Heinz-Jürgen Beste / Dieter Mertens: Die Mauern von Syrakus. Das Kastell Euryalos und die Befestigung der Epipolai (= Deutsches Archäologisches Institut; Bd. 18), Wiesbaden: Reichert Verlag 2015, 327 S., 311 s/w-Abb.; 9 Falt-Ktn., ISBN 978-3-95490-033-6, EUR 98,00
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Noch immer überragt das Kalksteinsteinplateau Epipolai mit seinen etwa 1800 Hektar Fläche und stellenweise bis zu 20 Meter Höhe steil abfallenden Kanten die Halbinsel Ortygia - und damit die Keimzelle des antiken Syrakus. Das rasante Wachstum des rezenten Syrakus rückt jedoch inzwischen der Ummauerung der Epipolai bedrohlich nahe. Hierin liegt der Handlungsbedarf aus archäologischer Sicht begründet, in dessen Folge die vorliegende Publikation entstand. Mit ihr findet ein ambitioniertes Projekt des DAI Rom seinen Abschluss, welches seit 1988 im Rahmen diverser institutioneller Kooperationen vollzogen worden ist: die vollständige Aufnahme der Epipolai-Befestigungen wie auch des jene im Westen abschließenden Euryalos-Kastells. Dementsprechend vereint der Band verschiedene, unterschiedliche Phasen der Erforschung dokumentierende Abschnitte.
Zunächst macht Dieter Mertens (25-56) deutlich, wie sehr der ältere Forschungsstand von irrigen Vorstellungen geprägt gewesen sei. Die - angefangen bei Thukydides - prominente originäre Überlieferungslage zu den Mauern "als Spiegel der wechselhaften Geschichte der Stadt" (25) hatte schon in deren frühneuzeitlicher Rezeption zu einer "Verzerrung der Wirklichkeit" (ebd.) geführt, was beispielhaft anhand einiger seit dem ausgehenden 15. Jahrhundert entstandenen Veduten präsentiert wird. Eine dabei zu beobachtende Gleichsetzung des dichtbebaut gedachten antiken Stadtgebietes mit der Epipolai blieb trotz genauerer, auf Autopsie fußender, Karten noch im 19. Jahrhundert etabliert und wurde letztlich erst 1932 durch Knud Fabricius in Frage gestellt worden. Dessen Annahme, dass das antike Syrakus samt seiner Erweiterungen allenfalls das Hochplateau berührt und sich ansonsten auf den südlich davon gelegenen Terrassen ausgebreitet habe, ist für Mertens nach wie vor tragend. Wiederholt wird daher von ihm auf die 1969 veröffentlichte Studie von Hans-Peter Drögemüller [1] verwiesen, der die Beschränkung der antiken Stadt auf die sogenannte "Festlandsschräge" von philologischer Seite aus gestützt hatte.
Der ummauerten Epipolai bliebe damit der Charakter als weiträumige "Landschaftsfestung" (wie ihn Ernst Kirsten 1956 definiert hatte), die zwar dem Stadtgebiet angeschlossen gewesen ist, ansonsten aber als Fluchtburg für die Bevölkerung der Chora fungierte. Bereits beim Blick auf den 1883 angefertigten und nach wie vor maßgeblichen Syrakus-Plan von Saverio Cavallari kann man einen ähnlichen Eindruck gewinnen.
Eine Aktualisierung des Cavallari-Plans auf Grundlage des jüngsten, mittels Surveys und photogrammetrischer Vermessung erfassten Zustandes formuliert Mertens als eine der wesentlichen Zielsetzungen der Publikation. Mit ihm sollte nicht nur ein Beitrag zu offenen Fragen der historischen Topographie der Stadt zur Verfügung gestellt, sondern insbesondere hervorgehoben werden, dass die Epipolai-Mauern "ihren eigenen Entstehungsgrund und ihre eigene, von der Schutzfunktion des Stadtgebietes selbst abweichende ergänzende Aufgabe" (49) besaßen. Topographie und Geologie des Plateaus bedingen den unterschiedlich guten Erhaltungszustand der Mauerabschnitte, der damit auch Umfang und Untergliederung der folgenden Kapitel vorgab.
So folgt man - das Euryalos-Kastell an der Westspitze des Plateaus zunächst außen vor lassend - dem Mauerverlauf im Norden bis zur Küste (57-85) und dann den längsten Abschnitten der Seemauer im Osten (86-100). Wiederum vom Kastell ausgehend und bis zu den noch kaum geklärten Anschlüssen an die eigentliche(n) Stadtmauer(n) wird die detaillierte Baubeschreibung schließlich anhand der am aufwendigsten ausgeführten Südmauer komplettiert (100-125). Die Spezifika der Mauern mit ihren regelmäßigen Ausfallpforten, stellenweise hervorspringenden Rechtecktürmen und Toranlagen können auf diversen Fotos und einigen Zeichnungen nachvollzogen werden. Nimmt man dabei noch die dem Band separat beigegebenen Pläne hinzu, die den Gesamtverlauf im Maßstab 1:10000, alle einzelnen Mauerabschnitte aber im Maßstab 1:3000 verzeichnen, gewinnt man zusätzlich einen sehr guten Überblick über die der Topographie angepasste taktische Konzeption der Befestigungsanlagen.
Jene wäre unvollständig ohne einen Blick auf das ausgeklügelte Festungssystem, welches den schmalen Zugang auf das Hochplateau von Westen her schützte. Das sogenannte Euryalos-Kastell stand durch seine einzigartige Konzeption und seinen guten Erhaltungszustand stets im Fokus der Fragestellungen zur Gesamtbefestigung des Epipolai, war aber nur vereinzelt monographisch thematisiert worden. Eine aktuelle Bauaufnahme und zeichnerische Rekonstruktion des Kastells, die auch das Zusammenwirken mit Mauerzügen und Toren verstärkt ins Blickfeld nehmen sollten, sind Gegenstand des nächsten Abschnitts (127-204) von Heinz-Jürgen Beste. Seine Beschreibung der einzelnen Bestandteile der Festung und Einbindung von Bauresten in Teilrekonstruktionen kann dabei dank der zahlreichen Fotos und der extra beiliegenden Längs- und Querschnitte durch die Anlage ebenso gut verfolgt werden wie bei Mertens im vorangegangenen Abschnitt. Angesichts des komplexen Befundes sollte man dabei auf die Konsultation der Beilage Nr. 5, die einen Grundriss- bzw. Steinplan vom Kastell-Areal im Maßstab 1:500 bietet, nicht verzichten. Seine Nutzbarkeit wird leider dadurch eingeschränkt, dass der entsprechende Text an mehreren, teils durchgängigen Stellen (137-148, 156, 166-167, 172 sowie 288-294) eine abweichende Nummerierung aufweist.
Mit dem durch Salvatore Ortisi in Katalogform vorgestellten Funden aus jüngeren Sondagen gewinnt man anschließend (205-240) einen Einblick in die materiellen Grundlagen von Bestes jetziger Chronologie des Festungskomplexes. Es kamen zwar - vielleicht abgesehen von einer Pilum-Spitze - keine besonders bemerkenswerten Funde zutage, doch bezeugt schon die keramische Bandbreite eine intensive Nutzung des Areals vom späten 5. bis zum frühen 1. Jahrhundert v. Chr.
Im abschließenden Kapitel (241-301) überprüfen Mertens und Beste, inwieweit sich ihre Beobachtungen mit tradierten historischen Szenarien vereinen lassen. Dabei betonen sie, dass es für die Trassen der vordionysischen Stadtbefestigungen - sei es die Mauer des Gelon aus den 480er Jahren oder die verschiedenen Belagerungswerke 415/414 v. Chr. - nach wie vor zu wenig eindeutige Reste gebe, für die archaischen Mauern gar "fehlt jeder archäologische Befund" (246). Der auch für die Orientierung der Befestigungsanlagen entscheidenden Frage nach der Hauptrichtung des städtischen Wachstums von der Halbinsel Ortygia aus nach Norden oder - von Mertens und Beste präferiert - nach Nordwesten fehlen durch die nicht endgültig geklärte Verortung des antiken Isthmos wichtige Anhaltspunkte.
Gesichert scheint nunmehr aber - zumindest für die Nordmauer - die Plausibilität der Diodor-Stelle, die einen überraschend schnellen und logistisch durchorganisierten Bau der Epipolai-Befestigungen bezeugt. Die Autoren weisen überzeugend auf den besonderen Bewegungsspielraum und die Ressourcen hin (252-264), über die Dionysios I. nach dem Waffenstillstand mit Karthago 405 v. Chr. verfügen konnte. In diesem zeitlichen Umfeld wäre die baldige Komplettierung eines solchen Großprojektes am ehesten denkbar. Auch die Verwirklichung der stärkeren, wohl etwas später datierenden Südmauer sei unter diesen Bedingungen noch unter Dionysios erfolgt.
Anders als bei der Epipolai-Ummauerung stand beim Euryalos-Kastell kein einheitliches Konzept Pate. Wie auf den Phasenplänen (273-278) gut nachvollziehbar, war der Euryalos zuerst allein durch verstärkte Flankenmauern der hiesigen Tore besonders geschützt (Phase I). Die Vorblendung durch die sogenannte Fünf-Turm-Batterie und die sie schützende Flesche mit dem (zwischenzeitlich durch unterirdische Galerien zu einer Ausfallmöglichkeit modifizierten) Graben C dürfte erst in die spätere Regierungszeit Dionysios' oder wenig später datieren (Phasen IIa-III). Wesentliche - wahrscheinlich vornehmlich durch Belagerungs-Erfahrungen mit den Karthagern bedingte - Änderungen des Verteidigungskonzepts sind dann zwischen dem späten 4. und den ersten Jahrzehnten des 3. Jahrhunderts v. Chr. anzusetzen (Phase IV). Die Autoren führen hierfür Vergleiche mit der Nordfestung von Selinunt und weiteren Anlagen der Magna Graeca an. In Syrakus waren zusätzliche Gräben, Bastionen und Türme, welche die Tore und das Kastell verstärkten und letzteres nach Westen erweiterten, wohl ebenfalls der Versuch einer angemessenen Reaktion auf zwischenzeitliche poliorketische Neuerungen. Letzte Einbauten im Kastell und Proteichisma-Mauern vor dem Dipylon-Tor (Phase V) gehörten dann erst in das zeitliche Umfeld der römischen Eroberung der Stadt.
In Summe haben die Autoren eine aussagekräftige und insbesondere visuell ansprechende Zusammenstellung der Arbeiten auf Epipolai und Euryalos in den letzten Jahrzehnten vorgelegt und zugleich verstreute, teilweise erheblich ältere, Forschungen ebenso zusammengeführt wie auf den neusten Stand gebracht. Zudem geben sie künftig zu beachtende Hinweise auf lohnenswerte Grabungen etwa im Bereich des Lager-Kastells Tremilia (110-116) oberhalb der Südmauer oder des Gebäudekomplexes an der Bucht nördlich des Hexapylons (82-85). Bis zu deren Umsetzung muss jedoch die Bewertung der Befestigungsanlagen von Syrakus ohne weitere archäologische Erschließung des Hochplateaus und auch des antiken Stadtgebietes auch weiterhin unter eben jenem "Vorbehalt des Vorläufigen" (12) gesehen werden, den die Autoren ihrer Studie wiederholt einräumen.
Was diese Publikation aber für die Betonung der Wichtigkeit fortifikatorischer Untersuchungen bei urbanistischen Fragestellungen - in Syrakus wie anderswo - aus Sicht der Bauforschung beitragen konnte, hat sie überzeugend beigetragen.
Anmerkung:
[1] Hans-Peter Drögemüller: Syrakus. Zur Topographie und Geschichte einer griechischen Stadt, Heidelberg 1969 (Gymnasium Beihefte; Bd. 6).
Dominik Kloss