Michael Bohnet: Geschichte der deutschen Entwicklungspolitik. Strategien, Innenansichten, Zeitzeugen, Herausforderungen, Stuttgart: UTB 2015, 284 S., ISBN 978-3-8252-4320-3, EUR 14,99
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Mit seiner "Geschichte der deutschen Entwicklungspolitik" thematisiert Michael Bohnet die historische Dimension dieses Politikfelds, die bislang nur wenig ausgeleuchtet ist. Die Monografie behandelt die Geschichte der bundesdeutschen Entwicklungshilfepolitik vor und nach der Wiedervereinigung. Der Autor, lange Zeit selbst Akteur, bietet, wie der Buchrücken verspricht, eine "Innenansicht". Dabei arbeitet Bohnet unterschiedliche Ausrichtungen und Schwerpunkte des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) unter den einzelnen Ministern heraus und hebt die Rolle der Ministerialbeamten hervor; damit möchte Bohnet einer Geschichte "von oben" entgegenwirken (7). Insgesamt zieht der Autor - mit einigen Einschränkungen - eine positive Bilanz und benennt im Fazit künftige Herausforderungen.
Prof. Dr. em. Michael Bohnet (Jahrgang 1937) gehörte dem Stab des BMZ als Ministerialdirektor an. Der Volkswirt stellt seinem Buch statt einer Einleitung ein dreiseitiges Vorwort mit einer "Zusatzbemerkung" (7) voran. Darin benennt er als Ziel seiner Arbeit, Strategien, Inhalte und Ereignisse seit den 1950er Jahren zu beschreiben. Den "zeitgeschichtlichen Hintergrund" will Bohnet anhand von Zeitzeugenaussagen ausleuchten (5). Bohnet spürt Erfolgen und Misserfolgen nach, ist aber davon überzeugt, dass die Geschichte der Entwicklungshilfe eine Erfolgsgeschichte gewesen ist; schließlich habe sich die wirtschaftliche und soziale Lage der Menschen in den Empfänger-Ländern verbessert (5f). Dabei liefert der Autor zwar informative Fakten, bleibt aber eine Analyse weitgehend schuldig. Kritische Fragen sucht der Leser ebenso vergeblich wie starke Thesen, sieht man einmal von der Behauptung ab, die Entwicklungshilfepolitik der Bundesrepublik sei ein Erfolg gewesen.
Bohnets Buch zerfällt in zwei Teile: die eigentliche Darstellung und ergänzende Materialien. Der erste Teil besteht aus knappen ereignisgeschichtlichen Abrissen und orientiert sich an den Amtsperioden der jeweiligen Entwicklungsminister. Auf wenigen Seiten erläutert der Autor, wie die Minister ins Amt kamen und welche Arbeitsschwerpunkte sie setzten; dann urteilt er kurz über Erfolge und Misserfolge, Stärken und Schwächen. Der zweite Teil enthält Definitionen, Tabellen und Diagramme sowie biografische Angaben zu den handelnden Personen.
Bohnet erzählt trotz seiner Absicht, die Beamten der "zweiten Reihe" zu würdigen, die Geschichte "großer" Männer und einiger weniger Frauen. Daran ändern auch die methodisch nicht weiter reflektierten Zeitzeugenaussagen wenig, die hauptsächlich von Mitarbeitern des BMZ und einiger Non Governmental Organizations (NGO) stammen und von denen der Leser nicht erfährt, in welcher Form sie überliefert sind. Ansonsten beruft sich der Autor vor allem auf die unkritisch herangezogenen Memoiren der Minister und anderer Beamter sowie - mehr oder minder explizit - auf seine eigenen Erinnerungen. So entsteht der Eindruck, dass die holzschnittartige Darstellung Elemente einer Autobiografie in sich trägt, ergänzt um anekdotenhafte Erlebnisse der Minister und ihrer Mitarbeiter. Dort, wo sich Bohnet auf Archivalien bezieht, bleibt deren Ursprung und Quellenwert im Dunkeln, da genaue Angaben zum Fundort fehlen.
Der historische Kontext fehlt weitgehend. Beispielsweise behauptet der Autor, der Schwerpunkt der Arbeit von Jürgen Warnke (1982-1987) habe auf Tropenwald- und Umweltschutz gelegen, ohne seine Ausführungen mit der Umweltbewegung oder dem Diskurs über das Waldsterben in Verbindung zu bringen (116). Dazu erwähnt der Autor problematische Fragen wie die deutsche Kolonialpolitik oder das Erbe der beiden Weltkriege kaum. So betont er das gute Verhältnis zu Afghanistan seit dem frühen 20. Jahrhundert (44), sieht aber über die deutsche Einflussnahme während des Ersten Weltkrieges hinweg. Stattdessen suggeriert Bohnet, es habe in der (west-)deutschen Entwicklungshilfe keine regionalen Schwerpunkte gegeben (40).
Als Akteure treten beinahe ausschließlich die Mitarbeiter des Ministeriums auf, von NGOs ist dagegen nur selten die Rede. Die Rolle der Empfänger und einheimischen Partner der Entwicklungshelfer bleibt nahezu unerwähnt. Nur vereinzelt weist Bohnet auf Probleme und historische Brüche hin, etwa auf die frühe NSDAP-Mitgliedschaft von BMZ-Beamten wie Friedrich Karl Vialon und Gustav Adolf Sonnenhol (49) oder auf Missstände beim Aufbau des von der Bundesrepublik geförderten Stahlwerks im indischen Rourkela (42f.).
Selbst der Titel des Buches ist problematisch, denn die Rolle der DDR wird nur im Kontext der Hallstein-Doktrin und für die Zeit der Wiedervereinigung thematisiert. Die "Geschichte der deutschen Entwicklungspolitik" bleibt so unvollständig. Bei aller Kritik liefert das vorliegende Buch vor allem für Einsteiger wichtige Basisinformationen. Wer eine kritische Auseinandersetzung erwartet - quellengesättigt und methodisch auf der Höhe der Forschung -, wird dagegen enttäuscht.
Benjamin Brendel