Matthias Pohlig (Hg.): Reformation. Basistexte (= Basistexte Frühe Neuzeit; Bd. 2), Stuttgart: Franz Steiner Verlag 2015, 252 S., ISBN 978-3-515-10925-3, EUR 24,00
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Nachdem Gabriele Haug-Moritz mit ihrem Band zur Verfassungsgeschichte des Alten Reiches den Auftakt gemacht hat, setzt Matthias Pohlig mit einer Aufsatzsammlung zum Thema Reformation die von Barbara Stollberg-Rilinger betreute neue Publikationsreihe "Basistexte" des Steiner Verlages fort. Sie will Studierenden eine kompakte Einführung in ein zentrales historisches Forschungsfeld und Lehrenden eine praktische Textsammlung für die Arbeit im Seminar bieten.
Das ist ein naheliegendes und überzeugendes verlegerisches Konzept. Die Schwierigkeit besteht allerdings darin, aus der Fülle der in den letzten 50 Jahren erschienenen Arbeiten zur Reformation zehn zentrale, wegweisende Aufsätze auszuwählen. Ein rein statistisches Verfahren, das am Ende die am häufigsten zitierten Arbeiten präsentiert, verbietet sich nicht nur aus praktischen Gründen. Es ist vor allem deswegen ungeeignet, weil es die inhaltlichen Aspekte unberücksichtigt ließe. Pohlig wählte daher zu Recht einen anderen Weg. Er suchte nach repräsentativen Texten, die für zentrale Themenkomplexe reformationsgeschichtlicher Forschung stehen und gleichsam als "Fenster" (17) für die Erschließung einzelner Teilgebiete dienen können.
Das Ergebnis ist notwendigerweise subjektiv und angreifbar. So kann man sich zum Beispiel durchaus fragen, ob es wirklich angemessen ist, Bernd Moeller und Robert Scribner jeweils mit zwei Aufsätzen zu berücksichtigen, Peter Blickles Ansätze zur Gemeindereformation und zum Kommunalismus dagegen in die Fußnoten zu verbannen. Doch diese Kritik wäre müßig, denn es geht gerade nicht darum, möglichst viele bedeutende Forscher oder berühmte Aufsätze zu präsentieren, sondern durch die Auswahl geeigneter Texte den Zugang zu zentralen Forschungsfeldern der Reformationsgeschichte zu ermöglichen. Und das ist durchaus gelungen.
Ausgangspunkt bilden zwei Aufsätze von Bernd Moeller ("Frömmigkeit in Deutschland um 1500" und "Stadt und Buch") die auch chronologisch am Anfang stehen. Die damit angeschnittene mediale Komponente der Reformation wird mit Robert Scribners Arbeit zum Thema "Flugblatt und Analphabetentum" fortgesetzt. Während die Aufsätze von Hans-Jürgen Goertz ("Eine 'bewegte' Epoche. Zur Heterogenität reformatorischer Bewegungen"), Horst Rabe ("Karl V. und die deutschen Protestanten") und Claudia Ulbrich ("Frauen in der Reformation") für sozial-, politik- und geschlechtergeschichtliche Teilaspekte der Reformationsforschung stehen, befassen sich die Beiträge von Robert Scribner ("Volkskultur und Volksreligion"), Susan Karant-Nunn ("Die Unterdrückung religiöser Emotionen"), Berndt Hamm ("Reformation als normative Zentrierung von Religion und Gesellschaft") sowie Heinz Schilling ("Reformation - Umbruch oder Gipfelpunkt eines Temps des Réforms?") mit grundlegenden Deutungsansätzen der Reformation als Ganzes.
Mit der Nennung der in diesen Reader aufgenommenen Arbeiten wird einerseits ersichtlich, welche Aspekte der Reformation im Vordergrund stehen. Es wird gleichzeitig deutlich, was dieser Band nicht bietet: Die Ausstrahlung der Reformation nach Europa wird nämlich ebenso wenig angesprochen, wie die Auffächerung in verschiedene konfessionelle Strömungen oder der Prozess der Konfessionalisierung. Die für diese Auslassungen verantwortliche räumliche Konzentration auf das Heilige Römische Reich und die zeitliche Beschränkung auf die Epoche von 1517 bis 1555 stellen allerdings keine programmatischen Grenzziehungen dar. Im Gegenteil, einer nationalgeschichtlich orientierten Forschungstradition soll gerade nicht Vorschub geleistet werden. Da die Bedeutung der Person Martin Luthers und die zentrale Rolle des über mehrere Jahrzehnte im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit stehenden Konfliktraumes des Reiches unbestritten sind, erscheint es durchaus legitim zu sein, für einen ersten Zugang zum Phänomen der Reformation, diese Aspekte in den Hintergrund zu rücken.
Insgesamt gesehen hält der Band das, was die Reihe verspricht. In Verbindung mit einer überaus lesenswerten Einleitung, in der der Herausgeber die einzelnen Aufsätze in die Forschungsentwicklung einbettet und auf bedeutende weiterführende Arbeiten verweist, eröffnet die intensive Auseinandersetzung mit den vorliegenden zehn Aufsätzen Studierenden tatsächlich einen guten Zugang zum Themenkomplex "Reformation". Lehrenden bietet die Textsammlung eine solide Arbeitsgrundlage. Und mit der die Beschränkung der Textauswahl auf die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts entschuldigenden Aussage, "dass die Reformationsforschung nach 2000 aufs Ganze gesehen nicht mehr dieselbe konzeptionelle Innovationskraft besessen hat wie vorher" (10), liefert Matthias Pohlig gleichzeitig einen wunderbaren Ansatzpunkt für lebhafte Diskussionen.
Peer Frieß