Kevin Wright / Peter Jefferies: Looking down the Corridors. Allied Aerial Espionage Over East Germany and Berlin, 1945-1990, Stroud: The History Press 2015, 224 S., 66 s/w-Abb., ISBN 978-0-7509-5577-5, GBP 18,99
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In seinem Roman "Krieg im Spiegel" (The Looking-Glass War, London 1965) lässt John le Carré Mitte der 1960er Jahre ein ziviles britisches Verkehrsflugzeug scheinbar zufällig vom Weg abkommen und über eine fiktive Kleinstadt nahe Rostock fliegen, weil sich dort angeblich ein sowjetisches Raketenlager befindet. Der Versuch, beim Überflug mit versteckten Kameras Aufnahmen zu machen, misslingt allerdings. Ist die Nutzung eines Passagierflugzeuges für solche Spionagezwecke realistisch? Eine Antwort darauf lässt sich auch nach der Lektüre von "Looking down the Corridors" nicht geben. Doch die Argumente der Autoren sprechen eher dagegen.
In den vergangenen zehn bis fünfzehn Jahren hat die Forschung begonnen, die Militärspionage des Westens gegen die sowjetischen und ostdeutschen Streitkräfte in der DDR zu untersuchen. Inzwischen wird deren Umfang sichtbar, wenn es auch für eine Bilanz noch zu früh ist. Diese Spionage, die von der Beobachtung von Kasernen durch geworbene Quellen - also human intelligence - bis zur Überwachung von Schienentransporten nuklearer Sprengköpfe durch Bodensensoren - measurement intelligence - reichte, war meistens geheim, aber eben nicht immer. Zum Teil wurde auch die bestehende Rechtslage produktiv genutzt. Das galt etwa für die Tätigkeit der westalliierten Militärverbindungsmissionen (und der entsprechenden sowjetischen Missionen in den drei westdeutschen Besatzungszonen), die offiziell den Kontakt zu den Oberbefehlshabern der anderen Besatzungsmächte aufrechterhielten. Tatsächlich aber spähten sie durch Aufklärungsfahrten im Territorium der DDR (im Falle der Sowjets: in der Bundesrepublik) das militärische Potenzial des Gegners aus.
In diese Grauzone fällt auch die Nutzung der drei Luftkorridore von und nach West-Berlin zu Spionagezwecken. Die Ende 1945 eingerichteten Luftwege erlaubten den geregelten Flugverkehr zwischen Westdeutschland und den drei westlichen Besatzungszonen der geteilten Stadt. Washington, London und Paris ließen sich die Gelegenheit nicht entgehen, auch Spionageflugzeuge mit fototechnischer und elektronischer Ausrüstung einzusetzen. Immerhin waren unter Ausnutzung der Möglichkeit, weit über die Ränder der Korridore hinaus zu schauen und zu horchen, etwa vierzig Prozent des SBZ-/DDR-Territoriums in sogenannten Intelligence Collections Flights (ICF) aufklärbar.
Kevin Wright und Peter Jefferies haben ein materialreiches Buch über die ICFs zusammengetragen, das von Zeitzeugenberichten (Jefferies war selbst britischer Fotoauswerter), der überschaubaren Literatur, Dokumenten der Londoner National Archives und einem hervorragenden Abbildungsteil mit 66 Fotografien getragen wird: eine, um im Bild zu bleiben, Nahaufnahme dieser Luftaufklärung vor allem der Briten, der Amerikaner, am Rande auch der Franzosen. Der politische Rahmen des Kalten Krieges als Voraussetzung für die Flüge wird knapp gezeichnet. Im Mittelpunkt steht deren praktische Durchführung einschließlich der Auswertung der Aufnahmen durch geschulte Photographic Interpreters. Dieser Technik - von den verwendeten Flugzeugen über die Kameras bis hin zu den Leuchttischen für die Fotonegative - gilt die Aufmerksamkeit der Autoren. Als eine Ironie der Geschichte sei angemerkt, dass die Briten einen Teil des optischen Zubehörs für die Auswertung der Spionagebilder aus der DDR direkt bei der Firma Carl Zeiss in Jena kauften (156).
"Looking down the Corridors" beginnt mit zwei Kapiteln über die weltweiten Spionageflüge der Amerikaner und Briten sowie die politischen und rechtlichen Grundlagen für die Einrichtung und Nutzung der Luftwege von und nach West-Berlin. Spionageflüge waren bis zur serienreifen Satellitenbeobachtung und noch danach ein äußerst ergiebiges und gängiges Mittel der militärischen Informationsgewinnung des Westens. Deutlich wird noch einmal, wie riskant diese Flüge sein konnten. Die Abschüsse von Francis Gary Powers nahe Swerdlowsk 1960 und von Rudolf Anderson über Kuba 1962 waren nur die bekannte Spitze der Verluste. [1] Bei den Korridorflügen ging allerdings kein einziges Flugzeug verloren oder musste über DDR-Gebiet notlanden - eine beachtliche Leistung, aber auch viel Glück war dabei, flogen doch allein die USA (Air Force, Navy, Army und CIA) zwischen 1945 und 1990 über 10.000 ICFs.
Die Flüge, zuvor in entspannter Weise und "almost laissez-faire attitude" (130) durchgeführt, galten seit dem Powers-Abschuss und der Zuspitzung der zweiten Berlin-Krise als politisch hochgradig sensitiv, gerade bei den Briten. Sie liefen bei ihnen seitdem nach einem strengen, auf Risikovermeidung zielenden bürokratisch-hierarchischen Genehmigungsverfahren ab. Genau dies spricht gegen das eingangs erwähnte Szenario in le Carrés "Krieg im Spiegel". Zwar weisen die Autoren darauf hin, dass Aeroflot und Interflug gelegentlich von ihren Routen über Westdeutschland abwichen und alliierte Militäranlagen überflogen, offenkundig, um diese zu fotografieren. Aber die extreme Vorsicht gerade der Briten nach dem U-2-Zwischenfall von Anfang Mai 1960, schon die erlaubten militärischen Flüge innerhalb der festgelegten Luftwege für Aufklärungszwecke zu nutzen, macht die Annahme eines Einsatzes ziviler Flugzeuge mit vielen Menschen an Bord zu Spionagezwecken abseits der Korridore wenig wahrscheinlich.
In drei Kapiteln wenden sich die Autoren dann der Spionage der Westalliierten und in einem folgenden Abschnitt der Luftaufklärung über Ost-Berlin mit Helikoptern und Leichtflugzeugen zu - unter anderem mit der legendären britischen "Chipmunk", die in den 1940er Jahren entwickelt wurde und bei der britischen Militärverbindungsmission BRIXMIS seit 1946 bis zu ihrer offiziellen Auflösung zum 31. Dezember 1990 eingesetzt wurde. In drei weiteren Kapiteln werden die Abläufe der Fotoauswertung, die Ergebnisse dieser Form der Spionage und das Wissen der Gegenseite darüber dargestellt. Während die Amerikaner sowohl Foto- als auch elektronische Aufklärung betrieben, hatten sich die Briten auf Fotografie und die Franzosen auf die Aufnahme von elektronischer Transmission sowie des Funkverkehrs spezialisiert. Der spezifische technische Ansatz verlangte ein grundlegend anderes Flugverhalten: Während für Fotoaufklärung so niedrig wie möglich geflogen werden musste, zählte für das Hineinhorchen tief in den Warschauer Pakt im Gegenteil gerade die Flughöhe. Ein Mix war möglich, aber für beide Aufgaben nicht ideal.
Bis 1968 stand bei den Briten Indicator and Warning als Aufgabe der Korridorflüge im Vordergrund, also die Warnung vor dem Aufmarsch des Gegners in feindseliger Absicht. Mit der Fortentwicklung der Satellitentechnik und der relativen Entspannung im Kalten Krieg verlagerte sich die Luftaufklärung in den Korridoren auf ausgefeilte Analysen einzelner Verbände und Einheiten oder militärischer Anlagen. Die Foto-Auswerter, die bis zu 2.500 Fahrzeuge und Großgeräte aus den Luftaufnahmen identifizieren mussten, entwickelten sich zu intimen Kennern nicht nur dieser Ausrüstung, sondern konnten daraus auch die Zusammensetzung und den Auftrag ganzer Verbände ableiten. Dabei hinkten die Briten den Amerikanern technisch über viele Jahre hinterher, bekamen sie doch erst um 1980 eine Kameraausstattung vergleichbar jener, über die die U-2-Spionageflugzeuge der USA schon 1960 verfügt hatten. Während die USA bereits in den 1970er Jahren die Auswerter mit Informationstechnik für die Anlage von Datenbanken über die Zielobjekte in der DDR ausstatteten, mussten die Briten darauf ein weiteres Jahrzehnt warten.
Da sich Paris 1966 aus der militärischen Integration der NATO zurückgezogen hatte, galt die französische Luftaufklärung der Vorbereitung des eigenen operativen Ansatzes, im Kriegsfall schnell mit nuklear bestückten Mirage-Jagdbombern in die Tiefe des Luftraums des Warschauer Paktes einzudringen. Während die Kooperation der französischen Militärverbindungsmission mit BRIXMIS und den Amerikanern gut lief, blieb der Informationsaustauch bei den Korridorflügen eher spärlich.
Die Spionageausrüstung der Briten wurde in Westdeutschland und in Berlin-Gatow wo immer möglich der Sichtung durch Dritte entzogen. Natürlich wussten die Sowjets davon, aber die Westalliierten wollten sie nicht provozieren. Es sollte verhindert werden, dass sie politisch oder militärisch massiv dagegen intervenierten. Gelegentlich nutzten die sowjetischen Truppen ihr Wissen um die Überflüge sogar als show of force: Kaum anders ist etwa Bild 66 zu interpretieren, das zeigt, wie deren Luftabwehrraketensysteme von Regiments- bis Armeeebene in geordneter Weise lehrbuchartig auf freiem Feld zur Schau gestellt wurden. Die Autoren werten dieses Verhalten als Beitrag der Sowjets, Beobachtern über ihre Truppen Klarheit zu verschaffen und damit einen Beitrag zur Stabilität zu leisten - mithin eine Vorwegnahme der Open-skies-Politik. Auch negative intelligence hatte in dieser Hinsicht einen hohen Stellenwert, wenn sich also bestimmte Annahmen über Kriegsführungsfähigkeit und -willen der Truppen in der DDR durch Luftaufklärung gerade nicht erhärten ließen.
Die Korridorflüge besaßen durch ihre "almost daily coverage of what could have been the flashpoints for conflict in Europe" (83) einen erheblichen Anteil am nachrichtendienstlichen Wissen der Westalliierten über die sowjetischen und ostdeutschen Truppen an der Frontlinie des Kalten Krieges. Das Buch von Wright und Jefferies ist gut recherchiert und Grundlage für alle weiteren Forschungen über die alliierten Luftkorridore von und nach West-Berlin. Ohne hagiographisch zu werden, ist dabei unverkennbar, dass dem beteiligten Personal gerade der Briten und der Amerikaner in verhaltener Form ein Denkmal gesetzt werden soll.
Anmerkung:
[1] Die Autoren erwähnen mehrere Zwischenfälle zwischen dem August 1946 und dem Dezember 1965. Im September 1958 gab es den größten einzelnen Verlust auf amerikanischer Seite: 17 Tote beim Abschuss eines US-Spionageflugzeuges über dem sowjetischen Armenien (39, 41, 59, 80, 82). Insgesamt sollen zwischen 1947 und 1977 vierzig US-Spionageflugzeuge abgeschossen worden sein, wobei vermutlich fast 170 Crewmitglieder ums Leben kamen; vgl. die ältere Darstellung von Paul Lashmar: Spy Flights of the Cold War, Stroud 1996.
Armin Wagner