Mariano Delgado: Das Spanische Jahrhundert. 1492-1659 (= Geschichte kompakt), Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 2016, VII + 148 S., ISBN 978-3-534-23953-5, EUR 19,95
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Mariano Delgados "Das Spanische Jahrhundert (1492-1659)" ist keine Aneinanderreihung von spanischen Eroberungen und Feldzügen, sondern eine gut lesbare und übersichtliche Darstellung der wichtigsten, die frühneuzeitliche spanische Gesellschaft prägenden kulturhistorischen Etappen. Der Band, der in der Reihe "Geschichte kompakt" erschienen ist, schlägt zeitlich eine Brücke von der Entdeckung der "neuen Welt" durch Kolumbus bis hin zum Pyrenäenfrieden zwischen Spanien und Frankreich von 1659. In der für die Reihe charakteristischen Kürze gelingt es Delgado, die wichtigsten Aspekte der jeweiligen Kontroversen auf den Punkt zu bringen. Zur übersichtlichen Gliederung der Kapitel trägt bei, dass der Darstellungsteil durch im Layout abgesetzte Erläuterungen (E) ergänzt wird, die vertiefende Informationen auf knappem Raum bieten.
Nach einer Einführung in die Thematik mit der Erklärung seines Zugangs und der Begrenzung des Untersuchungszeitraumes lässt der Kirchenhistoriker Delgado 15 dichte Kapitel folgen, denen sich ein chronologischer Überblick anschließt. Zur Übersicht ist eine Karte der spanischen Besitzungen beigegeben, wie sie sich im Jahr 1598 darstellten.
Mariano Delgado legt eine Gesamtschau einer Zeitepoche vor, die für die spanischen Reiche innen- und außenpolitisch wie auch für Religion, Wirtschaft und Kultur von zentraler Bedeutung war. Dafür wählt er eine Herangehensweise, die insbesondere die wichtigsten zeitgenössischen Kontroversen beleuchtet - ein Vorgehen, das sich von anderen Darstellungen [1] zum Gegenstand unterscheidet und welches er überzeugend mit dem Umfang des untersuchten Themas begründet, der verschiedene Annäherungen nicht nur erlaube, sondern sie auch gebiete (2).
So findet man sich mit dem ersten Kapitel "Sendungsbewusstsein" gleich zu Beginn inmitten einer dieser Kontroversen. Hier wie in den folgenden Kapiteln zeigt Delgado die hinter den politischen Ereignissen stehenden Diskurse auf. Verhältnismäßig knappen Raum widmet der Autor dem Verhältnis von Staat und Kirche, bevor er auf das Ende der sogenannten Convivencia, also dem friedlichen Zusammenleben von Christen, Juden und Muslimen als spanischen Sonderfall zu sprechen kommt. Die Ideen Martin Luthers fanden auch in Spanien Widerhall, doch stießen sie hier auf eine breitere Front der Ablehnung als andernorts. Durch disziplinierende Maßnahmen wie Bücherzensur und dem Verbot des Studiums an nicht spanischen Universitäten wurde Spanien zur "belagerten Festung" (31) und war in den 1550er-Jahren durch eine geistige Wende (28-33) geprägt. In diesem Zusammenhang geht Delgado besonders auf die Rolle der Bibelübersetzungen ein und widmet ihnen später ein eigenes Kapitel. Übersetzungen der Bibel in die Volkssprache galten Mitte des 16. Jahrhunderts als Wegbereiter für Irrtümer in Glaubenssachen und als Einfallstor für den Protestantismus, der in Spanien vor allem am Ende der 1550er vehement verfolgt wurde. Vor diesem Hintergrund erklärt sich, weshalb sich die Bibelübersetzungen auf dem Index der verbotenen Bücher von 1559 wiederfanden. Mit der Vorstellung der berühmten "Schule von Salamanca", jener von der Universität Salamanca ausgehenden Geistesströmung, gelingt es Delgado, ein differenzierteres Bild der theologischen Diskurse zu zeichnen. Deren Vertreter, unter denen vor allem Francisco de Vitoria als Gründer sowie Domingo de Soto und Melchor Cano zu nennen sind, hatten sich die Erneuerung der theologischen Methode (73) zur Aufgabe gemacht, wobei sie der Lehre Thomas von Aquins und dem Naturrecht besonderen Stellenwert einräumten.
Im Kapitel "Spiritualität und Mystik" schildert Delgado drei Phasen der Spiritualität: von der Herausforderung der sogenannten Alumbrados über vielgelesene spirituelle Autoren wie Luis de Granada hin zum Quietismus Miguel de Molinos'. Dabei geht er selbstverständlich auf die wichtige Rolle Teresa von Avilas und Johannes' vom Kreuz ein. Es gelingt dem Autor, das Spannungsverhältnis im geistlichen Selbstverständnis der Spanier zwischen "Welteroberung der Konquistadoren im Zeichen des Plus Ultra" und Teresas bekanntem "Allein Gott genügt" (78, 85) zu skizzieren. Nachdem Delgado hier also ein Bild des innerspanischen religiösen Lebens gezeichnet hat, leitet er im nächsten Kapitel zur Kontroverse "De Indis" über, die er in ihren Eckpunkten wiedergibt. Diese "kolonialethische Debatte" (34) drehte sich um die Frage, inwiefern die Spanier das Recht hatten, die Indianer zu unterwerfen und sie zur Annahme ihrer Religion zu zwingen. Delgado lässt hier Befürworter und Gegner zu Worte kommen, etwa Bartolomé de Las Casas, der für seine apologetischen Schriften bekannt war, und Juan Ginés de Sepúlveda. Beide standen sich mit ihren jeweiligen Positionen in der Kontroverse von Valladolid gegenüber.
In den Kapiteln "Ein missionierendes Weltreich" und "Die Neue Welt - ethnographisch" richtet Delgado den Blick auf die von den Kolonien nach der Alten Welt ausgehenden kulturellen Transfers. So beschreibt er, wie Grammatiken, Wörterbücher und Katechismen in indigenen Sprachen, die aus der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit der vorgefundenen Bevölkerung entstanden waren, als wichtige Missionsinstrumente genutzt wurden. Hervorzuheben ist der Raum, den Delgado den Vertretern der indigenen und kreolischen Ethnografie wie Garcilaso de la Vega el Inca oder Felipe Guamán Poma de Ayala einräumt. Ein wenig überrascht der Übergang zum 13., mit "Ein Weltreich geht bankrott", überschriebenem Kapitel, scheint es doch nicht so recht in den zuvor eröffneten Kontext der Debatten auf ideengeschichtlicher Ebene zu passen. Doch auch die Finanzpolitik der spanischen Reiche war von vielschichtigen Diskursen geprägt, in denen es an konstruktiven Vorschlägen (Luis de Ortiz, Tomás de Mercado, Juan de Mariana) nicht mangelte. Ausführlich geht Delgado auf die Folgen der Einfuhr der Unmengen an Gold und Silber aus der Neuen Welt für die spanische Wirtschaft ein.
Delgado gelingt es, plausibel zu machen, dass die für Spanien typische "Fähigkeit zur kulturellen Synthese, zur kreativen Verschmelzung verschiedener Einflüsse" auch vorher bereits zu beobachten war, sich im untersuchten Zeitabschnitt jedoch noch deutlich verstärkte (117), weshalb man zu Recht von einem "spanischen Jahrhundert" sprechen könne. Seine Darstellung sei allen ans Herz gelegt, die sich überblicksartig und gleichzeitig umfassend über die wichtigsten zeitgenössischen Diskurse im frühneuzeitlichen Spanien bis 1659 informieren möchten.
Anmerkung:
[1] Ich nenne die Sammelbände von Heinz Duchhardt / Christoph Strosetzki (Hgg.): Siglo de Oro - Decadencia. Spaniens Kultur und Politik in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts. La cultura y la política de España en la prima mitad del siglo XVII (= Münstersche historische Forschungen; Bd. 10), Köln [u.a.] 1996 und von Jesús M. Usunáriz / Edwin Williamson (Hgg.): La autoridad política y el poder de las letras en el siglo de oro (= Biblioteca Áurea Hispánica; Bd. 93), Madrid / Frankfurt am Main 2013; ferner die Überblicksdarstellung von Thomas Weller: Das "spanische Jahrhundert", in: Europäische Geschichte Online (EGO), hg. vom Institut für Europäische Geschichte (IEG), Mainz 03.12.2010, URL: http://www.ieg-ego.eu/wellert-2010-de [13.12.2016].
Monika Frohnapfel-Leis