Rezension über:

Jitse H.F. Dijkstra / Greg Fisher (eds.): Inside and Out. Interactions between Rome and the Peoples on the Arabian and Egyptian Frontiers in Late Antiquity, Leuven: Peeters 2014, XVIII + 484 S., ISBN 978-90-429-3124-4, EUR 121,35
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Rezension von:
Isabel Toral-Niehoff
Seminar für Semitistik und Arabistik, Freie Universität Berlin
Redaktionelle Betreuung:
Matthias Haake
Empfohlene Zitierweise:
Isabel Toral-Niehoff: Rezension von: Jitse H.F. Dijkstra / Greg Fisher (eds.): Inside and Out. Interactions between Rome and the Peoples on the Arabian and Egyptian Frontiers in Late Antiquity, Leuven: Peeters 2014, in: sehepunkte 16 (2016), Nr. 9 [15.09.2016], URL: https://www.sehepunkte.de
/2016/09/27948.html


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Jitse H.F. Dijkstra / Greg Fisher (eds.): Inside and Out

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Seit den Zeiten von Peter Brown hat bekanntlich das Forschungsfeld der 'Late Antique Studies' eine wahre Flut an Publikationen produziert. Diese enorme Produktivität ist unter anderem Folge einer Fokuserweiterung, die das thematische Spektrum enorm vergrößert hat. Dazu gehört sowohl die Verschiebung des zeitlichen Rahmens zu einer 'Long Late Antiquity', die nun fast bis in das zehnte Jahrhundert reicht; andererseits aber auch eine geografische Verlagerung in den Osten, sodass auch Regionen jenseits des römischen limes wie Mesopotamien, Babylonien, Arabien, Ägypten und Nubien zunehmend in den Blick der 'Late Antique Studies' geraten.

Der hier vorliegende Sammelband, der die spätantiken 'barbarischen' Grenzbewohner der östlichen und südöstlichen Peripherie des Imperium Romanum zum Thema hat (d.h. die Bevölkerung der 'Arabian frontier' und diejenige der 'Egyptian frontier'; zur Bestimmung dieser geografischen Termini: 9-20), reiht sich in diesen Trend ein. Er bietet in achtzehn Beiträgen einen guten Überblick über die derzeitige Forschungslage und behandelt eine Zeitspanne, die vom 1. Jahrhundert bis zum zehnten Jahrhundert reicht. Der Band zeichnet sich außerdem durch eine komparatistische Herangehensweise und die Verwendung anthropologischer Modelle aus. So wird erstens - und daher rührt der Titel "Inside and Out" - die Unterschiedlichkeit der Außen- und der Binnenperspektive betont; dafür wird der Blick der 'äußeren' Quellen ("outside" - damit sind im Wesentlichen die antiken Texte gemeint, also die Sicht des Imperiums) demjenigen der den "inneren" Quellen ("inside" - hiermit sind Inschriften, Graffiti u.ä. Hinterlassenschaften der Gruppen selbst) gegenübergestellt. Zweitens werden beide Regionen und deren Bevölkerung in Hinblick auf deren Verhältnis zum Römischen Staat wie auch untereinander verglichen; die Herausgeber gehen dabei von der Hypothese aus, dass beide Gruppen tribalistisch organisierte Gesellschaften waren, und dass diese soziale Organisationsform ihre Beziehung zu Rom prägte. Als methodischer Bezugspunkt dient die anthropologische Forschung, welche die Wechselbeziehungen zwischen Staaten und Stammesgesellschaften ("state - tribe") untersucht.

Die komparatistische Fragestellung bestimmt auch den Aufbau des Bandes, der auf die Tagungsbeiträge einer Konferenz in Ottawa aus dem Jahr 2012 zurückgeht und welcher deren Panelaufteilung reflektiert. So folgt nach einer ausführlichen Einführung in die Materie und in die Entstehungsgeschichte des Bandes (1-31) zunächst als thematische Hinführung ein hervorragender Überblick von Christian Robin über die neuesten Forschungsergebnisse auf dem Gebiet der arabischen Epigrafik, deren spätantike Befunde er in Zusammenhang mit der Expansion und Hegemonie der Ḥimyār und deren judaisierenden Religion interpretiert (34-76). Diesem folgt der erste, methodisch orientierte Abschnitt A, welcher die für die Frage relevanten anthropologischen Erklärungsmodelle diskutiert. Er besteht aus zwei Beiträgen: Zunächst findet sich ein kurzer Artikel vom Anthropologen Philip Salzmann zur Modell der sozialen Netzwerkanalyse und zu deren Anwendung auf das Verhältnis zwischen Staat und tribalistischen Gesellschaften (83-90); ihm folgt ein längerer Beitrag von Stuart T. Smith zur Funktion der nomadischen Gruppen im spätantiken unteren Nubien (den sogenannten Noubades und den Blemmyes der antiken Quellen), die der Autor als dynamisierenden, vermittelnden Faktor in der Wechselbeziehung zwischen der römischen, der ägyptischen und der nubischen Kultur versteht (91-111).

Abschnitt B behandelt die antiken Vorläufer der hier behandelten tribalistischen Gruppen; dabei wird jede Region (Arabien / Naher Osten bzw. Ägypten / Nubien) jeweils aus der 'äußeren' und aus der 'inneren' Perspektive betrachtet: So diskutiert erst Ariel Lewin (113-144) nuanciert die Passagen antiker Autoren zu den Nabatäern (vor allem Diodor und Strabon); als Pendant für die Binnensicht der Araber steht diesem ein exzellenter Artikel von Michael MacDonald zur Seite, der die zeitgleichen safaitischen Inschriften behandelt. MacDonald betont die hieraus herauszulesende Symbiose und Kommunikation zwischen Nomaden und Sesshaften (145-164). Was die ägyptische Grenzregion betrifft, so behandelt der Artikel von Hélène Cuvigny die Referenzen auf barbaroi der in diesem Gebiet gefundenen griechischen Papyri (165-198), welche eine allmählich nachlassende Aggressivität der vermutlich nomadischen Gruppen suggerieren. Helmut Satzinger wiederum untersucht als Binnenperspektive das Namensmaterial der in den Ostraka von Xeron erhaltenen 'barbarischen Namen'; dieses legt einen Bezug mit den in antiken Quellen genannten Blemmyern nahe (199-214).

Abschnitte C und D widmen sich der eigentlichen spätantiken Epoche und bilden den Schwerpunkt des Sammelbandes. C bündelt diejenigen Beiträge zur Außenperspektive (the 'outside sources'): Conor Whately (215-234) diskutiert differenziert die stereotypen Darstellungen der Araber v.a. bei Ammianus Marcellinus und Prokop. Er stellt fest, dass antikisierende Autoren die 'Barbaren' differenzierter darstellen als die außerhalb dieser Tradition stehenden kirchlichen Chronisten. Hugh Elton untersucht die arabischen Gruppen, die in den Fragmenten bei Priscus und Malchos im fünften Jahrhundert erwähnt werden (235-249); obwohl die Referenzen selten sind, lässt sich ihm zufolge ein relativ komplexes Bild der damaligen arabischen Stammesgesellschaft daraus gewinnen. Geoffrey Greatex wiederum zeichnet die Grundzüge römischer imperialer "Araberpolitik" auf der Grundlage von Prokop nach, die seiner Interpretation zufolge mehr von Pragmatik als von Ideologie bestimmt war (249-266). Abschnitt D bündelt wiederum die Beiträge, die sich der Binnenperspektive widmen (the 'inside sources'): Der Arabist Robert Hoyland stellt allerdings die Unterscheidung von Innen- und Außenperspektive in Frage; dazu untersucht er die arabischen Texte aus dem 9.-10. Jahrhundert, die sich auf arabische Gruppen vor dem Islam beziehen; er rät zu einer nuancierten Bewertung, da sie älteres, authentisches Material enthalten könnten (267-280). Greg Fisher diskutiert wiederum ausführlich die politische Autorität der arabischen Stammesfürsten aus dem sechsten Jahrhundert, die ihm zufolge dem anthropologischen Modell von nichtstaatlicher, "tribal leadership" entsprach; deren fragile Position bestimmte wiederum deren Funktion als Vermittler ("mediator" and "broker") zwischen ihrem Stamm und dem römischen Staat (281-298). Im Anschluss analysiert Jitse Djikstra auf der Grundlage von Inschriften (v.a. der Silko-Inschrift aus dem fünften Jahrhundert, in welcher sich der Noubadische König dieses Namens selbst rühmt) das Verhältnis der Völker an der ägyptischen Grenze (Blemmyer und Noubader) zum Römischen Imperium, die eher als komplexe Stammesgesellschaften denn als Königreiche zu verstehen sind, und deren Führer, ähnlich wie andere Stammesführer, vor allem als Vermittler zum Staat auftraten (299-330). Zuletzt folgt ein sehr informationsreicher und methodisch reflektierter Überblick über die neuesten Entwicklungen auf dem Gebiet der äthiopischen Studien von Pierluigi Piovanelli (331-355), der von einer undifferenzierten Verwendung äthiopischer Textquellen wie den Kebra Nagast warnt und auf die Relevanz rezenter archäologische Forschungen hinweist.

Abschnitt E umfasst zwei Artikel, welche die religiöse Dimension der Fragestellung ausloten. Der Artikel von Philip Wood zeichnet ein komplexes Bild der Funktion religiöser, dogmatischer und kirchenpolitischer Zugehörigkeit bei den arabischen Fürstentümern des sechsten Jahrhunderts (Jafniden und Nasriden) in Hinblick auf ihre jeweiligen politischen Allianzen mit Rom und Iran (355-369). Der zweite Artikel von George Bevan analysiert die Position der äthiopischen Kirche gegenüber dem Konzil von Chalcedon 451 auf der Grundlage apokalyptischer Passagen im Kebra Nagast (Kap. 113 und 116, diese betrachtet er als genuin) und der zeitgenössischen Numismatik. Seiner Ansicht nach zeigen diese Quellen, dass sich der äthiopische König als christliche Alternative zum römischen Kaiser sah und damit viel ambitionierter war als die syrische miaphysitische Kirche.

Der letzte Abschnitt F wirft einen Blick auf die Nachgeschichte in dieser Region. So untersucht Stephen Humphreys die Auswirkungen der islamischen Eroberung auf den syrischen und nordmesopotamischen Raum, die dazu führten, dass sich die Bevölkerung allmählich bis zum Beginn der Kreuzzugszeit arabisiert und islamisiert hatte (391-406). David Edwards schließlich untersucht den langfristigen Wandel in der ägyptischen Grenzregion von der meroitischen zur nachmeroitischen Zeit und kommt zu dem Schluss, dass ethnische Faktoren in der Forschung überbewertet worden sind, da sie zu sehr auf die Erklärungsmodelle der antiken Quellen zurückgehen (407-432). Der Band endet mit einem Quellen- und einem Sachindex.

Die einzelnen Beiträge sind informativ, solide und aufschlussreich, die ambitionierte Gesamtkonzeption überzeugt aber leider nicht ganz. Es liegt in der Natur von solch breit angelegten komparatistischen Fragestellungen, und ist Resultat der uneinheitlichen Quellenlage, dass sich Verallgemeinerungen nicht vermeiden lassen und die Vergleichbarkeit der Phänomene oft Fragen aufwirft. Es wäre allerdings wünschenswert und im Sinne der Fragestellung fruchtbar gewesen, diese Problematik zu thematisieren, da diese Reflektion Potential und Grenzen der anthropologischen Herangehensweise deutlicher gemacht hätte. Als Beispiel mag hier die Gegenüberstellung des Artikels von Lewin zu den Nabatäern zu demjenigen von MacDonald zu den safaistischer Inschriften dienen. So wird die arabische ethnische Identität der aramäisch schreibenden Nabatäer wie auch deren tribalistische Struktur in der Forschung unterschiedlich bewertet - womit das tertium comparationis zu den zeitgleichen Verfassern der safaitischen Inschriften entfallen würde. Schwerer als diese durch die Quellenlage bedingten überdehnten Analogien wiegt allerdings der Umstand, dass bei einem Band mit konzeptionellem Anspruch strittige Kernbegriffe wie "Stamm" und "Staat" nicht diskutiert werden, und dass auch die Probleme unausgesprochen bleiben, die aus der Übertragung dieser Konzepte auf spätantike Verhältnisse erwachsen. Das Römische Imperium war nun mal kein moderner Staat; und es ist auch keinesfalls selbstverständlich, dass arabophone Gruppen zugleich nomadisch lebten und tribalistisch organisiert waren. Der kurze Beitrag von Philip Salzmann, des einzigen Anthropologen in diesem Band, enttäuscht, denn seine Beispiele stammen alle aus der jüngsten Vergangenheit. "Staat" bezieht sich nämlich in der ethnologisch geprägten state-tribe Forschung auf den modernen, äußerst stratifizierten National- und Territorialstaat, dessen allumfassender Herrschaftsanspruch mit den eher egalitären tribalistischen Strukturen der Stämme kollidiert, sodass sich hier zwei komplett unterschiedliche Vorstellungen von Raum, Gewalt und Autorität begegnen. Hier fallen gravierende Unterschiede zur Spätantike auf, die auch benannt werden sollten.

Wie schon betont, enthält dieser Band dennoch durchgehend gute bis sehr gute Beiträge, die einen informativen Einblick in die neuesten Forschungsergebnisse der "östlichen Spätantike" geben und richtet zudem den Blick auf zwei weniger bekannte Randregionen des Römischen Reiches, nämlich die arabische und die ägyptisch-nubische Grenzregion. Er sei Althistorikern und historischen Anthropologen gleichermaßen empfohlen.

Isabel Toral-Niehoff