Joanna Milstein: The Gondi. Family Strategy and Survial in Early Modern France, Aldershot: Ashgate 2014, XV + 243 S., ISBN 978-1-4094-5473-1, GBP 70,00
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Die hier zu besprechende Dissertation von Joanna Milstein ist dem Aufstieg der Familie Gondi im Frankreich des späten 16. Jahrhunderts gewidmet, also in der Zeit der Religionskriege. Die Gondi waren zunächst in Florenz durch Bankgeschäfte zu Reichtum und patrizischem Status gelangt. Ein Familienzweig etablierte sich aber nach 1505 in Lyon und fand von dort seinen Weg zu den höchsten Ämtern und Würden der französischen Monarchie. Grundlage dieses Erfolgs waren mehrere strategisch geschickte Heiratsverbindungen, vor allem aber das Vertrauensverhältnis zu Caterina de' Medici, der Witwe König Heinrichs II., die weit über die Jahre der Regentschaft für ihren ältesten Sohn Karl IX. hinaus einen zentralen Platz in der politischen Szenerie Frankreichs einnahm. Dieses Verhältnis gründete sich offenbar auf landsmannschaftliche Verbundenheit, vor allem aber auf erhebliche finanzielle Leistungsbereitschaft seitens der Gondi und auf ihre absolute Loyalität. Die Königinmutter und die Könige Karl IX. und Heinrich III. belohnten dies mit stetiger Förderung. Die Gondi waren über mehrere Generationen Favoriten der letzten Valois.
Verblüffend war der Aufstieg der Familie nicht nur in rein sozialer Hinsicht - aus einer der hinteren Reihen der Adelsgesellschaft bis an deren Spitze -, sondern auch unter nationalen Gesichtspunkten, d.h. mit Blick auf ihre italienische Herkunft. Diese ermöglichte oder erleichterte wohl einerseits die Nähe zu Caterina de' Medici, andererseits garantierte sie Ablehnung, Eifersucht, ja Hass von Seiten der eingesessenen Eliten. Der erste Teil der Arbeit ist daher nicht so sehr den Aufstiegsstationen der Familie am Hof und im königlichen Rat gewidmet, sondern ihrer Verortung in einem Diskurs und einem politischen Klima, das geprägt war von der Ablehnung "der Italiener". Dies bezog sich auf "machiavellisches" Regierungshandeln und ebenso auf die Personen, die damit in Verbindung gebracht werden konnten. Das waren nicht zuletzt die Gondi. Es gab keine Schandtat, die man ihnen nicht zuschrieb oder zutraute - entscheidende Beteiligung am Massaker der Bartholomäusnacht inbegriffen. In diesem Klima politisch bzw. sozial zu überleben, war nur möglich durch unbedingte Treue zur Krone, sowie durch die eingangs bereits genannten Eheallianzen, für die wiederum königliches Wohlwollen hilfreich war. Sie ermöglichten es, das Haus in die Gesellschaft des französischen Hochadels zu integrieren. Concino Concini, der nächste italienische Günstling einer "italienischen" Königin, Marias de' Medici, sollte keine Gelegenheit haben, entsprechende Brücken zu schlagen.
Wichtig war freilich auch, wie Milstein betont, dass mehrere Familienmitglieder sich gegenseitig stützen konnten: Antoine de Gondi hatte im frühen 16. Jahrhundert die Seigneurie Perron bei Lyon erworben und im dortigen Finanzadel eine erste französische Ehe geschlossen. Gleich drei seiner Söhne, Albert, Pierre und Charles, fanden dann unter Heinrich II. und seinen Nachfolgern Zugang zum Hof und zu königlicher Protektion: Pierre brachte es zum Bischof von Paris. Albert, verheiratet mit einer reichen Erbtochter, Catherine de Clermont, stieg auf zum Marschall und erwarb den Herzogstitel Retz. Charles, der gleichfalls eine überaus gewinnbringende Ehe schloss, wurde premier valet de la chambre Karls IX. Neben sie trat ein Cousin aus einer zeitweise spanischen Linie: Jerôme de Gondi, der sich in mehreren diplomatischen Missionen im Dienste Caterinas de' Medici, Karls IX. und Heinrichs III. auszeichnete.
Natürlich gab es für die Familie auch Rückschläge: Im Wettbewerb um die königliche Gunst kam es zwischen den Brüdern Albert und Charles zum Konflikt, der dann allerdings bald ein Ende fand, da zunächst der König und dann der jüngere Gondi-Bruder starben. Der Tod Karls IX. brachte freilich auch für Albert, den künftigen Herzog von Retz, Probleme, da er bei Heinrich III. nicht mehr den gleichen Rückhalt finden sollte, wie bei dessen Vorgänger oder der Königinmutter. Retz' Position blieb dennoch hinreichend solide. Auf seine Dienste verzichten wollte der neue König nicht. Doch Favoriten gab es unter Heinrich III. einige, und Retz gehörte nur noch bedingt dazu. Gestützt auf ungedruckte Korrespondenzen und Memoranden der Familienmitglieder, Beobachtungen fremder Diplomaten und die einschlägigen gedruckten Quellen zeichnet Milstein detailliert den Einfluss nach, den der Herzog Retz, sein Bruder und sein Cousin auf das französische Regierungshandeln der 1570er- und 1580er-Jahre entfalteten.
Den ersten Herzog, Albert de Gondi, betrachtet Milstein dabei sicher zu Recht als die zentrale und entscheidende Figur in der Familiengeschichte. Seinen militärischen wie diplomatischen Verwendungen und auch Fähigkeiten widmet sie angemessenen Raum. Beträchtliche Bedeutung erkennt sie jedoch auch Pierre de Gondi, dem Bischof von Paris, zu. Er wirkte im Hintergrund des Hofes zugunsten seines Bruders und dessen Erben, nicht zuletzt durch großzügige Patronage und Mäzenatentum. Am Ende des 16. Jahrhunderts gehörte die Familie ganz zweifelsfrei zu den führenden des Landes. Zugespitzt gesagt, hatte sich der Aufstieg innerhalb von 20 Jahren nach dem Tod Heinrichs II. vollzogen, war also das Werk einer Generation. Die Erben des ersten Herzogs konnten diese Position halten und ausbauen - was freilich nur gestreift wird. Charles de Gondi, Alberts ältester Sohn erheiratete in Gestalt von Antoinette d'Orléans-Longueville sogar eine (entfernte) Verwandte des königlichen Hauses.
Ihr, ihren Vorgängerinnen als Ehepartner der Gondi sowie den Töchtern des Hauses ist, etwas exkurshaft, das abschließende Kapitel gewidmet. Klar wird, dass und wie jeweils Geld und gesellschaftlicher Einfluss geheiratet wurde, wie man Allianzen mit anderen Familien vorbereitete und wie man, nicht zuletzt, kirchliche Pfründen sicherte. Zentral war wohl die Rolle von Claude-Catherine de Clermont, der Gattin des ersten Herzogs, deren Erbe an Gütern das Haus auf eine ganz neue materielle Grundlage stellte. Für die Zeitgenossen zeichnete sie sich allerdings wohl vordringlich durch einen bemerkenswerten Lebenswandel aus.
Das Buch von Joanna Milstein ist klar gegliedert, aus archivalischen wie gedruckten Quellen solide gearbeitet und - mit Blick etwa auf Italienfeindschaft, Anti-Machiavellismus und nicht zuletzt das Geschehen der Religionskriege - in den politischen wie intellektuellen Kontext des späten 16. Jahrhunderts eingegliedert. Es liefert auf 220 Seiten Text einen schönen Baustein zur Geschichte des französischen Adels. Irritierend ist allerdings der reichlich überambitioniert geratene Titel: Es geht Milstein um den Aufstieg eines bis dahin randständigen, gar landfremden Hauses zwischen, sehr großzügig gerechnet, 1550 und 1590. Das umfasst wenig mehr als eine Generation. Schon die weitere Hausgeschichte nach dem ersten Herzog kommt nur kursorisch zur Sprache. Doch ist dies interessant genug. "Family Strategy and Survival in Early Modern France" zeigt es damit freilich nur in einem speziellen Ausschnitt.
Martin Wrede