.

Franca Ela Consolino (85-107) setzt sich mit den Kapiteln 7 und 8 (zu Macrobius, zu dem Carmen contra paganos) auseinander. Zu Camerons Ausführungen über Macrobius bemerkt sie, dass diese sich gegenüber seinem Aufsatz aus dem Jahr 1966 durch bessere Belege und Argumente abheben, aber dennoch keine wesentlich neue Interpretation bieten. Die von Cameron vertretene Autorschaft des Carmen contra paganos durch Damasus erachtet sie als plausibel (wenngleich letztlich nicht vollständig beweisbar) und hebt die gemeinsame Vermeidung des et als gewichtiges Element hervor, zeigt aber auch die geringe Aussagekraft der von Cameron verwendeten statistischen Methoden.

Lellia Cracco Ruggini (109-121) analysiert das Doppelkapitel (12 und 13) zu den textkritischen Aktivitäten der spätantiken Aristokraten sowie das vierzehnte Kapitel zur Rolle des Livius in der Spätantike. Sie stellt fest, dass Cameron zu sicheren Annahmen neigt, wo diese nicht möglich sind (etwa zur Terminologie spätantiker Emendationstätigkeit), und den Status der Subskribenten der Handschriften oft reduziert. Insgesamt jedoch fällt ihr Urteil ausgesprochen positiv aus.

Gianfranco Agosti (123-140) bietet einen allgemeineren Beitrag über das Verhältnis von klassizistischen Tendenzen, klassischer paideia und Religion, der mehrere Kapitel Camerons einbezieht. Allgemein und vor allem in den Ausführungen des neunzehnten Kapitels über die spätantike Kunst stimmt er zwar wiederholt Camerons Deutungen (etwa zu den Kontorniaten) zu, erachtet aber die negative Argumentation dieses Kapitels als gelegentlich zu weitgehend. Zu Rutilius Namatianus bemerkt er, dass eine christenfeindliche Polemik dieses Autors nicht ausgeschlossen ist.

Der Beitrag von Isabella Gualandri (141-149) widmet sich dem bei Cameron nicht systematisch behandelten Claudian und bietet einige abweichende Deutungen in Einzelfragen, namentlich zur Schlacht am Frigidus (Claudian und Ambrosius berichten unabhängig voneinander über das Windwunder), den von Stilicho verbrannten Sibyllinischen Büchern und der Bedeutung der christlichen Autoren für die Wiederbelebung der episch-panegyrischen Dichtung.

Eine ausgesprochen positive Überraschung ist der Aufsatz von Giovanni Alberto Cecconi (151-164). Da Cameron sich mit Nicomachus Flavianus hauptsächlich in zwei sehr ausführlichen (aber nur wenig zufriedenstellenden und bereits in ihren Grundlagen problematischen, siehe die Anm. 1 zitierte Rezension, 1390-1391) Kapiteln mit dessen Annales befasst, war zu befürchten, dass auch Cecconi, der seinen Beitrag zudem "Alan Cameron's Virius Nicomachus Flavianus" (und eben nicht einfach nur "Nicomachus Flavianus") betitelt, sich ebenfalls fast nur mit den Annales auseinandersetzt.[2] Tatsächlich steht jedoch die Person des Flavianus im Zentrum, insbesondere in seiner Eigenschaft als Unterstützer des Eugenius. Cecconi kritisiert, dass Cameron kaum auf den cursus honorum eingeht und ältere Forschungen Cecconis nur unzureichend heranzieht.

In seinem kurzen (165-169), aber umso inhaltsreicheren Kapitel analysiert Gian Luca Grassigli das neunzehnte Kapitel Camerons über die spätantike Kunst. Er weist darauf hin, dass Cameron nicht an der Kunst selbst interessiert ist, sondern diese lediglich als Beweis für seine Theorien nutzt. Desweiteren bemerkt Grassigli den Umfang der Behandlung der (nicht repräsentativen) Kontorniaten, problematisiert den Begriff "pagan" sowie Camerons Deutung spätantiker Dionysiusdarstellungen und zeigt gewisse Inkonsequenzen bei Camerons Ausführungen zu Nonnos auf; Zustimmung erfährt Cameron in seiner Problematisierung der Begriffe "classic" und "classicistic". Grassiglis Fazit: Das Kapitel zur spätantiken Kunst vermeidet neue Perspektiven und bietet daher keine Antworten für das Problem der Kunst der Spätantike.

Ebenfalls dem neunzehnten Kapitel widmet sich Alessandra Bravi (171-187). Sie wendet ein, dass neben der neutralen Beobachtung spätantiker Kunst auch andere Perspektiven nicht ausgeschlossen sind, stimmt insgesamt aber Cameron darin zu, dass die mythologischen Szenen auf Silberschmiedearbeiten in der Tat kein "pagan revival" bedeuten müssen. Ihr Urteil: Camerons Forschungen zur spätantiken Gesellschaft bieten neue Wege, um die Wahrnehmung der spätantiken Kunst zu erforschen.

Der Beitrag von François Paschoud zur Historia Augusta (189-198) erscheint auf den ersten Blick kurios, da es sich um den einzigen Beitrag in italienischer Sprache, zugleich aber um den einzigen Beitrag eines nichtitalienischen Forschers handelt. Diese Sprachenwahl erweist sich jedoch als praktisch: Bei den Ausführungen Paschouds handelt es sich um eine modifizierte Fassung des Abschnittes zur Historia Augusta in seiner eingangs erwähnten Replik (Antiquité Tardive 20 (2012), 380-385) und diese ist bereits in englischer Sprache verfasst. Nach den allgemeinen Problemen von Camerons Auseinandersetzung mit der Historia Augusta-Forschung diskutiert Paschoud die Abfassungszeit der Historia Augusta, das Verhältnis zwischen der Historia Augusta und Hieronymus sowie die religiösen und politischen Ansichten der Historia Augusta.

Bei all seiner Kompetenz ist der Band nicht frei von Schwächen. Ein Problem ist die Tatsache, dass die Thesen Camerons sehr ausführlich referiert werden. Hier könnte man sich die Frage stellen, ob es wirklich sinnvoll ist, nochmals die Inhalte eines Buches, um das sich dieses Werk gruppiert und die daher den meisten Lesern auch bekannt sein dürften, derart im Detail darzulegen. Auch treten deswegen die eigenen Stellungnahmen der Autoren manchmal weniger deutlich hervor, als dies zu wünschen wäre.

Auch in dem, was der Band nicht bietet, fällt er nicht immer positiv auf. Dass kein Register geboten wird, ist eine Sache. Wenn sich aber zweieinhalb Beiträge (Grassigli, Bravi, teilweise Agosti) mit spätantiker Kunst befassen, wären doch eigentlich mehr als nur zwei Abbildungen im gesamten Buch zu erwarten. Obendrein entbehrt es in diesem Zusammenhang nicht einer gewissen Ironie, wenn die eine Abbildung sich vor dem Inhaltsverzeichnis (5) findet, somit gewissermaßen als eine Art zweites Titelblatt dient, und die zweite Abbildung gerade nicht in einem der kunstgeschichtlichen, sondern in dem epigraphischen Beitrag auftaucht (82).

Gelegentlich wäre zudem etwas mehr Aufmerksamkeit im Detail wünschenswert gewesen, da die aufzufindenden Druckfehler nur selten der verwendeten Fremdsprache geschuldet sind, dafür häufiger bei antiken und modernen Namen auftreten.[3] In fachlicher Hinsicht ist der Band dafür erheblich sorgfältiger.[4]

Will man zu einer zuverlässigen Beurteilung des hier besprochenen Sammelwerkes gelangen, so muss man sich vor Augen führen, dass es sich um eine Zusammenstellung von Rezensionen handelt. Kompetente und ungewöhnlich detaillierte Rezensionen, aber trotz allem immer noch Rezensionen mit all ihren Verdiensten und Grenzen. Vergegenwärtigt man sich dies, kann man den Band angemessen würdigen und mit der richtigen Erwartungshaltung lesen. Denn gelesen zu werden verdient er auf jeden Fall.[5]


Anmerkungen:

[1] Der Rezensent hat in seiner eigenen Besprechung im Göttinger Forum für Altertumswissenschaft 16 (2013), 1385-1394 ( http://gfa.gbv.de/dr,gfa,016,2013,r,48.pdf ) 1393-1394, Anm. 6-7 die (damals 23) ermittelbaren Rezensionen und drei verwandte Beiträge (ein Interview Camerons, ein Bericht über die Tagung in Perugia und Stéphane Rattis Entgegnung in seiner Monographie "Polémiques entre païens et chrétiens") zusammengestellt. Entgangen ist mir damals der zweite Bericht über die Tagung in Perugia: Giulia Marconi, in: Bollettino di Studi Latini 42 (2012), 287-291. In der Zwischenzeit sind zudem noch erschienen: Kate Cooper, The long shadow of Constantine, in: Journal of Roman Studies 104 (2014), 226-238 (Sammelrezension, zu Cameron 226-232 und 236-237) und Raimund Schulz/Uwe Walter, Altertum VI, in: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 65 (2014), 382-396 (Literaturbericht zur Spätantike, zu Cameron 383 mit Anm. 316-317). Eine weitere Rezension von Gavin Kelly wird im nächsten Heft des Classical Review erscheinen, ist aber bereits online unter https://edinburgh.academia.edu/GavinKelly einsehbar.

[2] Siehe zum Thema zuletzt Beatrice Girotti, Nicomaco Flaviano, historicus disertissimus?, in: Hermes 143 (2015), 124-128.

[3] Der englischen Sprache geschuldete Druckfehler: "Chapther" (7); "historiograpical" (59); "backgrounbd" (182). Moderne Namen: "Mohrmhann" (37, Anm. 16) und "Morhmann" (38) statt richtig "Mohrmann"; "Weisweiller" (111, Anm. 7) statt richtig "Weisweiler"; "Alföldy" (166 zweimal, im dort ebenfalls angeführten Zitat aus Camerons Buch aber richtig; 168 und 176) statt richtig "Alföldi". Antike Namen und Begriffe: "traslatio" (36); "Aryan/Aryans" (42 und 114) statt richtig "Arian/Arians"; "Nichomacus" (57 dreimal, 69 zweimal); "Zozimus" (112); die französische Fassung "Constance II" (114 und 117, Anm. 18) für Constantius II.

[4] Lediglich drei Details bedürfen der Präzisierung oder Richtigstellung: Eine Zeitschrift "Bulletin of Latin Studies" (10) existiert in dieser Form nicht, richtig ist "Bollettino di Studi Latini". Cameron zitiert nicht "pagan sources such as Nazarius or Procopius" (55-56), sondern zieht an der entsprechenden Stelle Nazarius heran und nennt daneben den Usurpator und Julianverwandten Procopius. Das Zitat 152, Anm. 6 ist insofern ungünstig, da der herangezogene Schriftenband von Burgess den "Variorum Collected Studies Series" entstammt, worin lediglich die Originalpaginierung mitabgedruckt, aber keine neue Seitenzählung eingeführt wird, so dass die Inhalte nach den Nummern der Aufsätze (hier Nr. VII) zu zitieren sind. Übrigens weist auch Burgess in den am Schluss gebündelten Ergänzungen seines Schriftenbandes auf Camerons Werk hin.

[5] Siehe auch das positive Urteil von James O'Donnell, in: Bryn Mawr Classical Review September 2014, Nr. 53 (http://bmcr.brynmawr.edu/2014/2014-09-53.html); auch Kelly spricht in seiner Anm. 1 genannten Rezension zu Cameron von einer "thoughtful collection of essays by distinguished Italian scholars".

Raphael Brendel