Susanne Popp / Jutta Schumann / Fabio Crivellari u.a. (Hgg.): Populäre Geschichtsmagazine in internationaler Perspektive. Interdisziplinäre Zugriffe und ausgewählte Fallbeispiele, Bruxelles [u.a.]: Peter Lang 2016, 499 S., ISBN 978-3-631-66441-4, EUR 79,95
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Geschichtsmagazine sind Produkte der Geschichtskultur und müssen damit als genuiner Forschungsgegenstand sowohl der Geschichtsdidaktik als auch der Public History betrachtet werden. Ausgehend von ihrer Auflagenstärke ist zumindest anzunehmen, dass sie als wirkungsmächtig anzusehen und insofern ernstzunehmen und nicht impulsartig als "Trash" abzutun sind. Dieser Versuchung erliegt der vorliegende Band - so viel bereits an dieser Stelle - nicht.
Angesichts der Tatsache, dass zur fachlichen Einordnung der Geschichtsmagazine bisher nur Ansätze vorlagen, ist zu begrüßen, dass die Autorinnen und Autoren einige weiterführende Erkenntnisse bieten. Die wohl grundsätzlichste ist die, dass - wie bereits der Titel andeutet - Geschichtsmagazine ein internationales Phänomen sind. Zu erwähnen ist vorweg ebenfalls, dass der Veröffentlichung des Bandes mit einer internationalen Tagung im Jahr 2010 sowie dem EU-Projekt EHISTO ("European History Crossroads as Pathways to Intercultural and Media Education") umfangreiche Vorarbeiten vorausgegangen sind. Angesichts des knapp 500 Seiten starken Bandes möchte ich mich an dieser Stelle auf einige wenige Punkte und Einzelbeiträge beziehen, um den Gesamteindruck des Buches zu vermitteln.
Der Band gliedert sich in zwei große Abschnitte, von denen sich der erste ("Interdisziplinäre Zugänge") nach einer kurzen Einführung in sieben Beiträgen dem Gegenstand "Geschichtsmagazin" aus unterschiedlichen fachlichen Perspektiven nähert. Die Beiträge des zweiten Abschnittes ("Ausgewählte Länderstudien: Geschichtsmagazine innerhalb und außerhalb Europas") präsentieren demgegenüber Ergebnisse einer länderübergreifenden Studie. Dies geschieht auf der Grundlage eines gemeinsamen Analyserasters, mit dem die Titelseiten populärer Geschichtsmagazine aus Deutschland, Großbritannien, Schweden, Italien, Frankreich, Dänemark, der Türkei, Russland, Brasilien und China international vergleichbar analysiert wurden.
Die Beiträge in der ersten Hälfte des Bandes beziehen sich allerdings fast ausnahmslos (37) auf deutschsprachige Geschichtsmagazine, so dass die internationale Perspektive, die die Herausgeberinnen und Herausgeber für sich beanspruchen, wirklich nur in der zweiten Hälfte des Bandes realisiert wird. Dabei bieten die Beiträge ganz unterschiedliche, sich teils ergänzende, teils aber auch widersprechende Perspektiven auf den Gegenstand Geschichtsmagazin. Letzteres ist kein Manko, sondern angesichts der disziplinären Bandbreite der Beiträge zu erwarten und zu begrüßen. So wünschen sich die Beiträge aus Sicht der Geschichtsdidaktik (Susanne Popp und Jutta Schumann) beziehungsweise der Public History (Irmgard Zündorf) "die Einhaltung von Mindeststandards" (52) bei der Konzeption von Geschichtsmagazinen. Diese sollen zum Beispiel mit Blick auf die fachlich adäquate Bebilderung der Magazine Anwendung finden. Es wird behauptet, die Magazine müssten sich auch "mit den Ansprüchen der Geschichtswissenschaft [...] auseinandersetzen" (53).
Dass sie dies offensichtlich nicht tun (müssen), erläutert hingegen der Beitrag von Fabio Crivellari ("Vergangene Nachrichten. Die journalistische Formatierung von Geschichte") überzeugend. Dabei präsentiert der Autor eine hoch interessante, systemtheoretisch geprägte Sicht auf Geschichtsjournalismus als Kommunikationssystem und entlarvt im Zuge dessen die Frage nach ethischen Standards in der Vermittlung von Geschichte als - zumindest in der Eigenlogik der Magazine - irrelevant: "Geschichtsmagazine sind an der kognitiven Entwicklung ihrer Kunden nicht interessiert, zumindest betreiben sie keinen entsprechenden Aufwand" (103). Wenngleich der Beitrag von direkteren Bezügen zu den Magazinen zusätzlich hätte profitieren können, liefert er doch einen weiterführenden Ansatz, die Magazine und die für sie konstitutiven Prinzipien in den Blick zu nehmen. Ähnlich gewinnbringend erscheinen in dieser Hinsicht die Beiträge von Stephan Jaeger ("Populäre Geschichtsschreibung. Eine narratologische Perspektive") und Manuela Glaser ("Populäre Wissenskommunikation in Geschichtsmagazinen aus rezeptionspsychologischer Sicht"). Letztere nimmt dankenswerter Weise die gedachte Perspektive der Nutzerinnen und Nutzer ein. Die Frage, wie diese die Magazine tatsächlich lesen, zu welchen Erkenntnissen sie führen und welche Orientierungsbedürfnisse sie bedienen, bleibt jedoch weiterhin unbeantwortet und zeigt, dass gerade die Rezeption populärwissenschaftlicher Erzeugnisse nach wie vor ein Forschungsdesiderat darstellt.
Gemessen an der disziplinären Bandbreite des ersten Teils und den sich daraus potenziell abzuleitenden Forschungsansätzen wirken die Länderstudien der zweiten Hälfte des Bandes auf den ersten Blick geradezu farblos. Dieser Eindruck relativiert sich, wenn man sich die Leistung der Herausgeberinnen und Herausgeber, überhaupt zehn einzelne Studien anhand desselben Analyserasters auf die Beine zu stellen und zu koordinieren, vergegenwärtigt. Das gemeinsame Analyseraster, auf das sich alle Autorinnen und Autoren stützen - egal ob aus Brasilien oder Schweden - kategorisiert die Titelblätter der Magazine anhand geografischer, zeitlicher und thematischer Kategorien und nimmt darüber hinaus den Stil der Überschriften (entweder "sachlich-nüchtern", "sensationalistisch" oder "fragend") in den Blick. Dabei verbleiben die Autorinnen und Autoren mitunter auf einer stark deskriptiven Ebene, die über den Inhalt der Magazine relativ wenig preisgibt. So erfährt man zwar, dass in türkischen Geschichtsmagazinen Themen aus dem 19. und 20. Jahrhundert dominieren (381); welche Geschichtsbilder und Identitäten im Rückgriff auf die Zeit des Zusammenbruches des Osmanischen Reiches und der Entstehung der Republik Türkei dabei konstruiert werden, bleibt jedoch im Dunkeln. In dieser Hinsicht unterscheiden sich die Beiträge stark voneinander. So stellt Alexander Khodnev in seinem Beitrag zu den russischen Titelblättern beispielsweise einen Zusammenhang zwischen der privilegierten neureichen Leserschaft und den thematischen Angeboten der Magazine her (412-413).
Die Frage, ob eine weniger standardisierte Herangehensweise auf Kosten der Vergleichbarkeit interessantere Erkenntnisse gebracht hätte, lässt sich nicht beantworten. Als Grundlage für weitere Analysen eignet sie sich in jedem Fall. Abschließend scheint die eigentliche Stärke des Bandes insgesamt weniger in seiner internationalen Ausrichtung als vielmehr in seiner interdisziplinären Anlage zu liegen. Es bleibt insofern abzuwarten, inwiefern die zum Teil hochinteressanten Forschungsperspektiven, die im ersten Teil des Bandes entwickelt werden, die Grundlage für weitere Studien - international oder nicht - bilden können.
Christian Spieß