Stephan Berg / Gabriele Conrath-Scholl / Stefan Gronert u.a. (Hgg.): Mit anderen Augen. Das Porträt in der zeitgenössischen Fotografie, Köln: Snoeck 2016, 360 S., 280 Farbabb., ISBN 978-3-86442-158-7, EUR 39,80
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Im Frühjahr 2016 ist die Kooperationsausstellung "Mit anderen Augen - Das Porträt in der zeitgenössischen Fotografie" in Köln zu Ende gegangen; etwa ein Jahr später soll die Fotoschau in Nürnberg eröffnen. Für die Ausstellung verantwortlich zeichnen die Photographische Sammlung/SK Stiftung Kultur und das Kunstmuseum Bonn, die beide auf umfangreiche und vorzügliche Bestände gesammelter Fotoarbeiten zurückgreifen können. Durch externe Werke ergänzt, wurden Arbeiten von über fünfzig internationalen Künstlerinnen und Künstlern mit dem erklärten Ziel präsentiert, eine exemplarische und zugleich vielfältige Darstellung der gegenwärtigen Bildgattung Porträt aufzuzeigen. Aus diesem umfangreichen Ausstellungsprojekt ist ein gewichtiger Katalog hervorgegangen.
Das gemeinschaftliche Projekt schlägt sich deutlich im Aufbau dieses Ausstellungskatalogs nieder: Die Sammlungen aus Köln und Bonn sind mit jeweils einem Katalogteil vertreten, denen je zwei Themenbeiträge zugeordnet sind. Den Auftakt für den Teil der Photographischen Sammlung/SK Stiftung Kultur bildet Gabriele Conrath-Scholls Artikel "Der Reiz des Dokumentarischen", in dem sie August Sander als Ausgangs- und Reibungspunkt für die nachfolgende Porträtentwicklung bei Fotografen wie Oliver Sieber oder Thomas Ruff in den Blick nimmt. Diesem einführend geschriebenen Beitrag folgt eine kurze Bildreihe kleinformatiger Abbildungen der behandelten Fotografinnen und Fotografen, die wie eine Art Teaser für den eigentlichen Katalog erscheint. Der Beitrag von Claudia Schubert geht der Porträtserie nach und beleuchtet, wie sich Künstlerinnen und Künstler im Menschenbild mit der Individualität im Globalisierungszeitalter auseinandersetzen. Dabei werden Personen und deren Werke kurz vorgestellt und inhaltlich eingeordnet. Als gute Lektürehilfe fungieren dabei die Verweise auf die entsprechenden Katalogseiten; eine Methode, die sich dann in allen Beiträgen findet.
Der zweite Abschnitt, der den Katalogteil zum Bestand des Kunstmuseums Bonn vorbereitet, beginnt mit einem sehr gelungenen Beitrag von Stefan Gronert, der eine Systematisierung der inhaltlichen Positionen im zeitgenössischen Fotoporträt vorlegt. Darin werden die ausgestellten Werke den Aspekten 'Übersteigerung', 'subtile Referenzen', 'Hyper-Inszenierung' und 'mediale Hybridisierung' zugeordnet und gegenübergestellt. Barbara Hofmann-Johnson stellt unter dem durchaus missverständlichen Titel "Das Porträt im öffentlichen Raum im Alltag oder einer bestimmten Lebenswelt" aufgenommene Bildnisse vor, die ihre Vorläufer in der street photography oder auch im Sanderschen Œuvre haben. Neben inszenatorischen Bildern, wie die von Jana Kölmel, kommen hier Arbeiten zur Sprache, die sich vom künstlerischen Bilderfoto lösen und mit Material aus den alltäglichen Einsatzsphären des fotografischen Porträts operieren, so in den Werkgruppen Peter Pillers oder Katja Stukes, die sich beide mit der Bildsprache und den Gebrauchsweisen der Überwachungskamerabilder auseinandersetzen.
Mit diesen Bildbeispielen politischer und sozialer Medien wird der Bogen zurück zum Eingangstext von Klaus Honnef geschlagen, der das Selfie insbesondere als ein emanzipiertes Porträt erfasst und seine Verwendung in aktuellen künstlerischen Positionen diskutiert. Als 'strukturell selbstbestimmt[es]' Selbstbildnis (sieht man einmal ab von den immer noch existierenden technischen Abhängigkeiten und Prämissen) scheint das Selfie dem Fotograf-Model-Kontrakt gänzlich überlegen, erübrigt sich doch die Erarbeitung eines persönlichen Verhältnisses zwischen dem Autor und dem Model (l), wie es gerade für die 'psychologischen Porträts' berühmter Fotografen maßgeblich war. Reaktionen zeitgenössischer Fotografen auf diese Entwicklung sind, wie Honnef skizziert, beispielsweise die Hinwendung zu seriellen Arbeiten, die Menschen über längere Zeiträume begleiten, oder Bildnisse, die gerade die Oberflächlichkeit des fotografierten Menschenbildes betonen.
Das für einen Ausstellungskatalog naturgemäß wichtigste Anliegen ist die Abbildung der ausgestellten Werke. Im vorliegenden Fall gibt es, entsprechend der beteiligten Sammlungsinstitutionen, zwei Katalogteile; die Fotoarbeiten erscheinen darin in hochwertigen Reproduktionen, sodass der bild- und materialästhetische Wert der Arbeiten anschaulich wird. Jedem Katalogteil ist ein Inhaltsverzeichnis vorgeschaltet, wobei sich hier allerdings weder die Ordnung der einzelnen Fotografen erklärt, noch deutlich wird, warum bei der Kölner Sammlung lediglich die Namen aufgelistet sind, während die Bonner Werke zusätzlich erklärende Zwischenüberschriften erhalten, die sich dann aber, wenn überhaupt, nur indirekt auf die Beiträge beziehen. Gemeinsam ist beiden Katalogteilen die Kombination von Abbildungen und Interviewtext: Anhand von fünf stets gleichen Fragen geben die Künstlerinnen und Künstler Auskunft über ihre Arbeitsweise und Ansprüche an die Bildgattung Porträt. Die so erreichte Übersicht ermöglicht zwar eine gewisse Vergleichbarkeit der Arbeiten und indirekt auch eine Erklärung für die Auswahlkriterien der Kuratorinnen und Kuratoren, sorgt aber für eine etwas ermüdende Gleichförmigkeit und eine gewisse Belanglosigkeit, da an einigen Stellen anders gerichtete Anfragen möglicherweise einsichtiger gewesen wären. Zudem kommt mit dem Interview eine weitere Textgattung und Darstellungsart hinzu, deren Zustandekommen oder Bedeutung sich an keiner Stelle erschließt. Ebenso bleibt mitunter die Zugehörigkeit der einzelnen Fotoarbeiten oder Werkgruppen zu den kuratierten Sammlungsbeständen unklar, da im Anhang die Besitznachweise nicht immer angegeben werden.
Seine Zielsetzung, eine möglichst große Bandbreite der aktuellen Porträtentwicklung in der Fotografie vorzuführen, hat der Ausstellungskatalog "Mit anderen Augen" durch die Zusammenstellung von heute weltbekannten Pionieren der Porträtkunst wie Sander und Arbus samt ihrer Epigonen und noch eher unbekannten Fotokünstlerinnen und -künstlern bestens erfüllt. Durch den Aufbau und die qualitätvollen, meist seitenfüllenden Abbildungen wird das Buch seiner Aufgabe, als Katalog die vergangene Ausstellung für ein Fachpublikum, für Sammlerinnen und Sammler sowie Museen, nachvollziehbar präsent zu halten, voll und ganz gerecht.
Babett Forster