Werner Busch: Adolf Menzel. Auf der Suche nach der Wirklichkeit, München: C.H.Beck 2015, 304 S., 167 Farbabb., ISBN 978-3-406-68090-8, EUR 58,00
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Unter den Ehrungen zum 200. Geburtstag Adolph von Menzels (1815-1905) am 08. Dezember 2015 ist Werner Buschs repräsentativ angelegte, vom Beck-Verlag aufwendig ausgestattete neue Monografie von 2015 über den nach wie vor umstrittenen Künstler-Wissenschaftler die markanteste publizistische Leistung. Als Pendant zu der 2004 als Taschenbuch in der Beck'schen "Reihe Wissen" erschienenen Einführung Buschs in das Leben und Werk Menzels offenbart der profunde, Schwerpunkte des Autors innovativ fortentwickelnde und auch sprachlich gelungene neue Band eine besondere Qualität des namhaften Kunsthistorikers. Sowohl das Heft von 2004 als auch das gewichtige Kunstbuch von 2015 belegen, dass sich Publikumstauglichkeit und wissenschaftliche Spezifik niemals zwangsläufig ausschließen.
Nicht primär an die Fachwelt gerichtet, ist diese Gesamtdarstellung allerdings umso mehr daran zu messen, ob und wie Menzels Vielschichtigkeit und damit auch die Gegensätzlichkeit der Forschung über Menzel aus festlichem Anlass als Wert an sich behandelt wird oder nicht.
"Auf der Suche nach der Wirklichkeit" lautet der Untertitel des neuen großen Menzel-Buches, das damit unverkennbar noch einmal einen Standard der sehr umfangreichen Forschungsliteratur über den Künstler aufgreift: die Problematik, was bei Menzel als einem Hauptvertreter des künstlerischen Realismus im 19. Jahrhundert Realismus überhaupt bedeutet. Das Lebenswerk von Werner Busch kreist immer wieder um die ästhetischen und ethischen Fragen realistischer Kunst, sodass die einleitenden Worte über "die Aneignung von Wirklichkeit" und "die Dimension der gebrochenen Wirklichkeitserfahrung" (13) als dem Hauptanliegen und der argumentativen Achse des Bandes in der Form eines autobiografischen Rückblicks auf frühere Etappen der Realismus-Debatte formuliert worden sind. Die bedeutsamste jüngere Wiederbelebung dieser Diskussion ging zweifellos von Michael Fried aus, dessen Studie über "Menzels Realismus. Kunst und Verkörperung im Berlin des 19. Jahrhunderts" (engl. 2002, dt. 2008) Busch bereits in dem kleinen Menzel-Büchlein von 2004 punktuell berücksichtigt hatte. Frieds einschlägiges Argument, ihrer verblüffenden Detailgenauigkeit wegen seien die Werke Menzels nicht als dokumentarische Fixierungen, sondern als inkorporierende Einfühlung des Künstlers in die physische Dingwelt anzusehen, ließ Busch ab 2008 auch den unmittelbar-persönlichen Kontakt zu Michael Fried suchen.
Die Intensität dieses "Austauschs vor Menzels Zeichnungen" (10) machte jedoch die grundsätzliche Eigenständigkeit unterschiedlicher Forschungsperspektiven vermutlich erst offenkundig. Ist die Irritation durch die unkonventionelle Überlegung Frieds, in Menzel anstelle einer oft thematisierten detektivisch-registrierenden Nüchternheit eine beinahe romantische, omnipräsente Einfühlung wirksam zu sehen, der Grund für eine Art Sicherheits-Distanz gegenüber der Zeichnung in dem Band von 2015? Busch betrachtet Menzels Zeichnen hier strikt instrumentell als "Vorbereitung, Training und Materialsammlung" (85) für größere Gemälde und Grafiken und lässt in einer für die Menzel-Literatur absolut ungewöhnlichen Weise die "Zeichnungen nur Menzels Bilder begleiten" (84). Die gleichzeitige überhöhende Bewertung dieser Blätter als Bildzeugnisse der "Weltbewältigung" und Form des existenziellen "Standhaltens" (255) des Künstlers führt ebenfalls nicht näher an die konkreten Bildobjekte heran. "Die Dinge bleiben in der Schwebe" (256), heißt es lapidar über Menzels ikonografisch unklare experimentelle, späte Zeichnungen. Deren wissenschaftshistorische Parallelität zur Gedächtnistheorie Ewald Herings (1870) oder zu den Ideen Robert Vischers (1872) und Heinrich Wölfflins (1886) über ästhetische Einfühlung bleiben unerwähnt. Die von Fried erzielte gesteigerte Sensibilität für Menzels Zeichnungen hat sich auf die neue Menzel-Publikation von Werner Busch nicht übertragen. Gleichzeitig macht die hier sich dokumentierende Rivalität im Umgang mit "realistischer Kunst" die Notwendigkeit einer Problematisierung des kunst- und bildwissenschaftlich äußerst fragwürdigen Prinzips "Realismus" überdeutlich.
Paris und der Moderne in ihrem Bezug zu Menzel gilt der zweite Schwerpunkt des Buches von Werner Busch und auch darin führt der Autor ein Hauptmotiv seines eigenen Lebenswerkes fort. Von Walter Benjamin inspiriert, hat Busch seit seinen Studien über "Wirklichkeitsaneignung und Stilisierung" (1985) die Erforschung des 19. Jahrhunderts als eine Suche nach den Quellen der Moderne vertreten. Dieser Linie folgt der Band von 2015 durch die überraschende Identifizierung eines bislang von der Forschung so gut wie übersehenen Gemäldes von 1867 als Menzels Antwort auf Claude Monet. Aus den Zeichnungen ergibt sich ein ikonografischer Gesichtspunkt, der zusätzlich für diese großformatige Gartenszene als ein während des mehrmonatigen Paris-Aufenthaltes 1867 entstandenes Souvenir Menzels spräche. So belegen die Skizzenbücher, dass Menzel wie so viele andere Paris-Besucher vor dem Trubel der Großstadt Schutz in Parks und Gärten suchte. Zumindest darin wäre das in seiner deskriptiven Detailliertheit so gar nicht impressionistische Bild - sollte sich tatsächlich dessen Echtheit bestätigen - ein Beleg der "Pariserfahrung" (219) Menzels.
Die Modernität Menzels unterliegt ebenso wie dessen zeichnerisches Werk bei Busch einem gewissen kennerschaftlichen Zugang. Und ebenso wie bei Gelegenheit der experimentellen späten Zeichnungen deuten sich auch im Umgang mit Menzels oft als "modernistisch" gedeuteten Gemälden wie z.B. der "Atelierwand" (1872) bestimmte Grenzen dieser Kennerschaft an. "Es dürfte besser sein, es offen zu lassen" (230), wendet sich Busch gegen die als "Spekulationen" (227) bezeichneten Verweise auf die Formengeschichte der Moderne durch Werner Hofmann. "Die Bildzeichen, die wir in der 'Atelierwand' vorfinden", so Busch in diesem Zusammenhang weiter, "ergeben - ganz abgesehen davon, dass wir uns bei vielen über ihren Zeichencharakter nicht sicher sein können - keine eindeutige Syntax" (230f.). Als Leser Ernst Cassirers würde Hofmann die Möglichkeit einer solchen "eindeutigen Syntax" für ein Kunstwerk wohl überhaupt abgelehnt haben. Mit seinem Blick auf die "Motive und Ideen des 19. Jahrhunderts" (1960) die Geschichte von Formen mit der Ideengeschichte koppelnd, ist Hofmann für die sich seit einigen Jahren sehr erfolgreich entfaltende interdisziplinäre Ideenforschung ein unvergesslicher früher Gewährsmann, zu dem man der Kunst- und Bildgeschichte anlässlich des 200. Geburtstags Adolph von Menzels eher gratulieren sollte.
Mit der Wissenschaftsgeschichte und der Ideengeschichte kommen dem neuen Menzel-Band von Werner Busch gleich zwei der in den letzten Jahren fächerübergreifend erfolgreichen Forschungstendenzen nicht zugute. Dennoch ist das Buch für Wissenschaft und Laienpublikum eine Bereicherung, die man nicht missen möchte. Die Solidität der historischen Kontextualisierungen spricht ganz und gar für sich. Die Stringenz des Autors macht die Publikation zur Verdichtung von Grundlagen und aktuellen Ergebnissen einer starken eigenen Schule in der Vielstimmigkeit der Menzel-Forschung.
Jörg Probst