John Marenbon: Pagans and Philosophers. The Problem of Paganism from Augustine to Leibniz, Princeton / Oxford: Princeton University Press 2015, XIII + 354 S., ISBN 978-0-691-14255-5, GBP 24,95
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"Leser, die durch die Wendung 'das Problem des Heidentums' irritiert sind, sollten nicht denken, dass es sich um ein berühmtes Problem handelt, das irgendwie durch das Netz ihrer Lektüren geschlüpft ist." (1) Mit dieser Erklärung beruhigt John Marenbon einleitend seine Leser. Da die befürchtete Irritation auch die Leser dieser Rezension beschleichen mag, sei diese ebenso begonnen. Worin besteht also das 'Problem des Heidentums', mit dem Marenbon lateinische Denker und Autoren von Augustinus (gest. 430) bis Gottfried Wilhelm Leibniz (gest. 1716) konfrontiert sieht? Es lässt sich auf drei eng miteinander verbundene Fragen bringen: nach dem (religiösen) Wissen der Heiden, nach ihren Tugenden und nach ihrer Erlösung.
Möchte man das Werk angemessen würdigen, muss man sich einige Voraussetzungen und Einschränkungen vor Augen halten, die in dessen Einführung angesprochen werden. Zunächst: Es handelt sich in erster Linie um ein philosophiegeschichtliches Buch (9-10). Das heißt, es geht nicht darum, wie Christen und Heiden interagierten, sondern um das, was Christen über Heiden dachten (4). Tatsächlich hat kaum einer der Autoren, die zu Wort kommen, persönlichen Kontakt zu Heiden gehabt. Obwohl das Verhältnis zum zeitgenössischen Heidentum nicht ausgeblendet wird, geht es vor allem um die Philosophen der griechisch-römischen Antike. Diejenigen Aspekte des Heidenbildes, die man, modern gesprochen, als religionswissenschaftlich bezeichnen könnte, werden nicht behandelt. Dies gilt - aus gut nachvollziehbaren Gründen - auch für den Islam (5).
In anderer Hinsicht ist Marenbon weniger genau mit den Grenzen seines Untersuchungsgegenstandes. Die (ohnehin nicht mögliche) Abgrenzung zur Theologie versucht er erst gar nicht. Es sind zwei andere Gruppen mittelalterlicher Werke, die er, das eigentlich zu erwartende Corpus explizit überschreitend, in die Untersuchung einführt: Reiseberichte, einerlei, ob sie reale und fiktive Reisen schildern, und die Dichtung. Insgesamt bewegt sich Marenbon in der Höhenkammliteratur. Dies gilt auch für die literarischen Werke: der Willehalm des Wolfram von Eschenbach, Dantes Divina Comedia und Boccaccio, Langland und Chaucer werden vornehmlich behandelt.
Der erste Teil beginnt mit dem Neuen Testament und schließt einen ganz kurzen Durchgang durch die Kirchenväter vor Augustinus an, bevor Augustinus und Boethius je ein eigenes Kapitel gewidmet wird. Im Gegensatz zu Augustinus, der sich gewissermaßen von selbst versteht, erstaunt die prominente Behandlung des Letztgenannten. Tatsächlich ist eine recht subtile Interpretation der Consolatio notwendig, um deren Relevanz für das Thema aufzuzeigen. Der Rezensent wird den Verdacht nicht los, dass es Boethius wohl kaum zu einem eigenen Kapitel gebracht hätte, wenn er nicht ein wichtiges Forschungsthema für Marenbon wäre. Tatsächlich spielt seine Rezeption bei den übrigen behandelten Autoren keine signifikante Rolle - jedenfalls keine, die das Werk herausstellt.
So richtig Fahrt nimmt die Darstellung im zweiten Teil auf. Das Frühmittelalter wird schnell durchmessen, während das 12. Jahrhundert mit Abaelard und Johannes von Salisbury einen ersten Höhepunkt bildet. Marenbons Interesse gilt besonders der Universität, die das 'Problem des Heidentums' geradezu institutionalisiert habe (127). Er arbeitet drei Wege heraus, auf denen Artisten und Theologen mit Aristoteles ins Reine kommen konnten: 1. "the path of unity", 2. "the path of selective rejection", 3. den Weg, den er als "limited relativism" bezeichnet (137). Während die ersten beiden Wege die Lehren des heidnischen Philosophen ganz oder zu großen Teilen als übereinstimmend mit denen des Christentums akzeptierten - und interpretierten, billigten ihm die Vertreter des dritten Weges, eingeschränkt auf das Gebiet der Philosophie, abweichende Positionen zu.
Im dritten Teil über die Zeit von 1400 bis 1700 ändert sich die Art der Darstellung. War sie bisher chronologisch vorangeschritten und hatte einzelne wichtige Autoren in den Mittelpunkt gestellt, wird nun der genannte Zeitraum als eine Einheit behandelt und in drei Kapitel gegliedert, entsprechend den drei Fragen nach Wissen, Tugenden und Erlösung der Heiden. Dieses Vorgehen wird mit der stark angewachsenen Quellenbasis begründet, die eine selektivere und knappere Behandlung notwendig mache (235). Zugleich deutet bereits der Titel dieses Teils: "The Continuity of the Problem of Paganism, 1400-1700", darauf hin, dass eine chronologische Darstellung nicht mehr vordringlich ist, weil es um das Weiterwirken jener Inhalte geht, deren Herausbildung der zweite Teil geschildert hat.
Es gibt aber noch einen anderen, wichtigeren Grund für den Wechsel in der Darstellung und für den zeitlichen Schnitt um 1400. Es ist die Präferenz Marenbons für ein (philosophiegeschichtliches) 'langes Mittelalter' - eben bis um 1700. Was es damit auf sich hat, erfährt der Leser freilich kaum aus diesem Buch, in dem er für nähere Angaben lediglich auf frühere Veröffentlichungen des Autors verwiesen wird. Man kann demnach Abgrenzung und Struktur dieses Teils auch als eine Übung lesen in der Disziplin 'Wie bringe ich konventionelle Epochen zum Verschwinden?' Natürlich ist Marenbons 'langes Mittelalter' vor allem ein heuristischer Kunstgriff, den Konstruktcharakter dessen, was man konventionell unter mittelalterlicher Philosophie versteht, und des vermeintlichen radikalen Neuanfangs des modernen Denkens im 17. Jahrhundert offen zu legen und damit zugleich Bezüge herauszustellen, welche die konventionelle Periodisierung verdunkelt hat.
Das 'Problem des Heidentums' bis in die Zeit um 1700 zu verfolgen, funktioniert gut und liefert erhellende Erkenntnisse (etwa, dass die Humanisten keineswegs toleranter waren als die Scholastiker - eher im Gegenteil). Allerdings bezahlt Marenbon hierfür einen Preis: Er muss die Reformation und in ihrem Gefolge die nichtkatholischen Denker weitgehend ausschließen. Bereits einleitend begründet er den Ausschluss mit fehlender Interessantheit (6, Anm. 6). Das ist nachvollziehbar, zeigten doch orthodoxe Lutheraner und Calvinisten wenig Interesse am Thema, da sie die Fragen nach Wissen, Tugenden und Erlösung der Heiden klar negativ beantworteten. Allerdings zieht der Verzicht auf eine nähere Behandlung der protestantischen Positionen den Verzicht auf die Frage nach sich, ob und wie diese die katholischen Positionen beeinflusst haben. Ohnehin mutet es in dieser Hinsicht inkonsequent an, dass Marenbon seine Darstellung mit dem Lutheraner Leibniz beendet. Gerade bei ihm kann man übrigens zeigen, dass der Wunsch nach Überwindung der konfessionellen Spaltung eine Motivation für die Beschäftigung mit der Frage nach der Erlösung der Heiden gewesen ist. [1]
Marenbon verzichtet in guter angelsächsischer Tradition darauf, das Thema und vor allem den Leser zu erschöpfen. Er errichtet vielmehr einen Brückenkopf, der als sichere Basis für Expeditionen in noch weitgehend unerschlossenes Forschungsgebiet dienen kann. Die Lektüre weckt die Lust auf derartige Expeditionen - nicht das schlechteste, was man über ein Buch sagen kann.
Anmerkung:
[1] Der Rezensent fühlt sich ex officio verpflichtet, darauf hinzuweisen, dass mit Blick auf Leibniz weder die zitierten Editionen noch die Sekundärliteratur auf aktuellem Stand sind. Diese Beobachtung sollte aber ausdrücklich nicht verallgemeinert werden.
Stephan Waldhoff