Sven Schultze: "Land in Sicht"? Agrarexpositionen in der deutschen Systemauseinandersetzung: Die "Grüne Woche" und die DDR-Landwirtschaftsausstellung in Leipzig-Markkleeberg 1948-1962 (= Zeitgeschichte im Fokus; Bd. 4), Berlin: BeBra Verlag 2015, 528 S., 17 Abb., ISBN 978-3-95410-103-0, EUR 29,95
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Der Stellenwert von Landwirtschafts- und Gartenausstellungen im Kalten Krieg wird seit einigen Jahren intensiv erforscht. Zu diesem Themenfeld liegt nach Kristina Vagts 2013 veröffentlichter Studie über die Gartenbauausstellungen in Hamburg und Erfurt von 1950 bis 1974 mit Sven Schultzes Buch über die West-Berliner "Grüne Woche" und die DDR-Landwirtschaftsausstellung von 1948 bis 1962 ein weiterer profunder Beitrag vor. [1] Beide Expositionen repräsentierten und propagierten die unterschiedlichen Ordnungen, die sich in Deutschland in den späten 1940er Jahren herausbildeten und bis zu den frühen 1960er Jahren verfestigten. Allerdings wiesen sie auch deutliche Unterschiede auf, die Schultze einleitend zu Recht betont. Während die DDR-Landwirtschaftsausstellung in Leipzig-Markkleeberg als "Lehrschau" die Vorzüge der agrarischen Kollektivwirtschaft mit ihren gesicherten Arbeitsplätzen zeigen sollte, lag der "Grünen Woche" als "Leistungsschau" (15) das Ziel zugrunde, die Überlegenheit der westdeutschen Nahrungsgüterwirtschaft und Konsumkultur zu demonstrieren. Obwohl der Vergleich auch durch die unterschiedliche Ausstrahlung und Bedeutung von West-Berlin bzw. Leipzig-Markkleeberg asymmetrisch ist, können die hier veranstalteten Ausstellungen doch als Instrumente einer "'Schaufenster'-Politik" (129) verstanden werden, in der die beiden deutschen Staaten und ihre jeweiligen Eliten um Anerkennung und Legitimität rangen.
Im 19. Jahrhundert entstanden, dienten Landwirtschafts- und Gartenbauausstellungen zunächst der Werbung für Produkte. Zudem wurden auf ihnen schon früh Handelsbeziehungen angebahnt. Nicht zuletzt waren sie auch Volksfeste, auf denen Besucher Unterhaltung suchten. Mit diesen Funktionen avancierten sie auch zu wichtigen Foren politischer Propaganda, wie die Schauen im "Dritten Reich" zeigten. Anfang 1933 war Berlin nach 1894 und 1906 erneut Gastgeber der 1887 begonnenen Wanderausstellungen, die jeweils von der 1885 gegründeten Deutschen Landwirtschaftsgesellschaft (DLG) ausgerichtet wurden. Nach dem Zweiten Weltkrieg unterwarfen die KPD bzw. SED die DLG in der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) einer relativ weitreichenden Entnazifizierungspolitik, auch auf Druck der Sowjetischen Militäradministration in Deutschland (SMAD). Obgleich die DLG ab 1947/48 von der Stalinisierungspolitik des sich etablierenden SED-Regimes erfasst wurde, stimmte die SMAD einer zentralen Landwirtschaftsausstellung in der DDR erst 1950 zu, als die Partei- und Staatsführung der UdSSR den Spielraum einer gesamtdeutschen Politik schwinden sah. Die Währungsreform und die sowjetische Blockade Berlins hatten im besetzten Deutschland aber bereits zwei Jahre zuvor zu einer fortschreitenden Abgrenzung geführt, die das Projekt einer agrarischen Zollunion in Westeuropa noch vertiefte. Nach dem Hunger in den ersten Nachkriegsjahren stand in West- und Ostdeutschland bis zu den 1950er Jahren aber zunächst die Steigerung der landwirtschaftlichen Produktion im Vordergrund. Dazu propagierte die SED-Führung in den späten 1940er Jahren das Ziel, im Rahmen der beginnenden Planwirtschaft die "Friedenshektarerträge" wieder zu erreichen. Die 1950 auf dem Leipziger Messegelände erstmals ausgerichtete zentrale Landwirtschaftsausstellung der DDR verherrlichte jedoch zugleich die Bodenreform und die neuen staatlichen Agrarbetriebe - wie die Volkseigenen Güter und die Maschinen-Ausleih-Stationen - als wichtige Beiträge zur Versorgung der Ostdeutschen mit Nahrungsmitteln. Spiegelbildlich warben die "Grünen Wochen" 1948/49 mit dem Konsum angeblich überlegener westdeutscher Nahrungsmittel. Kaufentscheidungen wurden im beginnenden Kalten Krieg zu einer Abstimmung über die unterschiedlichen politischen und wirtschaftlichen Ordnungen erhoben.
Mit dem Beginn der Kollektivierung der Landwirtschaft der DDR 1952/53 und den "Grünen Plänen", die den Bauern in der Bundesrepublik ab 1955 "Parität" - d.h. vor allem ähnliches Einkommensniveau wie bei den Industriearbeitern - versprachen, begann eine neue Phase der innerdeutschen Auseinandersetzung über die Agrarpolitik und den Nahrungsmittelkonsum. Dabei gerieten die Ost-Berliner Machthaber im Sommer 1953 in die Defensive, als sich in der DDR im Zuge des Volksaufstandes zahlreiche LPG auflösten. Wie Sven Schultze anhand der Landwirtschaftsausstellung in Leipzig-Markkleeberg 1954 belegt, gab die SED-Führung die Kollektivierungspolitik aber trotz der Krise keineswegs grundsätzlich auf. Auch die - letztlich gescheiterte - Übernahme sowjetischer Methoden wie der Errichtung von "Offenställen" und Kampagnen wie die "Neuerer"-Bewegung sollten die Überlegenheit der ostdeutschen Agrarwirtschaft demonstrieren. Auf den "Grünen Wochen" blieb der Strukturwandel verdeckt, der in der Bundesrepublik schon in den 1950er Jahren viele Bauern zur Aufgabe ihrer Höfe zwang. Auch entfaltete die Landwirtschaftsausstellung in West-Berlin auf die Landbevölkerung der DDR - vor allem auf die dort verbliebenen Bauern - eine wachsende Anziehungskraft, so dass die ostdeutsche Partei- und Staatsführung 1952 erstmals Händlern und Ausstellern die Teilnahme verbot. Ab Mitte der 1950er Jahre kontrollierten die Volkspolizei und das Ministerium für Staatssicherheit auch (potentielle) Besucher, ohne den Reiseverkehr bis zum Bau der Berliner Mauer wirksam unterbrechen zu können. Auch gezielt organisierte Gegenveranstaltungen vermochten Ostdeutsche nicht vom Besuch der "Grünen Woche" abzuhalten. Vor allem nach dem offiziellen Abschluss der Kollektivierung in der DDR intensivierte besonders die Bundesregierung den "Grüne[n] Ausstellungkampf" (461). Dabei wurde sie auch von den westlichen Alliierten unterstützt, deren Rolle in den 1950er Jahren in dem Buch aber trotz ihrer starken Präsenz in West-Berlin unterbelichtet bleibt. Bis 1961 übertraf die "Grüne Woche" als "Schnittstelle" (330) und "Drehscheibe" (469) zwischen Ost und West deutlich die Ausstrahlungskraft der DDR-Landwirtschaftsausstellung in Leipzig-Markkleeberg. Insofern blieb der Stellenwert der beiden Expositionen als "Kommunikations- und Interaktionsplattform" (454 f.) ungleich.
Neuere konzeptionelle Überlegungen zur "sozialen Praxis" aufnehmend, rekonstruiert Sven Schulze detailliert das Handeln, die Beziehungen und den Austausch unterschiedlicher Akteure - wie Politiker, Aussteller, Besucher und Geheimdienstagenten - auf den beiden Landwirtschaftsausstellungen. Auch die wechselseitigen Bezugnahmen und Reaktionen im Propagandakampf zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der DDR werden klar herausgearbeitet. Das hervorragend gestaltete und ausgestattete Buch belegt nachdrücklich und anschaulich, dass Landwirtschaftsausstellungen im Verhältnis zwischen den beiden Staaten durchweg der Repräsentation und Legitimation des jeweiligen politischen und wirtschaftlichen Systems dienten.
Allerdings werden die spezifisch politischen Motive der Akteure insgesamt überbetont. Die Neigung des Verfassers zu einer retrospektiven Politisierung wird bei der Interpretation des Handelns von DDR-Bürgern besonders deutlich. So deutet Sven Schultze den Besuch der "Grünen Woche" durch Ostdeutsche, die SED-Funktionäre zuvor bedroht hatten, als "im weiteren Sinne widerständiges Verhalten" (321). Hier hätten die von der vergleichenden Diktaturforschung erarbeiteten Kategorien zur Interpretation abweichenden Verhaltens (so "Nonkonformität", "Protest", "Dissidenz" und "Resistenz") expliziter reflektiert und genutzt werden sollen, um soziales Handeln klarer, nuancierter und differenzierter einzuordnen. Auch bleibt die Perspektive zumindest in der Darstellung zu den 1950er Jahren weitgehend auf die bilateralen Beziehungen zwischen den beiden deutschen Staaten begrenzt. Demgegenüber wird die Vermittlung des jeweiligen gesamtdeutschen Vertretungsanspruches gegenüber den westlichen bzw. östlichen Bündnispartnern vernachlässigt.
Alles in allem hat Sven Schultze mit seinem Buch, das aus einer 2013 angenommenen Dissertation hervorgegangen ist, aber überzeugend, umfassend und kenntnisreich nachgewiesen, dass Landwirtschaftsausstellungen für die Geschichte Deutschlands in den beiden Nachkriegsjahren keineswegs marginal waren. Darüber hinaus zeigt die gut lesbare Monographie die Erkenntnismöglichkeiten von geschichtswissenschaftlichen Untersuchungen zu Ausstellungen im geteilten Deutschland. Deren Analyse eröffnet weiterführende Einsichten und Befunde zu den Herrschaftsansprüchen und zur Propaganda, zu den Repräsentationsformen und zu den Handlungsspielräumen in den beiden deutschen Staaten. Nicht zuletzt waren Expositionen Seismographen des deutsch-deutschen Verhältnisses. Allein diese Erkenntnisse sind in einer Forschungslandschaft, die agrar- und konsumgeschichtliche Fragestellungen immer noch vernachlässigt, ein beträchtlicher Fortschritt. Darüber hinaus zeichnet sich Sven Schultzes Studie durch ihre breite empirische Grundlage aus. An dem Buch werden sich weitere Untersuchungen messen lassen müssen.
Anmerkung:
[1] Kristina Vagt: Politik durch die Blume. Gartenbauausstellungen in Hamburg und Erfurt im Kalten Krieg (1950-1974), Hamburg 2013.
Arnd Bauerkämper