Detlef Brandes / Alena Mísková (Hgg.): Vom Osteuropa-Lehrstuhl ins Prager Rathaus. Josef Pfitzner 1901-1945, Essen: Klartext 2013, 398 S., ISBN 978-3-8375-0895-6, EUR 25,00
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Diese Rezension erscheint auch in der Zeitschrift für Ostmitteleuropa-Forschung.
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An Josef Pfitzner haben sich bereits diverse Historiker abgearbeitet, die sich mit der Entwicklung der deutschen Geschichtsschreibung befassen. Pavel Kolář, Frank Hadler und Manfred Stoy etwa untersuchten Pfitzners Karriere, seine Texte oder seine politische Tätigkeit im Prager Magistrat. Detlef Brandes und Alena Míšková beabsichtigen mit ihrer Biografie einer Frage nachzugehen, die ihrer Meinung nach in den bisherigen Texten über den Osteuropahistoriker unbeantwortet geblieben ist: Wer war Josef Pfitzner eigentlich? Als Leitfrage formulieren sie in der Einleitung keinen geringeren Anspruch als den, die Fragen nach seiner Herkunft, Geschichte, seinem Verhalten, seinen Wünschen und nicht zuletzt nach seiner Persönlichkeit zu klären.
Der Aufbau des Buches ist chronologisch, die 13 Kapitel gehen auf Pfitzners einzelne Lebensabschnitte ein. Die Verfasser haben sich die Kapitel folgendermaßen aufgeteilt: Míšková beginnt mit Pfitzners Kindheit und Privatleben, seinen ersten wissenschaftlichen Arbeiten, seinen deutschen und seinen tschechischen Kollegen und beendet ihren Teil nach der Aufarbeitung von Pfitzners Tätigkeit als Pädagoge und seinen akademischen Ehrungen mit einem Zwischenergebnis. Brandes, der an den Schluss seiner jeweiligen Hauptkapitel immer eine hilfreiche Zusammenfassung setzt, was bei Míšková auch wünschenswert gewesen wäre, beschäftigt sich mit Pfitzners Rolle als Historiker, als Propagandist der Sudetendeutschen und als Prager Stadtrat, schreibt weiter über Pfitzners Machtkämpfe, seine Kommunal- und Volkstumspolitik sowie das Ende des Prager Deutschtums und Pfitzners selbst, der am 6. September 1945 hingerichtet wurde. Diese Kapitelaufteilung stimmt mit der Formulierung der Verfasser überein, das "zweite Gesicht Josef Pfitzners" sei "seine politische Karriere" (14) gewesen. Als eine wesentliche Quelle erwies sich für die Verfasser der unerwartet in Linz entdeckte Nachlass Pfitzners. Darüber hinaus wurden zahlreiche Quellen aus dem Národní Archiv, dem Bundesarchiv Koblenz (hier aus dem Hauptamt für Kommunalpolitik der Reichsleitung der NSDAP und der Reichskanzlei), dem Politischen Archiv des Auswärtigen Amtes sowie der Nachlass von Pfitzners Doktorvater Hans Hirsch herangezogen. Als weitere Primärliteratur dienten Pfitzners Werke. Nicht zuletzt war sein Tagebuch sehr wichtig, von dem nur ein edierter Teil erhalten ist, der von Míšková selbst bereits im Jahr 2000 herausgegeben worden war.
Tagebücher, Briefe und Tätigkeitsberichte sind für eine befriedigende Antwort der Leitfrage wesentlich, die Verfasser setzen sie stets passend und angemessen ein. Gleichzeitig ist die Balance zwischen den persönlichen Angelegenheiten Pfitzners und dem historischen Kontext sehr gelungen. Míšková und Brandes machen es sich nicht etwa leicht, indem sie die Quellen für sich sprechen ließen, sondern sorgen stets für die notwendigen historischen Hintergründe, die der Leser braucht, um Pfitzners einzelne Handlungen zu verstehen. Insofern ist das Buch für ein Publikum geeignet, das nicht unbedingt mit allen Details der deutschen Okkupation Prags vertraut ist; gute Kenntnisse des Zweiten Weltkriegs sollten jedoch vorhanden sein. Míšková und Brandes beleuchten akribisch Pfitzners historisches Umfeld; besonders Brandes zeichnet Pfitzners Kommunal- und Volkstumspolitik und die damit verbundene weitreichende Durchsetzung deutscher Interessen in Prag durch zahlreiche Aktenbelege nach. Allen Kapiteln, besonders jedoch dem über Pfitzners Kommunal- und Volkstumspolitik, fehlt es nicht an Belegen, Zahlen und Quellenzitaten - eine beeindruckende Fleißarbeit. Dass ein Forschungsschwerpunkt auf Pfitzners persönlichem Umfeld liegt, zeigt auch die Tatsache, dass Míšková und Brandes ganze Unterkapitel Pfitzners Weggefährten widmen, zum Beispiel Hans Hirsch, Heinz Zatschek, Josef Šusta, Reinhard Heydrich oder Karl Frank, was für die Erforschung von Netzwerkstrukturen unerlässlich ist. Als eine Antwort auf ihre Leitfrage geben die Verfasser an, Pfitzner in den Quellen als einen äußerst egozentristischen, verbissenen und kleinlichen Menschen erlebt zu haben. Sein Charakter und sein übertriebener Ehrgeiz scheinen ihn allgemein unbeliebt gemacht zu haben. Für den in der Einleitung formulierten Anspruch, seine Motive und sein Handeln nachzuvollziehen, eignet sich der Aufbau des Buches sehr gut. Man erfährt darüber hinaus nicht nur Wesentliches über die Person Pfitzner, sondern auch über die nationalsozialistische Okkupation Prags, das Prager Deutschtum und zu Pfitzners "Volksgeschichte" der Sudetendeutschen.
Esther Abel