Krisztina Fehérváry: Politics in Color and Concrete. Socialist Materialities and the Middle Class in Hungary, Bloomington, IN: Indiana University Press 2013, XV + 288 S., ISBN 978-0-253-00994-4, USD 35,00
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Diese Rezension erscheint auch in der Zeitschrift für Ostmitteleuropa-Forschung.
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Krisztina Fehérváry geht in ihrer Studie der Frage nach Transformationen und ihrer Bedeutung in der materiellen Welt der ungarischen Mittelschicht in der postkommunistischen Periode nach. Anhand von Interviews und diversen publizierten Quellen analysiert sie unterschiedliche Facetten der Alltagsästhetik im Raum der Industriestadt Dunaújváros und blickt dabei bis zu ihrer Entstehungszeit in den frühen 1950er Jahren zurück. Die Untersuchungsperiode erstreckt sich bis zum Jahr 2000. Dabei konzentriert sie sich auf die Wohnkultur, analysiert diese aus der Perspektive sowohl der Stadtplanung und Hausarchitektur als auch der Wohnraumgestaltung und untersucht eingesetzte Stoffe und Farben, um so die mentale und identitätsstiftende Veränderung innerhalb der ungarischen Mittelschicht nachzuzeichnen und zu definieren. Gerade dieser anthropologische Ansatz, einen Teil der Gesellschaft durch den Blick auf ihre Materialität im privaten Raum zu beschreiben, stellt ein Novum in der bisherigen Osteuropaforschung dar. Im Mittelpunkt dieser Studie stehen nämlich nicht die Konsumprodukte und ihre statusstiftende Rolle, sondern die Verbraucher mit ihren sozialen und konsumorientierten Vorstellungen und Erwartungen sowie den daraus resultierenden materiellen und mentalen Konsequenzen.
Den Untersuchungsraum bildet Dunaújváros. Entstanden 1951 als "Stalinstadt" (Sztálinváros) mit dem Anspruch, einen neuen Menschen zu gestalten, und lange Zeit von den Bewohnern als die "hässlichste Stadt Ungarns" (2) angesehen, bietet diese Stadt beste Möglichkeiten, das Wechselverhältnis zwischen der Politik und der materiellen Kultur und deren zahlreichen Bedeutungen und Interpretationen hinsichtlich ihrer Qualität als Lebensraum unter die Lupe zu nehmen. Die Autorin stellt die These auf, dass die moralischen, symbolischen und ökonomischen Bemühungen der ungarischen Mittelschicht für ein "normales" und "respektvolles" Leben in der Nachwendezeit aus dem robusten Alltag und der politisch geladenen Erfahrung des Staatssozialismus resultierten (2).
Den Ausgangspunkt der Studie bildet eine Analyse der Debatten um die Normalisierung beziehungsweise um den Begriff "normal" in der Transformationszeit Ungarns nach 1989. Durch diese Analyse wird ein geografischer, zugleich aber auch identitätsstiftender Bezug zwischen dem Ostblock und dem "normalen" Europa veranschaulicht. Als "normal" und zugleich "zivilisiert" galt demnach der Lebensstil im westlichen Europa sowie in den USA, der mit materiellen Vorstellungen vom "guten Leben" insbesondere im Konsumbereich in Verbindung gebracht wurde. Aus dieser Perspektive betrachtet, wurde der Alltag im kommunistischen Ungarn weitgehend als "anormal" bezeichnet, und somit gehörte die Vernichtung von sozialistischer Materialität im öffentlichen und privaten Raum nach 1989 zu dem umfassenden Versuch, eine neue kollektive und individuelle Identität der Mittelschicht zu etablieren (39). Die neue Mittelschicht Ungarns rekrutierte sich laut Fehérváry nun aus den "sozialistischen mittleren Schichten", die jedoch nicht durch die Klassenzugehörigkeit, sondern durch eine bestimmte Vorstellung von gutem, modernem und bequemem Leben verbunden war und sich oft durch ihre Materialität definierte. Wie Fehérváry zeigt, ist die Etablierung dieses Konzeptes eine Quintessenz der vorkommunistischen bürgerlichen Werte, der in der kommunistischen Zeit erweckten Vorstellungen und Erwartungen sowie der postkommunistischen Rhetorik.
Um die Vorstellung von dem, was nach 1989 als "normal" bezeichnet wurde, zu veranschaulichen, zeichnet die Autorin in den nachfolgenden Kapiteln 2-5 fünf unterschiedliche ästhetische Richtungen nach, von ihr "aesthetic regimes" genannt. Sie unterstreicht dabei, dass keine der Richtungen eine andere gänzlich ersetzte, sondern dass sich diese komplementierten oder gleichzeitig existierten. Demnach visualisierte der sozialistische Realismus der frühen 1950er Jahre die Bestrebungen des Staates, eine der bürgerlichen Gesellschaft widersprechende neue Gesellschaft zu formen. In der materiellen Kultur basierte diese Ästhetik jedoch auf neoklassischen Formen und soliden Materialien (zum Beispiel Holz und Keramik), die sich noch an bürgerlichen Qualitätsmaßstäben orientierten. Im Zuge der Verurteilung des Stalinismus nach 1956 setzte die nachfolgende Ära János Kádárs demgegenüber auf Modernisierung durch Konsum und Materialität. Die propagierte Modernität war demnach nicht als Lebensform oder Norm zu verstehen, sondern als Wohlstandsvisualisierung durch eine Vielfalt von persönlich gestalteten, meist geometrischen und klaren Formen. Diese waren zwar von westlichen Entwicklungen inspiriert, sollten jedoch die sozialistische Gesellschaft als modern und fortgeschritten zur Schau stellen. Nun erweckte diese politisch projektierte Utopie in der Gesellschaft Konsumvorstellungen und materielle Aspirationen, die jedoch aufgrund ökonomischer Engpässe nicht realisiert werden konnten. Anstatt moderner Konsumprodukte sowie gemütlicher und individualisierter Wohnräume der "Socialist Modern" stellte der Staat kleine, uniformierte Plattenbauwohnungen aus kaltem Beton mit minderwertiger und monotoner No name-Ausstattung zur Verfügung, die Fehérváry "Socialist Generic" nennt.
Durch die Diskrepanz zwischen den politischen Prämissen und der alltäglichen Realität sowie aufgrund der allgemeinen Politisierung und Bürokratisierung entwickelte sich eine "hybride Form" der Konsumpraxen (80) mit einer zweiten Nischenökonomie, die meist auf Selbstverwirklichung basierte und danach strebte, private Wohnräume zu personalisieren. Wie die Autorin aufzeigt, beruhte der Unterschied zwischen "Socialist Modern" und "Socialist Generic" besonders stark auf deren Bewertung: Die Konsumgüter staatlicher Herstellung wurden durch ihre Qualität meist als minderwertig abgestempelt und die gesamte zwiespältige (Konsum)-Situation als "anormal" empfunden. Als Konsequenz entstand daraus durch den Wunsch, sich der staatlichen, unpersönlichen Wohnmaterialität entgegenzusetzen, das sogenannte "Organicist Modern". Diese ästhetische Richtung baute auf Gegensätzen zum "modernen Sozialismus auf und wandte sich dementsprechend organischen und zum Teil auch von Folklore inspirierten Stoffen sowie natürlichen Farben zu. Den uniformen Plattenbauwohnungen aus Beton in der Stadt wurden auf dem Land kleine Datschas aus Holz gegenübergestellt, die das Regime bereits weitgehend erlaubte.
Diese selbstentwickelte neue Form der materiellen Wohnkultur, die aufgrund des Lavierens zwischen den politisch gesteuerten Vorstellungen und der wirtschaftsbedingten Alltagssituation entstand, resultierte letztendlich in der ästhetischen Vorstellung der Mittelschicht nach 1989, von Fehérváry "Super-Natur Organicism" genannt. Die Diskrepanz zwischen dem Utopischen und dem Realen, zwischen der Vorstellung von Normalem und Nicht-Zivilisiertem sowie dem Östlichen und Westlichen bildete eine neue Identität der Mittelschicht, die in ihrer neuen Materialität nach 1989 Ansprüche auf einen europäischen, als normal empfundenen Standard ausdrückte: Der Individualismus der neu gebauten Familienhäuser, die als privates Eigentum in den Datschas ihren Ursprung hatten, sollte den kollektiven, kleinen und unbequemen Plattenbauwohnungen widersprechen.
Insgesamt liefert die Autorin anhand einer vielfältigen Analyse der Wohnkultur im Kontext politischer Debatten, alltäglicher Praxen und wirtschaftlicher Komponenten eine interessante Darstellung der Sehnsüchte und Aspirationen, aber auch der Selbstwahrnehmung und Bestrebungen der ungarischen Mittelschicht in der neu entstandenen Demokratie. Durch den großzügig angelegten Untersuchungszeitraum und einen spezifisch politischen Raum, den die Stadt Dunaújváros darstellt, bietet Fehérváry aufschlussreiche Einblicke in das Leben der ungarischen Mittelschicht im Kontext der politischen Evolution des sozialistischen Staates und der postkommunistischen Transformation.
Anna Pelka