Nicole Guenther Discenza / Paul E. Szarmach (eds.): A Companion to Alfred the Great (= Brill's Companions to the Christian Tradition; Vol. 58), Leiden / Boston: Brill 2015, XIV + 469 S., ISBN 978-90-04-27484-6, EUR 168,00
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N. P. Brooks / S. E. Kelly (eds.): Charters of Christ Church Canterbury. Part 1, Oxford: Oxford University Press 2013
Ulrike Matzke: England und das Reich der Ottonen in der ersten Hälfte des 10. Jahrhunderts. Beziehung und Wahrnehmung von Angelsachsen und Sachsen zwischen Eigenständigkeit und Zusammengehörigkeit, Bielefeld: Verlag für Regionalgeschichte 2009
Richard Gorski (ed.): Roles of the Sea in Medieval England, Woodbridge / Rochester, NY: Boydell & Brewer 2012
In der Reihe Brill's Companions to the Christian Tradition, die sich dem intellektuellen und religiösen Leben in Europa von 500 bis 1800 widmet, ist in den letzten zehn Jahren die beeindruckende Zahl von 60 Bänden publiziert worden, die vor allem einzelnen Theologen gelten, zum Teil aber auch breitere Themen mit einem Schwerpunkt auf dem Mittelalter in den Blick nehmen. Die Reihe umfasst Handbücher und Nachschlagewerke, und auch die Herausgeber des Bandes zu König Alfred dem Großen von Wessex (871-899) formulieren als Ziel, dass die Publikation erfahrene Wissenschaftler unterstützen und neue Leser in das Feld einführen möge (9). Allerdings - dies sei bereits an dieser Stelle vorweggenommen - bietet der Aufsatzband kaum überblickshafte Einführungen oder gar Übersichten über den Gang der Forschung oder über zentrale Forschungspositionen, zudem werden auch keine zukünftigen Forschungsfelder umrissen, sondern meist nur eigene Fragestellungen der Autoren zu sehr spezifischen Themengebieten verfolgt. Außerdem stammen fast alle der 13 Beiträge von elf Verfassern aus den Sprach- und Literaturwissenschaften; acht Autoren sind auf dem Feld des Altenglischen tätig und vor allem als Editoren der Werke aus dem Umfeld Alfreds hervorgetreten. Lediglich drei Autoren, der Historiker Simon Keynes, die Kunsthistorikerin Leslie Webster und die Mittellateinerin Rosalind Love, gehören anderen Disziplinen an, es fehlen damit so prominente Forscher zu Alfred dem Großen wie der Mittellateiner Michael Lapidge oder von geschichtswissenschaftlicher Seite Janet Nelson, David Pratt oder Anton Scharer. Besonders auffällig ist das Fehlen von Theologen und Kirchenhistorikern.
Aus dieser Zusammensetzung des Verfasserfeldes resultiert der Aufbau des Bandes: Gleichsam als 'Vorspann' fungieren die drei fachfremden Beiträge, die unter der Rubrik "Context" versammelt werden: Keynes behandelt die wichtigsten Phasen in der königlichen Herrschaft Alfreds, wobei er als neuen Akzent eine stärkere Einbeziehung der numismatischen Forschung bietet. Webster untersucht die im Umfeld des Königs von Wessex entstandene Kunst und betont dabei vor allem die kontinentalen Einflüsse aus dem Westfrankenreich und aus Rom. Love konzentriert sich in ihrem Beitrag in erster Linie auf die Tradition der lateinischen Kommentare zu Boethius' 'De consolatione philosophiae' im Frühmittelalter. Wünschenswert wäre insbesondere eine überblickshafte Darstellung der lateinischen Überlieferung in der zweiten Hälfte des 9. Jahrhunderts in England gewesen, auch da sich die folgenden Aufsätze vor allem mit der Übersetzungstätigkeit im Umfeld Alfreds des Großen beschäftigen und damit mit volkssprachlichen Adaptionen.
Im Zentrum der weiteren Beiträge steht die Autorfrage, was sich auch an der Gliederung des Bandes zeigt: Die Sektion mit dem Titel "Alfred as Author" wird durch zwei einführende Aufsätze zu Alfred als Verfasser und Übersetzer bzw. zu den Prologen und Epilogen eröffnet, darauf folgen fünf Studien, die jeweils einem der Werke aus dem "Royal Corpus" gewidmet sind; der König gilt ja als Übersetzer und Verfasser der Prologe bzw. Epiloge von fünf Werken, nämlich der Prosa-Psalmen des Pariser Psalters, der 'Soliloquia' des Augustinus, von 'De consolatione philosophiae' des Boethius, der 'Cura Pastoralis' Gregors des Großen sowie einer Kompilation von Gesetzen englischer Könige. In die abschließende Sektion des Sammelbandes unter dem Titel "Alfrediana" sind drei Aufsätze eingeordnet, die sich den im weiteren Umfeld des Königs entstandenen Übersetzungen widmen; zu diesem Corpus gehören sicher die altenglischen Fassungen der Historien des Orosius und der 'Dialogi' Gregors des Großen, außerdem frühe Teile des 'Anglo-Saxon Chronicle', wohingegen die altenglische Übersetzung von Bedas Kirchengeschichte inzwischen nicht mehr mit Alfred in Verbindung gebracht wird. Bedauernswert, aber bei der auf volkssprachliche Werke ausgerichteten Konzeption des Sammelbandes folgerichtig ist, dass - im Gegensatz zum altenglischen 'Anglo-Saxon Chronicle' - die zu Lebzeiten Alfreds entstandene Herrschervita seines Vertrauten Asser nicht mit einer eigenen Studie gewürdigt wird.
In den sprach- und literaturgeschichtlichen Beiträgen wird eine Forschungsrichtung fortgeführt, die mit Auffälligkeiten wie der Ähnlichkeit von Stilebenen, der Verwendung seltener Worte und Phrasen oder der Übereinstimmung in der Syntax bestimmte Werke einem Verfasser bzw. Übersetzer zuweisen will. Dahinter stehen moderne Vorstellungen eines individuellen Stils und damit einer Homogenität, die in jüngeren Theorien zur Autorschaft aber immer mehr in Frage gestellt werden. Doch selbst aus dieser traditionellen Perspektive sollte man zumindest von Zeit- oder Gruppenstilen ausgehen, die gleichwohl eine Zuweisung an eine einzige Person problematisch erscheinen lassen. Die genannten Kriterien dieser Forschungsrichtung sind für die Zeit König Alfreds umso heikler, da es sich im Fall der altenglischen Texte nicht um neu verfasste Werke, sondern um Übersetzungen handelt. Zudem sind keine Autographen aus dem Umfeld Alfreds erhalten geblieben, weswegen textliche Veränderungen, ja Angleichungen an spätere Sprachstile und Funktionalisierungen sogar wahrscheinlich sind. In den Aufsätzen des Sammelbandes finden sich durchaus differenzierte Einschätzungen und ein Problembewusstsein in Hinblick auf die verwendete Methodik, aber auffälligerweise gerade die prominenten Kritiker dieser Zuweisungen an Alfred fungieren nicht als Autoren des Bandes. Neben der Autorfrage werden in dem Sammelband aber auch andere Fragestellungen verfolgt und Themenfelder beleuchtet, so die handschriftliche Überlieferung, Sammlungskontexte, gedankliche Traditionen, Übersetzungstechniken, Texttraditionen, Einflüsse oder die spätere Nutzung der Texte.
Anders als in vielen anderen Handbüchern sind dem Sammelband nur wenige Abbildungen und keine Karten oder Tabellen beigegeben: 15 Illustrationen bebildern den kunsthistorischen Aufsatz, hinzu kommt eine Abbildung mit Münzen zum geschichtswissenschaftlichen Beitrag von Simon Keynes. Die Einleitung umfasst neun Seiten und bietet wie in vergleichbaren Tagungsbänden vor allem Zusammenfassungen der Aufsätze. Eine kommentierte Bibliographie zur Behandlung der Autorschaftsfrage in der Forschung seit dem 19. Jahrhundert im Anhang unterstreicht das vorrangige Interesse der Herausgeber an diesem Thema. Die Bibliographie der zitieren Literatur ist alphabetisch aufgebaut; zentrale oder einführende Publikationen werden nicht herausgehoben. Neben Verzeichnissen mit den akademischen Biographien der Autoren, Abbildungen und Abkürzungen erschließt ein Register, in welchem historische Personen und moderne Forscher, zudem Werke und Handschriften, geographische Orte, einige Objekte und ausgewählte Themen aufgeführt werden, die Publikation.
Der Sammelband macht nur wenige Angebote für einen Dialog mit der Geschichtswissenschaft, am ehesten noch auf dem Feld der Bildungsreform in Wessex im ausgehenden 9. Jahrhundert. Zudem beschränkt sich der Band allein auf die letzten zehn Regierungsjahre Alfreds, in welchen die behandelten altenglischen Werke entstanden sind. Auch wenn der Sammelband in einer Reihe zur christlichen Tradition erschienen ist, so fehlt aus geschichtswissenschaftlicher Sicht zumindest eine größere Bezugnahme zu vielen weiteren, oftmals in der Forschung strittigen Themen. So könnte man hier zum Beispiel nennen die Wikingerangriffe, die Kriegsführung und Mechanismen der Konfliktlösung, die Kontakte zum Kontinent, das Selbstverständnis und die Herrschaftsrepräsentation des Königs, die Herrschaftspraxis und die Gliederung des Hofs bzw. des weiteren königlichen Umfelds, den Aufbau militärischer, rechtlicher, wirtschaftlicher und kirchlicher Strukturen, die religiöse Kultur oder die Artikulationen proto-nationaler Identitäten, mit deren Entstehung immer wieder Alfred der Große in Verbindung gebracht wurde.
Andreas Bihrer