Achim Engelberg: Es tut mir leid: Ich bin wieder ganz Deiner Meinung. Wolf Jobst Siedler und Ernst Engelberg: Eine unwahrscheinliche Freundschaft, München: Siedler 2015, 271 S., 13 s/w-Abb., ISBN 978-3-8275-0049-6, EUR 24,99
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Stellungnahme von Achim Engelberg mit einer Replik von Ilko-Sascha Kowalczuk
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Der Publizist und Verleger Wolf Jobst Siedler (1926-2013) und der Historiker Ernst Engelberg (1909-2010) waren zwei Persönlichkeiten, deren Biographien mehr Gegensätzliches als Schnittmengen aufwies. Geeint hatte sie ihre bürgerliche Herkunft, ihre großbürgerliche Bildung. Engelberg wurde Kommunist im antifaschistischen Widerstand, musste ins Ausland fliehen; Siedler, obwohl doch um einiges jünger, war ebenso Gegner der Nationalsozialisten und überlebte mit Glück. Nach 1945 gab es jahrzehntelang keine Berührungspunkte. Siedler avancierte im Westen zu einem maßgeblichen Publizisten, Kommentator, Essayisten und Verleger - er symbolisierte jene Bundesrepublik, die für Freiheit, Aufklärung und geistige Weite stand. Engelberg wiederum wurde in der DDR einer der "führenden" SED-Historiker, ausstaffiert mit zahlreichen Ämtern, ein stalinistischer und poststalinistischer Einpeitscher vor dem die eigenen Genossen Angst hatten - er symbolisierte so auf seine Art das Mauerregime. Als er 1974 in den Ruhestand verabschiedet wurde, deutete nichts darauf hin, dass er als Historiker irgendwelche Spuren hinterlassen würde. Seiner bis 1945 respektablen Biographie, seinem Standhalten gegen die Nazi-Diktatur, folgte nach 1945 kein wissenschaftliches Werk, das außerhalb der SED-Welt Bestand haben würde. Er schien genauso der Vergessenheit anheimzufallen wie Hunderte andere SED-Funktionäre, die mit bürgerlichen Titeln wie "Professor" ihre eigentliche Mission - Ideologie zu verkünden und in die Köpfe anderer einzuhämmern - tarnten.
Dann aber geschah 1985 - Engelberg stand mittlerweile im 75. Lebensjahr - gleich ein vierfaches Wunder. Der erste Band einer voluminösen Bismarck-Biographie erschien. Die Überraschung bestand darin, dass das Buch überhaupt erschien - nicht aus Zensurgründen, sondern weil daran kaum jemand mehr geglaubt hatte. Das zweite Wunder bestand darin, dass es gleichzeitig im Ost-Berliner Akademie-Verlag und im West-Berliner Siedler-Verlag erschien. Eine kultur- und wissenschaftspolitische Sensation, die im Westen publizistisch entsprechend gewürdigt wurde und im Osten dazu führte, dass ein Buch eines SED-Historikers zum Bestseller avancierte. Die dritte Überraschung bestand darin, dass der bis dahin als neostalinistischer Hardliner im Gedächtnis gebliebene Engelberg auf seine alten Tage zu einem geradezu dem Historismus frönenden Biographen geworden war. Und tatsächlich, das vierte Wunder, das Buch ließ sich lesen - ein Umstand, den man von Büchern aus der Feder von SED-Historikern nun wahrlich nicht gewohnt war. Engelberg war vom leninistischen Geschichtsdeuter zum erzählenden Historiker geworden. Weniger erfolgreich war dann der zweite Band - er erschien 1990, blieb nicht unbemerkt, ging aber doch irgendwie unter.
Der hier nun vorliegende Briefwechsel erhellt die Umstände, wie es zur deutsch-deutschen Bismarck-Kooperation kam. Siedler ergriff die Initiative, Engelberg und sein Verlag griffen zu. Das Besondere an diesem Buch ist, dass sehr schön deutlich wird, welchen immensen Anteil Wolf Jobst Siedler daran hatte, dass dieses Buch von Engelberg auch stilistisch überzeugte. Hier zeigt sich sehr eindrücklich, welchen Einfluss Verleger und Lektoren haben können. Insofern ist dieses Buch auch eine Art Denkmal für den bekannten Verleger und seine unbekannten Kollegen.
Das Buch will aber eigentlich etwas anderes, nämlich eine Art Denkmal für einen "der bedeutendsten deutschen Historiker des 20. Jahrhunderts" errichten, wie es auf dem Klappentext vollkommen unzutreffend heißt. Im Buch firmiert Engelberg gar noch als "Jahrhunderthistoriker" (26). Und das sind keine peinlichen Ausrutscher. Engelberg wird vielmehr zum Vorkämpfer der deutschen Einheit ebenso stilisiert wie zu einem unabhängigen Intellektuellen und geistreichen Funktionär. Und da auch dies alles noch nicht reicht, wird ihm sogar attestiert, er wäre im Moskauer Exil in den 1930er Jahren (wäre er nicht nach Istanbul exiliert) "unweigerlich in die Moskauer Verfolgungsmaschinerie" (18) geraten. Engelberg wird überdies bescheinigt, er wäre Anfang der 1950er Jahre "einer der Kandidaten für geplante Schauprozesse" gewesen, wäre also einer der deutschen Slánskýs geworden (204). Freilich geben die Akten, auf die sich hier berufen wird, dies nicht einmal ansatzweise her: Engelberg ist wie Hunderte andere überprüft worden und wie Hunderten anderen - anders als Paul Merker zum Beispiel - ist ihm bescheinigt worden, dass er stets treu und ergeben zur Partei gestanden habe.
Von Übertreibungen und unseriösen Mutmaßungen ist das Buch randvoll. Schon die Machart entzieht sich einer intellektuell tragbaren Beschreibung. Der "Darsteller", wie es im Untertitel des Bandes heißt, Achim Engelberg, ist der Sohn von Ernst Engelberg. Seit Jahren versucht er, das wissenschaftliche Leben seines Vaters vor dem Vergessen zu retten. Er brachte Aufsatzsammlungen neu heraus, wagte es sogar, aus der zweibändigen Bismarck-Biographie eine einbändige Volksausgabe zu machen und firmiert seither als Mitautor des berühmten Werks und versucht sich als Nachlassverwalter offenbar nun auch biographisch an seinem Vater. So sehr das irgendwie zu verstehen ist, so absurd mutet es an, dass Verleger diese Hagiographie mitmachen.
Das Buch selbst führt chronologisch Briefe zwischen Siedler und Engelberg auf, ohne dass man erfahren würde, ob dies alle sind. Dazwischen werden andere Dokumente eingestreut, die letztlich alle nur zum Ziel haben, die visionären Tiefenbetrachtungen von Engelberg aufzuzeigen. Die Briefe werden verbunden durch Zwischentexte des "Darstellers", wobei diese Einwürfe zeithistorische Hintergründe aufzeigen sollen. Dabei haben diese oft nichts mit dem Briefwechsel zu tun, sondern erklären uns nach der Art von Chronologien, was sonst noch so passierte. Das ist ziemlich langweilig. Und da dieses Buch von vornherein nicht auf ein Massenpublikum zielen konnte, sondern auf einen Expertenkreis, eine bildungsbürgerliche Gruppe - wer liest schon sonst Briefe -, ist das nicht nur langweilig, sondern auch ziemlich peinlich angesichts der dargelegten Banalitäten. Die Zwischentexte sollen aber auch dazu dienen, Ernst Engelberg weiter zu erhöhen und uns zeigen, was er alles so tat, machte und kannte. Sein Sohn garniert das alles noch mit politischen Kommentaren, die ihm vergönnt sein sollen und mit denen er seit 1990 auf jeder SED/PDS-Versammlung Beifallsstürme hervorgerufen hätte. Auch dies wird den Vater nicht davor bewahren, dass dereinst über ihn eine wissenschaftliche Biographie jenseits irgendwelcher Vereinnahmungsversuche erscheinen wird. Es gibt viele Bücher aus Verlagen wie "Siedler", die weitaus besser sind. Es gibt aber nur wenige, die schlechter sind.
Ilko-Sascha Kowalczuk