Nathan Hofer: The Popularisation of Sufism in Ayyubid and Mamluk Egypt, 1173-1325 (= Edinburgh Studies in Classical Islamic History and Culture), Edinburgh: Edinburgh University Press 2015, viii + 304 S., ISBN 978-0-7486-9421-1, GBP 70,00
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Christopher Phillips: Everyday Arab Identity. The Daily reproduction of the Arab World, London / New York: Routledge 2013
Sabine Damir-Geilsdorf: Die "nakba" erinnern. Palästinensische Narrative des ersten arabisch-israelischen Kriegs 1948, Wiesbaden: Reichert Verlag 2008
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Betül Başaran : Selim III, Social Control and Policing in Istanbul at the End of the Eighteenth Century. Between Crisis and Order, Leiden / Boston: Brill 2014
Aysel Yıldız: Crisis and Rebellion in the Ottoman Empire. The Downfall of a Sultan in the Age of Revolution, London / New York: I.B.Tauris 2017
Studiert man Islamwissenschaft, so lernt man in den Einführungen zu Geschichte und Kultur des Islams in der Regel, dass der Sufismus bis weit in das 20 Jahrhundert hinein unter der Bevölkerung eine zentrale Rolle gespielt habe. Als Begründung wird angeführt, dass diese Form der Gläubigkeit im Gegensatz zum - als streng empfundenen und eher kollektiv erlebten - normativen Islam der Gelehrten dem Individuum einen viel direkteren Zugang zu Gott erlaubt und dem persönlichen Bedürfnis nach Emotionalität größeren Raum gegeben hätte. Da der taṣawwuf im Gegensatz zum "eigentlichen" Islam gestanden habe, ordnen ihn viele Historiker der "Volks- oder Populärkultur" zu. Vor diesem Hintergrund ist es bis heute üblich, den Sufismus als eine Art islamische Mystik anzusehen.
Alle drei Annahmen seien, Hofer zufolge, so nicht haltbar. An der Tatsache, dass der Sufismus flächendeckend verbreitet war, gibt es keinen Zweifel. Überall in den islamisch geprägten Regionen (und auch darüber hinaus in Gegenden, in denen der Islam nur - oder noch - wenig verbreitet gewesen ist), finden wir auf allen gesellschaftlichen Ebenen sehr verschiedene Spielarten des taṣawwuf. Sufismus allerdings als islamischen Mystizismus zu bezeichnen, sei, da ist Hofer Recht zu geben, eine orientalistische Zuschreibung europäischer Phänomene auf nicht-europäische Verhältnisse. Der Begriff wurde und wird in der Regel nicht analytisch gefasst, sondern kommt mit einer eurozentrischen Vereinnahmungsattitude daher. Hofer tut also gut daran, diesen Terminus im Laufe seiner Studie nicht zu benutzen. Aber auch die Begriffe "Sufismus" und "Sufi" sind bislang in der Tat wenig reflektiert gebraucht worden. Hofer verwendet sie daher nur aus heuristischen Gründen, wobei bei ihm die Selbstzuschreibung der Akteure im Vordergrund steht. Er möchte den taṣawwuf und seine Verbreitung im Ägypten in der Zeit von 1173 bis 1325 in einen sozialgeschichtlichen Kontext einordnen, denn für ihn wird Religion, werden alle Facetten einer Religion in erster Linie gesellschaftlich ausgehandelt. Sie seien das Produkt einer ganz bestimmten sozialen Ordnung und eines sehr spezifischen kulturellen Umfeldes. In seiner Absicht, den Sufismus einerseits akteursorientiert zu analysieren und ihm andererseits einen starken sozialen Charakter zuzubilligen, folgt er bewusst den Spuren, die etwa Emil Homerin, Alexander Knysh, Ahmet Karamustafa, Richard Eaton, Vincent Cornell, Daphna Ephrat oder Ethel Wolper gelegt haben. Im Mittelpunkt seiner Arbeit steht das Bemühen, die gesellschaftlichen Umstände besser zu erfassen, in denen die Sufis vermittels ganz bestimmter diskursiver und praxeologischer Mittel ihre Anliegen und ihre Ansprüche formulierten. Darüber hinaus will Hofer anhand dreier ganz bewusst ausgewählter Beispiele aus dem Ägypten der Mamlukenzeit demonstrieren, dass der Sufismus keineswegs als monolithische Bewegung begriffen werden kann, die die spirituellen Bedürfnisse der Massen befriedigte. Vielmehr seien es die Personen selbst, also die Sufis, gewesen, die als Einzelpersonen oder als Gruppe verschiedene Spielarten des Sufismus unter dem Volk verbreiteten. In Hofers eigenen Worten: "In sum the central argument of this book is that the institutionalization of Sufi thought and praxis during the formative period precipitated and facilitated the mass production of cultures of Sufism in multiple geographical locations and in varied socio-political contexts, resulting in increasingly organized forms of Sufism at all levels of society. It was not, as many have argued, that the Muslim populace turned to Sufism out of some vague spiritual longing, crisis of identity or lack of legitimate authority. Rather, it was the Sufis, drawing on an array of institutionalized doctrines and practices, who performed, produced and popularized increasingly diversified Sufi cultures across the Muslim landscape." (6-7)
Hofer untersucht im weiteren Verlauf seiner Arbeit, wie gesagt, drei sehr unterschiedliche sufische Gruppen. Im Mittelpunkt des ersten Hauptteiles (35-104) stehen die von der Obrigkeit geförderten Sufis aus dem in Kairo etablierten ḫānqāh Saʿīd al-Suʿadāʾ. Diese Einrichtung war von Ṣalāḥ ad-Dīn Yūsuf b. Aiyūb (Saladin) 1173 im Zuge seiner allgemeinen Bemühungen, sunnitische Gelehrte in der bis dahin fatimidisch-ismaelitisch dominierten Stadt heimisch zu machen, gegründet worden. Schnell füllte sich der ḫānqāh mit Sufis, die aus verschiedenen Gründen vornehmlich aus dem Osten kamen. Im Laufe der Zeit traten sie jedoch in zunehmendem Maße in der Öffentlichkeit einheitlich auf. Diese Auftritte waren es schließlich, die diesen Sufismus unter großen Teilen der Bevölkerung nicht nur bekannt, sondern auch sehr beliebt machte. Das sich anschließende Kapitel ["State-sanctioned Sufism: The Nascent Shādhilīya" (105-180)] widmet sich dann der Entstehung einer klar profilierten "Bruderschaft", nämlich der Šāḏilīya. Sowohl die ayyubidischen wie auch die mamlukischen Sultane ließen die Anhänger von Abū al-Ḥasan aš-Šāḏilī (gest. 1258) gewähren und standen ihnen durchaus wohlwollend gegenüber. Ibn ʿAṭāʾ Allāh al-Iskandarī (gest. 1309) schuf mit seiner Hagiographie von Abū al-Ḥasan aš-Šāḏilī eine für alle Adepten vorbildliche und verbindliche normative Biographie. Jeder war aufgerufen, die Vita des Meisters nachzuahmen. Binnen kurzem entwickelte die Šāḏilīya eine ganz eigene öffentliche Performanz und konnte sich einer großen Popularität erfreuen. Der letzte Abschnitt ["Unruly Sufism: The Sufis of Upper Egypt" (181-249)] konzentriert sich auf die Beschreibung der Sufis in Oberägypten. Ayyubiden und Mamluken hatten dieser Region gegenüber bestenfalls ein gespaltenes Verhältnis. Es war sicher so, wie Hofer schreibt: "Other than collecting taxes and putting down serial rebellions, the rulers tended to ignore Upper Egypt" (25). Insofern mag es auch nicht verwundern, dass man dort nie von zentraler Seite aus eine Medrese oder ein Sufikonvent gründete. Dennoch fanden - wie auch an vielen anderen Orten in der Welt, die abseits lagen oder an denen Muslime nur eine kleine Minorität darstellten - zahlreiche Sufis den Weg in diese abseitige Gegend. Einzelne Sufis nahmen es auf sich, vor Ort wohltätige Einrichtungen und Bildungsstätten zu gründen und ihre Form von Religion zu verbreiten. Meistens standen Wunder im Vordergrund ihrer Auftritte. In der Regel verhielten sie sich den zentralen Institutionen gegenüber eher ablehnend. Daher verzichteten sie auch bewusst auf eine "staatliche" Unterstützung. Langfristig veränderten diese Sufis jedoch die religiöse und damit auch die soziale Ordnung in Oberägypten sehr nachhaltig, indem sie dort zu einem zentralen Gesellschaftselement wurden.
Nathan Hofer hat eine faszinierende Studie vorgelegt, die eine klare Argumentation anhand von drei Fallbeispielen sehr überzeugend vorbringt. Religion als ein stets sozial ausgehandeltes Subsystem einer Gesellschaft zu betrachten und alle post-aufklärerischen Konnotationen wegzulassen, scheint mir ein sehr konstruktiver und sinnvoller Ansatz zu sein, wenn man sich mit vormodernen Gemeinschaften befassen möchte. "Sufism", so die plausible Grundannahme des Autors, "was popular not because the non-elite populace embraced it, but because it was produced and consumed at all levels of society, elite and non-elite alike." (6)
Stephan Conermann