Janet Burton (ed.): Historia Selebiensis Monasterii. The History of the Monastery of Selby (= Oxford Medieval Texts), Oxford: Oxford University Press 2013, XCVI + 178 S., ISBN 978-0-19-967595-1, GBP 85,00
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a) Ein zur Ehre der Altäre erhobener Mittelfinger, ein Diebstahl aus frommem Ansinnen und heimliche Flucht des Täters, Visionen und ein Heiliger, der selbst kund und zu wissen gibt, wo die künftige Stätte seiner Verehrung sein soll, und schließlich Wunder über Wunder
b) Die Anstrengungen einer Klostergründung, eine günstige naturräumliche Beschaffenheit der Umgebung, die notwendige Ausstattung mit Land und sonstigem materiellem Gut, die verschiedenen Bauphasen
c) Die frühen Äbte als charakteristische Typen: Der Baumeister, der Choleriker, der fromme Überforderte, der Zupackende
d) Krisen, Spannungen, Intrigen und hochkochende Emotionen
e) Ein Autor, der nach deutlichem Understatement in der Einleitung seine gehobene Bildung durch geschliffenes Latein und fundierte Kenntnisse biblischer und weiterer gelehrter Texte umso heller strahlen lässt
Alle diese Inhalte machen den um 1180 geschriebenen und hier in einer lateinisch-englischen Fassung vorliegenden Text zu einer in hohem Maße geeigneten Seminarlektüre. Sicherlich gehört dazu auch die relative Kürze der in 37 Kapiteln gegliederten und gerade einmal, für beide Sprachen, gut 150 Seiten umfassenden Geschichte des Klosters Selby, südlich von York am Fluß Ouse gelegen.
Denn er offeriert eine Rezeption über unterschiedliche Annäherungen, wie sie hagiographische und historiographische Texte aufweisen können: Der Text beinhaltet sowohl exemplarisch Aspekte der Reliquienverehrung, Vitenschreibung, Translations-, Visions- und Mirakelberichte als auch Ausführungen zur causa scribendi des Autors und Angaben zur der Art und Weise, welche Quellen zur Geschichte von Selby er für seine Darstellung nutzte, nämlich eigenes Wissen ebenso wie die Augen- und Ohrenzeugenberichte älterer Zeitgenossen und die materielle Kultur, wie er sie in seinem Kloster vorfand.
Zwar mögen in der englischen Übersetzung einige sprachliche Finessen des lateinischen Textes verloren gehen, dafür bietet sie jedoch ein zupackendes, modernes, aber keineswegs flapsiges Englisch, das heutigen Rezipienten ein flüssiges Lesen des Inhalts erleichtert, bei gleichzeitiger Möglichkeit des Abgleichs mit dem lateinischen Original.
Der einleitende Kommentar gibt die für die Einordnung des Textes notwendigen Zusatzinformationen für eine nationale Rezeption in England: Die Historia Selebiensis Monasterii ist aus einem zweiteiligen Manuskript ausgekoppelt, dessen zweiter Teil die Gesta des heiligen Germanus erzählt, dessen Gebeine in Auxerre verehrt werden. Es handelt sich nicht um ein Autograph, sondern um eine Abschrift aus einer Hand, die in dieser Form ausschließlich in der Bibliothèque nationale de France als MS Latin 10940 überliefert ist. Janet Burton interpretiert dies so, dass das Kloster Auxerre die Gründung von Selby als Teil der eigenen Geschichte akzeptierte und das englische Kloster als eine, wenn auch auf den Diebstahl einer Reliquie gründende, Filiation.
Die Verbindung zu Auxerre einerseits und zum normannischen Königshaus andererseits sieht sie als die beiden hauptsächlichen Stränge, die sich durch den gesamten Text ziehen. Die politische Dimension der Klostergründung sei dabei kaum zu überschätzen: Selby kann als das erste Kloster im Norden Englands nach der normannischen Eroberung unter Wilhelm I. angesprochen werden und damit gleichzeitig als eines, das immer wieder neu seine Position gegenüber auch rivalisierenden Königen sowie den Bischöfen von York ausloten und behaupten musste. Wenn zur causa scribendi allerdings gehört hätte, dem Kult des Thomas von Canterbury im Norden etwas Gleichwertiges an die Seite zu stellen oder die Verehrung, wie sie John of Beverley und Cuthbert of Durham zuteilwurde, auf einen weiteren Heiligen auszudehnen, müsste man dies wohl als erfolgloses Unterfangen betrachten.
In einem Überblick werden die Äbte von Selby im ausgehenden 11. und im 12. Jahrhundert in knappen Biographien und ihren familiären und politischen Netzwerken vorgestellt. Des Weiteren werden die Außenkontakte des Klosters beschrieben: seine Beziehungen zu anderen monastischen Gemeinschaften in England, seine guten Verkehrsanbindungen zu Land und zu See und seine Bedeutung als reicher und einflussreicher Grundbesitzer.
Die durch den Heiligen bewirkten Wunder werden in einer Übersicht aufgelistet. Ihre Auswertung ergibt, dass der Autor ihn als einen Heiligen zu etablieren suchte, der in Kriegszeiten als bewährter und durchaus auch rächender Schützer der Seinen und in Friedenszeiten erfolgreich als Helfer und Fürsprecher in ganz unterschiedlichen prekären Situationen angerufen werden konnte. Seine Reliquie wurde, so zeigt es der Text an einem Beispiel aus dem praktischen und pragmatischen Wirtschaftshandeln des Klosters, sogar als Unterpfand in einem Geldleihgeschäft akzeptiert.
Als Adressatenkreis sieht Burton in erster Linie die monastische Gemeinschaft von Selby selbst: Der Text sei geeignet, liturgische Feierlichkeiten zu ergänzen, in die individuelle lectio divina und die gemeinsame Tischlesung miteinbezogen zu werden, Material für Predigt und Unterweisung bereit zu halten und damit insgesamt identifikationsstiftend für das kollektive Gedächtnis des Klosters zu wirken.
Eine Bibliographie mit fast ausschließlich englischsprachigen Titeln, ein Index der Zitate und Anspielungen auf biblische, patristische und andere mittelalterliche Texte sowie ein Orts- und Personenverzeichnis runden diesen Band aus der Reihe der Oxford Medieval Texts ab.
Gudrun Gleba