Martin Röw: Militärseelsorge unter dem Hakenkreuz. Die katholische Feldpastoral 1939-1945 (= Krieg in der Geschichte (KRiG); Bd. 83), Paderborn: Ferdinand Schöningh 2014, 474 S., ISBN 978-3-506-77848-2, EUR 56,00
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In den letzten 15 Jahren erlebten der Erste, insbesondere jedoch der Zweite Weltkrieg eine Hochphase als Forschungsgegenstand der Geschichts- und Sozialwissenschaft. Viele neue Studien sind erschienen, die Krieg und Kriegserlebnis unter unterschiedlichsten Gesichtspunkten betrachteten und vor allem die Kriegserfahrungen der Soldaten in den Vordergrund rückten. Große Desiderate bestehen aber weiterhin in Hinblick auf die Kirchengeschichte: So ist beispielsweise die Wehrmachtseelsorge in weiten Teilen völlig unerforscht. Zwar wurden in vereinzelten Untersuchungen deren Strukturen aufgearbeitet, die Verknüpfungen mit weiteren Aspekten wie dem Alltag der Geistlichen oder ihrem Selbstverständnis unterblieben jedoch häufig. Martin Röw bietet mit seiner umfangreichen Studie zur deutschen Militärseelsorge im Zweiten Weltkrieg nun einen Einblick in dieses bislang wenig erforschte Feld. Er versteht seine Dissertation als "umfassende Struktur- und Erfahrungsgeschichte" (12), die sich dem Spannungsverhältnis zwischen katholischer Kirche und nationalsozialistischem Regime und damit explizit einer der Hauptfragen der kirchlichen Zeitgeschichte widmet. Den Verfasser interessiert vor allem, inwieweit sich Militärpfarrer in einem Zwiespalt befanden. Röw analysiert dabei nicht nur die Strukturen und Praxis der Wehrmachtseelsorge, sondern nimmt auch den Dienstalltag der Geistlichen und ihr Selbstverständnis in den Blick.
Methodisch schöpft der Autor aus dem Reservoir der Erfahrungs- und Mentalitätsgeschichte. Dabei geht er näher auf die Biographien einzelner Geistlicher ein, um über diese mikrohistorische Perspektive die Makrogeschichte zu erschließen. Eine vergleichende Betrachtung der katholischen mit der protestantischen Seelsorge lehnt der Autor mit Hinblick auf den Umfang und die methodischen Tücken einer solchen Arbeit bewusst ab. Besonders hervorzuheben ist die ausführliche und mustergültige quellenkritische Betrachtung, die der Autor vornimmt. Als Quellen dienen Röw nicht nur Selbstzeugnisse der Pfarrer wie Briefe oder Tagebücher; auch Predigten und amtliche Dokumente wie Personalakten oder Dienstberichte finden Beachtung.
Röw beginnt seine Monographie mit einer Einbettung des Komplexes Militärseelsorge in den historischen Kontext, indem er - unter einer präzisen Erläuterung des Milieubegriffs - das grundsätzliche Verhältnis von katholischer Kirche und Nationalsozialismus skizziert. In insgesamt sechs Kapiteln widmet sich der Autor dem Hauptteil seiner Arbeit. Das erste Kapitel beschäftigt sich mit den Strukturen und Akteuren der Seelsorge im Krieg. Nach einer Erläuterung des Aufbaus der Militärseelsorge stehen besonders die Geistlichen mit ihren Charakterzügen und ihrer persönlichen Motivation im Mittelpunkt. In präzisen Analysen kommt Röw zu dem Ergebnis, dass sich zwar kein Idealtypus eines Militärpfarrers erkennen lässt, sie jedoch alle über einen ähnlichen Wissenshorizont verfügten. So fand vor Dienstantritt eine Überprüfung sowohl von staatlicher als auch von kirchlicher Seite statt, die extreme Charaktere oder vermeintlich politisch Unzuverlässige direkt vom Dienst ausschloss. Mit der Frage, inwieweit das NS-Regime Einfluss auf Konzeption und Praxis der Betreuung der Soldaten nahm, schließt das folgende Kapitel an die Strukturen der Seelsorge an. Röw zeigt auf, dass die Militärseelsorge zwar geduldet, aber keineswegs erwünscht gewesen sei. Die konkreten Rahmenbedingungen hingen allerdings stark von den Befehlshabern ab.
Diese Befunde werden im dritten Kapitel zu Möglichkeiten und Grenzen der Seelsorge vertieft. Der Autor beschreibt den Gottesdienst als zentrales Element der Militärseelsorge, dessen Vorbereitung und Gestaltung viel Zeit in Anspruch nahm. Die Pfarrer wurden dabei jedoch nur bedingt unterstützt: Zwar stellte ihnen die Wehrmacht Kultgeräte zur Verfügung, Texte und Schriften gab es jedoch kaum. Besonders interessant ist die Frage nach interkonfessioneller Zusammenarbeit an der Front. Bei interkonfessionellen Feiern arbeiteten katholische und evangelische Geistliche durchaus zusammen, jedoch fanden diese Veranstaltungen nur wenig Anklang bei den Soldaten. Die Betreuung von verwundeten und vor allem von sterbenden Soldaten sieht Röw als schwerste Aufgabe der Seelsorger; dieser starken seelischen Belastung waren nicht alle gewachsen.
Im folgenden und umfangreichsten Kapitel diskutiert der Autor das Selbstverständnis der Pfarrer. Dabei kommt Röw zu dem wenig überraschenden Ergebnis, dass die Geistlichen ein ambivalentes Verhältnis zum Krieg und dem nationalsozialistischen Regime hatten. Die Unterstützung des Krieges und der Soldaten wurde von den Pfarrern oftmals als gottgewollte Pflicht gegenüber den Gläubigen betrachtet. Das Selbstverständnis der Pfarrer war geprägt von Autorität und Gehorsam. Röw zeigt auf, dass es eine beachtliche Zahl Geistlicher gab, die bedingt durch Nationalismus und die schnellen Kriegserfolge von wirklicher Begeisterung erfasst wurden. Pfarrer mit einer deutlich erkennbaren Affinität zum Nationalsozialismus seien allerdings Einzelfälle gewesen. Ein weiteres Kapitel setzt sich mit der Kommunikation der Geistlichen auseinander, wobei der Autor die Kommunikationsräume im Dienst wie das Freizeitverhalten der Pfarrer untersucht. Zwischen den Pfarrern und den Soldaten fand ein kontinuierlicher Austausch statt, wobei Glaube und Religion als sinnstiftendes Element im Mittelpunkt standen. Leider geben die Quellen keinen Aufschluss darüber, wieviele Soldaten tatsächlich vom Angebot der Seelsorge Gebrauch gemacht haben. So zeichnet Röw ein sehr heterogenes Bild der Freizeitaktivitäten der Militärpfarrer: Während einige sogar ihre dienstfreie Zeit der Seelsorge widmeten und beispielsweise Zivilisten betreuten, nahmen andere an Unternehmungen der Truppe teil oder besuchten das Offizierskasino.
Das letzte Kapitel widmet sich dem weiten Feld der Kriegserfahrung: Wie nah waren die Geistlichen tatsächlich am militärischen Geschehen? Auch hier zeigt sich wieder deutlich, wie heterogen Kriegserlebnis und Kriegserfahrung sein konnten. Während die Pfarrer an der Westfront viel mehr mit der Besatzungsherrschaft als mit dem eigentlichem Kriegsgeschehen konfrontiert wurden, waren die Erlebnisse an der Ostfront oft von brutaler Gewalt geprägt.
Martin Röw legt mit seiner Dissertation eine aufschlussreiche, facettenreiche und gut lesbare Studie vor, die viele Anknüpfungspunkte für weitere Untersuchungen bietet. Besonders die einzelnen Zusammenfassungen am Ende jedes Kapitels ermöglichen dem Leser einen gut strukturierten Einstieg in das Thema. Leider geht das Quellenverzeichnis nicht über eine bloße Übersicht der genutzten Archive hinaus. An dieser Stelle wäre eine detailliertere Auflistung wünschenswert gewesen.
Katharina Grannemann