Sigrid Wadauer / Thomas Buchner / Alexander Mejstrik (eds.): The History of Labour Intermediation. Institutions and Finding Employment in the Nineteenth and Early Twentieth Centuries (= International Studies in Social History; Vol. 26), New York / Oxford: Berghahn Books 2015, X + 434 S., 30 Abb., 10 Tabellen, ISBN 978-1-78238-550-9, GBP 75,00
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Arbeitslosigkeit ist ein aktuelles Problem in ganz Europa, wenn auch in sehr unterschiedlicher Massivität. Während die offizielle Arbeitslosenquote in Deutschland relativ niedrig ist, sieht die Situation in Griechenland oder Spanien gänzlich anders aus. Vor allem die jüngere Generation in den beiden Ländern blickt wenig optimistisch in die Zukunft und zieht es nicht selten vor, auszuwandern und ihr Glück woanders zu suchen. Die vielen Spanisch sprechenden jungen Menschen in Berlin belegen die verstärkte grenzüberschreitende Arbeitsmigration in den letzten Jahren.
Dass diese Problematik auch weit oben auf der wissenschaftspolitischen Agenda der Europäischen Union steht, zeigt die Förderung des geschichtswissenschaftlichen Projekts "The Production of Work. Welfare, Labour-Market and the Disputed Boundaries of Labour (1880-1938)" an der Universität Wien durch den European Research Council. Geleitet wurde es von Sigrid Wadauer. Der vorliegende Band ist aus einem Projektworkshop hervorgegangen. Die Besprechung von Sammelbänden stellt immer eine Herausforderung dar. Entweder werden alle Beiträge knapp skizziert, was den einzelnen Beiträgen nicht gerecht wird, oder es wird versucht, das gemeinsame Erkenntnisinteresse herauszuarbeiten, was hier sinnvoller erscheint.
Die verschiedenen Aufsätze erörtern die mannigfaltigen Möglichkeiten der Arbeitssuche im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert. Sie fragen nach der Rolle des Staates, (privater) Arbeitsvermittler und anderer Institutionen, die in den Prozess involviert waren, wie etwa Gewerkschaften oder Organisationen der Arbeitgeber. Ungefähr die Hälfte der dreizehn Beiträge beschäftigt sich mit der Situation im Habsburgerreich bzw. Österreich und in Deutschland. Ergänzt wird diese Perspektive der deutschsprachigen Länder durch Abhandlungen über Großbritannien, Frankreich und Schweden. Zwei Beiträge erweitern den Horizont um eine außereuropäische Perspektive. So diskutiert Amit Kumar Mishra die Rolle von Arbeitsvermittlern bei Wanderarbeitern in Indien während der Kolonialzeit, wohingegen Anthony O'Donnell dem Ursprung der öffentlichen Arbeitsvermittlung in Australien nachgeht.
Die grundlegende Schwierigkeit des Vorhabens liegt darin, dass keine allgemeingültige Definition von "Arbeitsvermittlung" vorliegt. Sie ist abhängig vom nationalen Kontext und sozioökonomischen Spezifika. Selbst innerhalb eines Landes divergiert die reale Umsetzung meist sehr stark. Um den Zugriff nicht zu stark einzuschränken und bestimmte Vermittlungspraktiken a priori auszuschließen, haben sich die Herausgeber_innen für folgendes Vorgehen entschieden: "We do not proceed, however, from a specific definition of labour intermedation. [...] This book instead takes an exploratory approach uncovering the manifold interrelation of search practices and of different attempts to arrange placement services. Moreover, we do not want to narrow the focus to particular kinds of (formal) wage labour." [2] Sinnvollerweise wird dadurch einerseits ein breiter Zugriff auf den Gegenstand ermöglicht. Andererseits besteht jedoch die Gefahr, dass die Heterogenität zu groß wird, um eine sinnvolle Vergleichbarkeit der Einzelbeispiele zu gewährleisten. Diese Spannung zieht sich durch den Sammelband und wird nicht aufgelöst.
Generell hatte sich in dem Untersuchungszeitraum die kapitalistische Produktionsweise endgültig durchgesetzt und andere Formen der Produktion und des Warentauschs weitgehend verdrängt. Die Lohnarbeit war hegemonial geworden und nahezu jeder war dazu verdammt, seine Arbeitskraft zu verkaufen. Damit stellt sich die von den Herausgeber_innen aufgeworfene Frage, wie Arbeitssuche in concreto vor sich ging. Lange Zeit war es üblich, sich in dieser Hinsicht auf soziale, besonders auf familiäre oder freundschaftliche Netzwerke zu stützen. Derartige Beziehungen spielen tatsächlich bis heute eine nicht zu unterschätzende Rolle.
Verbreitet war es Ende des 19. Jahrhunderts außerdem, sich direkt an Fabriktoren, auf Baustellen, in Minen oder an Häfen nach freien Stellen zu erkundigen. In den deutschsprachigen Ländern wurde diese Praxis gemeinhin als "Umschau" bezeichnet. Besonders für niedrigere Arbeiten, wie Hausangestellte, Aushilfskräfte auf Bauernhöfen und Tagelöhner gab es einen Freiluft-Markt, also einen Ort, an dem sich die Arbeitssuchenden morgens einfanden, um angeheuert zu werden. In einigen europäischen Ländern hatten derartige Märkte sogar bis zum Zweiten Weltkrieg Bestand. Sukzessive differenzierten sich die Optionen der Arbeitssuche aus. So entstanden im frühen 20. Jahrhundert vermehrt kommerzielle Arbeitsagenturen und Zeitungsanzeigen entwickelten sich zu einem verbreiteten Mittel bei der Arbeitssuche.
Sowohl Gewerkschaften als auch Arbeitgeberorganisationen etablierten eigene Formen der Vermittlung, wobei vor allem die gewerkschaftliche Rolle von Land zu Land stark variierte, wie der vergleichende Beitrag von Ad Knotter über Westeuropa zeigt. Der Aufsatz von Malcolm Mansfield untersucht die Bedeutung der bourses du travail in Frankreich, die nicht nur als Arbeitsvermittlungen, sondern auch als Treffpunkte für Gewerkschaften dienten sowie als Orte für Konsumgenossenschaften und für die Aufbewahrung von Streikkassen. Der Beitrag von Piet Lourens und Jan Lucassen über die sogenannten Ziegelboten für die Ziegler in der Lippe-Region vom 17. bis zum 19. Jahrhundert, die von Fabrik zu Fabrik zogen, und über die Zahl der einzustellenden Arbeiter ebenso verhandelten wie über die zu zahlenden Löhne, erteilt interessante Auskunft sowohl über einen spezifischen geografischen Raum als auch über einen bestimmten Berufsstand.
Die wachsende staatliche Einmischung in die Arbeitsvermittlung im frühen 20. Jahrhundert wird in einer Anzahl von Beiträgen an unterschiedlichen Ländern dargelegt. In fast allen europäischen Staaten wurden bis zum Ersten Weltkrieg staatliche Vermittlungsagenturen institutionalisiert. Allerdings sind auch hierbei die Unterschiede enorm. So fand die Institutionalisierung in der Schweiz, den Niederlanden, Belgien, einigen Städten im Habsburger Reich und auch in Deutschland bis zum Jahr 1927 auf lokaler Ebene statt. In einigen Fällen, wie Böhmen oder Galizien, wurde die staatliche Arbeitsvermittlung hingegen in Verwaltungsdistrikten eingerichtet, während in Großbritannien noch vor 1914 die erste nationale Arbeitsvermittlung etabliert war.
Der Zweck der staatlichen Intervention war es - neben der Verminderung von Armut - vor allem, die Städte von der Last der Armenunterstützung zu befreien. Ferner sollten Migration kontrolliert, das Vagabundentum bekämpft und dauerhaftere Arbeitsverhältnisse unterstützt werden. Nach dem Ersten Weltkrieg stand die Versorgung der Millionen von Veteranen im Vordergrund. In der Zwischenkriegszeit wurden die nationalen Institutionen der Arbeitsvermittlung in den meisten europäischen Ländern durch staatliche Arbeitslosenversicherungen ergänzt.
Dem Sammelband kommt das große Verdienst zu, ein interessantes und gesellschaftspolitisch aktuelles Thema aufzugreifen, zu dem bislang wenig historisch geforscht wurde. Die Problematik der großen nationalen Differenzen benennen die Herausgeber_innen bereits im Vorwort selbst. Insofern fallen die einzelnen Beiträge auch sehr unterschiedlich aus und lassen sich schwerlich auf einen Nenner bringen. Der methodische Zugriff und die verwendete Quellenbasis variieren stark. Manche Aufsätze argumentieren auf Grundlage quantitativer Daten, andere vollziehen zeitgenössische Debatten nach. Meistens schlägt sich aufgrund der zugänglichen Archivmaterialien deutlich eine staatliche Perspektive nieder. Die Herausgeber_innen formulieren die mit der großen Unterschiedlichkeit einhergehende Problematik: "Such heterogenity demonstrates that a broader consensus on how job seeking should be studied has not been achieved." [415/416] Auch wenn dem Sammelband bisweilen der rote Faden fehlt, stellt er zweifellos einen ersten erkenntnisreichen Schritt in Richtung eines noch ausgiebiger zu erforschenden Phänomens dar.
Sebastian Voigt