Doris Danzer: Zwischen Vertrauen und Verrat. Deutschsprachige kommunistische Intellektuelle und ihre sozialen Beziehungen (1918-1960) (= Freunde - Gönner - Getreue. Studien zur Semantik und Praxis von Freundschaft und Patronage; Bd. 5), Göttingen: V&R unipress 2012, 576 S., ISBN 978-3-89971-939-0, EUR 67,90
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Über das Verhältnis von Intellektuellen zur kommunistischen Bewegung ist bereits viel gesagt und geschrieben worden. Doris Danzer nimmt sich des Themas aus einer spezifischen Perspektive an, indem sie fragt, welche Rolle hierbei persönliche Kontakte, Freundschaften, aber auch Konkurrenzverhältnisse spielten. In ihrer an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg angefertigten Dissertation untersucht sie exemplarisch die Lebensläufe von Willi Bredel, Wieland Herzfelde und Anna Seghers - dreier kommunistischer Intellektueller also, die bereits während der Weimarer Republik zur Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD) fanden, während der nationalsozialistischen Herrschaft im Exil lebten und danach in die DDR kamen, um am Aufbau einer sozialistischen Gesellschaft mitzuwirken. Danzers Interesse gilt dabei nicht der Ebene politischer Überzeugungen und Ideen, sondern primär den "sozialen Beziehungen" der ausgewählten Personen. Dieser Zugang wird damit begründet, "dass soziale Beziehungen eine erhebliche Rolle für den Eintritt und die lebenslange Zugehörigkeit zur KPD spielten" und dass sie "Rückschlüsse auf den persönlichen Charakter von Intellektuellen, auf ihr Verhältnis zur Partei sowie auf ihre individuellen Handlungsspielräume" erlaubten (19). Insgesamt soll so zur Erforschung von "Gründen für die Faszination des Kommunismus unter Intellektuellen im 20. Jahrhundert" (18) beigetragen werden.
Auf übergreifende Leitfragen gibt das Buch lediglich verstreute Hinweise (siehe etwa 19f., 73, 101f., 537). Pointiert formuliert ließe sich zusammenfassen, dass es der Autorin um den Zusammenhang zwischen den sozialen Beziehungen der drei Hauptpersonen und ihrer Zugehörigkeit zur kommunistischen Bewegung geht. Dabei interessieren sie, so scheint es, insbesondere zwei Frageperspektiven: Wie wirkten sich persönliche Beziehungen auf die Zugehörigkeit zur kommunistischen Bewegung aus? Und welchen Einfluss erlangte die Parteiführung auf die zwischenmenschlichen Beziehungen ihrer Mitglieder? Danzers Untersuchung kann sich dabei auf eine breite Quellengrundlage stützen: Herangezogen wurden die umfangreiche Korrespondenz der drei Intellektuellen, die zu großen Teilen in publizierter Form vorliegt, weitere archivalische Nachlassdokumente sowie (kultur)politische Unterlagen der KPD, Kommunistischen Internationalen (Komintern) und Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED).
Die Studie ist überwiegend chronologisch gegliedert. Nach einer Einleitung (I.) und einem begriffsgeschichtlichen Überblickskapitel zu den "Emotionale[n] Schlüsselbegriffe[n] des Sozialismus: Brüderlichkeit - Solidarität - Kameradschaft - Freundschaft" (II.) werden in den folgenden drei Hauptkapiteln jeweils die Lebensläufe Bredels, Herzfeldes und Seghers in den Jahren der Weimarer Republik (III.), des Exils (IV.) und der DDR (V.) dargestellt, wobei das Hauptaugenmerk stets auf deren sozialen Kontakten liegt. Dadurch wird ein weit gespanntes Netzwerk kommunistischer Aktivisten rekonstruiert; neben den drei Hauptpersonen geraten so zahlreiche weitere Protagonisten in den Blick. Beschlossen wird das Buch durch eine kurze "Konklusion" (VI.).
Danzer zeigt in ihrer Studie die tiefgehende Ambivalenz von Kategorien wie "Brüderlichkeit, Solidarität, Kameradschaft und Freundschaft", die von der Kommunistischen Partei propagiert wurden, um den Zusammenhalt der Bewegung zu stärken und einem Denken in Freund-Feind-Schablonen Vorschub zu leisten (537) - dabei aber an die strikten politischen Vorgaben der Partei gebunden blieben. Freundschaft endete stets an den "Grenzen der Parteigemeinschaft" (539). Persönliche Freundschaft und Parteidisziplin miteinander in Einklang zu bringen, erforderte vor diesem Hintergrund ständige schwierige Balanceakte. Obwohl die Partei oftmals dazu beitrug, zwischenmenschliche Beziehungen zu gefährden, und Neid und Misstrauen unter den Genossen beförderte, spielten individuelle Vertrauensverhältnisse und persönliche Sympathien im gesamten Untersuchungszeitraum eine zentrale Rolle: In den Jahren der Weimarer Republik für die Hinwendung zur kommunistischen Bewegung, während des Exils als unentbehrliche Grundlage für organisatorische und materielle Hilfe und in der DDR zur Festigung bzw. Verteidigung der eigenen Position.
Danzers Studie hat das Verdienst, materialreich und lebendig die Geschichte der drei Hauptpersonen nachzuerzählen. Die phasenweise geradezu mikrohistorische Beschreibung entwirft ein umfassendes Tableau, wobei immer wieder interessante Details geschildert werden, so etwa die negativen Auswirkungen, welche Abhängigkeiten und ungleichgewichtige Hilfeleistungen auf Freundschaften während der Jahre von Flucht und Exil gewannen, oder die besonders schwierige Situation von Anna Seghers als Mutter zweier Kinder im Exil (wobei hier eine systematischere Analyse der spezifischen Situation Segers' als weibliche Intellektuelle wünschenswert gewesen wäre).
Kritisch ist allerdings anzumerken, dass die rund 540 Seiten lange Arbeit weitgehend auf eine tiefergehende Analyse und einen theoretischen Bezugsrahmen verzichtet. Sie kann daher kaum übergreifende Ergebnisse präsentieren. Über weite Passagen hinweg referiert die Verfasserin bereits Bekanntes, in dem Bemühen um Kontextualisierung zitiert sie immer wieder lange Passagen aus Überblickswerken oder gibt Sekundärliteratur zu den drei Hauptpersonen wieder. Darüber hinaus muss betont werden, dass die ausschließliche Konzentration auf soziale Beziehungen und die gleichzeitige Vernachlässigung anderer Faktoren - so insbesondere von Weltbildern, Wert- und Glaubensvorstellungen - deutlich zu kurz greift, um das Engagement von Intellektuellen für den Kommunismus zu erklären. Diese Feststellung gilt trotz der gelegentlichen Hinweise der Autorin auf die "Hoffnung" oder den "Glauben" der untersuchten Personen an "eine Verwirklichung ihrer Ideale und Werte im Sozialismus" (540f.). Einen umfassenden und theoretisch fundierten Ansatz hat etwa Thomas Kroll in seiner 2007 erschienenen Habilitationsschrift präsentiert, die in Danzers Literaturverzeichnis zwar auftaucht, offensichtlich aber kaum rezipiert wurde: Darin beschreibt Kroll die Haltung kommunistischer Intellektueller als "säkularen politischen Glauben", der mithilfe idealtypisch gefasster ideeller und struktureller Faktoren erklärt wird. Letztere umfassen dabei auch den Einfluss des sozialen Umfeldes.
Trotz dieser Monita bleibt Danzers Studie aber durchaus lesenswert, denn sie bietet eine Fülle an Details und interessanten Nahaufnahmen, welche die Komplexität, Widersprüchlichkeiten und Zwänge im Leben prominenter kommunistischer Parteiintellektueller eindringlich erkennen lassen.
Eva Oberloskamp