Walter Grasskamp: Das Kunstmuseum. Eine erfolgreiche Fehlkonstruktion, München: C.H.Beck 2016, 184 S., ISBN 978-3-406-68841-6, EUR 18,00
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Walter Grasskamp hat sich schon vor Jahrzehnten als einer der wichtigen Museumssoziologen im deutschsprachigen Raum etabliert. Sein neues, launig und die Zielrichtung perfekt zusammenfassend betiteltes Buch kommt in der essayhaften, glänzend und witzig geschriebenen Form daher, die dem Autor am besten liegt.
Für Grasskamp ist das Museum substanziell ein Mängelwesen, dessen Problematik er in einer ganzen Reihe von Paradoxien beschreibt. Zusammenfassen lassen sie sich in der Feststellung, dass sich das Museum jeglicher ökonomischer Logik entzieht und dass es besonders dann unter Druck gerät, wenn sich Forderungen nach ökonomischer Tragfähigkeit in den Vordergrund drängen. Schon von seinen Anfängen an konnte es sich als "Tempel der Bildung" legitimieren, als Ort der Freude und des Nutzens. In der nun schon historischen 68er-Bewegung als Medium kritischer Bewusstseinsbildung entdeckt und massiv aufgewertet, trat eine gewisse Ernüchterung ein, als man entdeckte, dass die optimistisch propagierte Ausweitung der Besucherbasis in die Breite auch bildungsferner Schichten nicht gelingen wollte und das Museum weiterhin im Wesentlichen das Bildungsbürgertum ansprach. Hinzu kam, dass nach der Jubelzeit der 1980er-Jahre, für die immer wieder der Name Werner Hofmanns an der Hamburger Kunsthalle steht, zwar viele Museumsneugründungen zu verzeichnen waren, dass aber offenbar bis heute nicht richtig registriert wird, dass mit jeder Neugründung ein Rattenschwanz von Folgekosten zu kalkulieren ist. Das Ergebnis liegt insbesondere im Angesicht der dann einsetzenden wirtschaftlichen Krisenphasen auf der Hand: Vor allem bei Berücksichtigung der gesamtgesellschaftlichen Großwetterlage, in der der bildungsbürgerliche Grundkonsens immer mehr verblasst, verwundert nicht, dass Museen zwar wie Pilze aus dem Boden schießen, dass sie aber gleichzeitig als Sparobjekte entdeckt werden. Das Ergebnis kann nur ein ungutes sein. Es wird von Grasskamp z.B. in dem Faktum benannt, dass der Ankaufsetat von Museen im 19. Jahrhundert bei über 50 % der Gesamtmittel lag, zuletzt aber bei unter 5 %. Auch die Privatisierungsphänomene, die hier gerade notwendig einsetzten, spielen in dem Buch eine wichtige Rolle und werden alles in allem gesehen mit deutlicher Skepsis belegt. Das Gleiche gilt, wenn auch weniger ausdrücklich, für Phänomene wie die sogenannte "Deakzessionierung", also den Verkauf von Werken aus Sammlungsbeständen etwa zur Finanzierung von Erweiterungsbauten.
Dabei spricht die Statistik eigentlich eine ermunternde Sprache. Zuletzt sind die Besucherzahlen zwar ein wenig zurückgegangen, aber sie liegen in Deutschland immer noch deutlich über der 100-Millionen-Marke. Erst bei genauerem Hinsehen zeigen sich die Probleme. Wenn es stimmt, was der von Grasskamp zitierte Hubertus Gassner von der Hamburger Kunsthalle sagt, dass schätzungsweise 80 % von dieser großen Zahl in Sonderausstellungen pilgern, dann bleiben für den Kernbestand der insgesamt ca. 6500 Museen im Land noch gut 20 Millionen, pro Museum also vielleicht noch 3500. Da der berüchtigte "long tail" aber auch hier sein Wesen treibt und allenfalls ein paar hundert Museen den Löwenanteil abgreifen, bleiben für die große Masse eventuell noch 2000. Bei der Rechnung drängen sich zwei Konsequenzen geradezu auf, zumindest dann, wenn man die Perspektive des Stadtkämmerers einnimmt. Wird er oder sie ein Museum mit Freuden unterstützen - der Begriff der Subvention verbietet sich in den Augen Grasskamps, weil er einer ökonomischen Logik entstammt, der sich das Museum eben gerade entzieht -, das täglich 10-20 Besucher anzieht? Wird er oder sie nicht sein Säckel bevorzugt bei Sonderausstellungen öffnen, die es zwar in den Museen immer schon gab, die aber zuletzt massiv zugenommen haben und im Kern museumsfremd sind? Für Grasskamp sind solche Überlegungen vor allem daher wichtig, weil ihm die Institution in der Fläche am Herzen liegt, also dort, wo sie nicht von touristischen Effekten der Metropolen profitiert und daher auch kaum größere Sonderausstellungen hinbekommt. In diesem Sinne kommt die Situation in Berlin, die inzwischen alles andere im Diskurs verblassen lässt, kaum vor.
Bemühungen übrigens, das Museum als Teil der Digitalgesellschaft aufzufassen und das Internet als Medium von dessen Verjüngung zu begreifen (ein Potential, das dem Autor dieser Rezension am Herzen liegt), betrachtet Grasskamp mit einer ganz leichten Blasiertheit, die allerdings schmunzelnder daherkommt, als das bei vielen seiner Kollegen der Fall ist. Dabei wäre doch wirklich einmal zu überlegen, ob nicht der Erfolg etwa vom Frankfurter Städel nicht wenigstens auch etwas mit dessen ausgeklügelter Digitalstrategie zu tun hat. Die Ehrenrettung der Restauratorenschaft aber, die Einlassungen zur Verdrängung der Vergangenheit durch die Gegenwart im Museum, die offenen Worte zu knallharten Machtstrategien der Künstlerschaft in ihrem Verhalten gegenüber der "Fehlkonstruktion" Museum: alles dies rundet das Buch ab zu einem Kaleidoskop von klugen Gedanken zu einer Institution, deren Niedergang wohl auch die schärfsten ihrer Kritiker bedauern würden.
Hubertus Kohle