Sina Arnold / Olaf Kistenmacher: Der Fall Ethel und Julius Rosenberg. Antikommunismus, Antisemitismus und Sexismus in den USA zu Beginn des Kalten Krieges, Münster: Edition Assemblage 2016, 94 S., ISBN 978-3-96042-009-5, EUR 12,80
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Für FBI-Direktor J. Edgar Hoover war die angebliche Spionage des amerikanisch-jüdischen Ehepaars Rosenberg für die UdSSR "das Verbrechen des Jahrhunderts". Gut sechzig Jahre später ist aus dem Prozess und der Hinrichtung der Rosenbergs eine "Projektionsfläche" geworden, auf der linke, jüdische und amerikanische Erinnerungen verhandelt werden (11). So beschreiben die Historiker Sina Arnold und Olaf Kistenmacher die Bedeutung des "Falls Rosenberg", den sie auf rund 80 Seiten beleuchten. Der Band, erschienen im undogmatisch linken Verlag "edition assemblage", soll eine Lücke füllen, da zum Thema auf Deutsch bisher keine Überblicksdarstellung vorliegt (15).
Nach einem knappen Forschungsüberblick, sachlich und aktuell, skizzieren die Autoren zunächst die historischen Fakten; dabei legen sie die bis heute strittigen Fragen offen. Der Ingenieur Julius Rosenberg wurde 1950 unter dem Verdacht verhaftet, atomare Geheimnisse an die Sowjetunion weitergegeben zu haben. Er war zuvor wegen seiner Zugehörigkeit zur Kommunistischen Partei als Regierungsangestellter entlassen worden. Kurz danach wurden auch seine Frau Ethel und mehrere angebliche Mitverschwörer festgenommen. 1951, mitten in der McCarthy-Zeit, begann der Prozess in New York. Der Schuldspruch stützte sich auf belastende Aussagen von Ethel Rosenbergs Bruder, David Greenglass. Der Prozess endete mit Todesurteilen gegen die beiden Hauptangeklagten. Beide Rosenbergs wurden trotz internationaler Proteste gegen die Härte des Urteils 1953 auf dem elektrischen Stuhl hingerichtet.
Nachdem geheime Dokumente aus amerikanischen und sowjetischen Archiven bekannt geworden sind, besteht heute ein breiter Konsens, dass Julius Rosenberg für die UdSSR spionierte. Ob er dabei für die Sicherheit der USA den Schaden anrichtete, mit dem das Todesurteil begründet wurde, wird dagegen in Frage gestellt. Die Rolle von Ethel Rosenberg, die ebenfalls in kommunistischen Organisationen aktiv war, wird heute als geringer eingeschätzt, so dass ihre Verurteilung als Folge eines hysterischen Anti-Kommunismus und als ungerechtfertigt betrachtet wird. [1]
Die zeitgenössische Bedeutung des Prozesses im gesellschaftlichen Kontext der USA und für die politische Linke macht das Thema bis heute relevant für die wissenschaftliche und politische Auseinandersetzung. Dabei verschränken sich die im Untertitel des Buches genannten Themen: "Antikommunismus, Antisemitismus und Sexismus". Der zweite, längere Teil des Bandes widmet sich diesen Fragen. Sie werden einzeln und unter der Perspektive der "Intersektionalität", also ihrer Verknüpfung, analysiert (41).
Die auf gesellschaftliche und politische Akzeptanz bedachten führenden jüdischen Organisationen und prominente Intellektuelle hegten die Sorge, der Fall werde den seit den 40er Jahren abklingenden Antisemitismus wieder befeuern. Sie fürchteten, dass damit die fortschreitende Integration von Juden in die von einem liberalen, anti-kommunistischen Konsens geprägte US-Gesellschaft erschwert würde. Wie die breite Öffentlichkeit stellten sie das Urteil gegen die Rosenbergs daher nicht in Frage. Vertreter vor allem der jüdischen Linken dagegen protestierten lautstark gegen den Prozess, hinter dem sie nicht nur eine Hexenjagd gegen Kommunisten sahen, sondern auch ein antisemitisches Ressentiment. Dieser Vorwurf wurde jedoch durch die Tatsache verkompliziert, dass die Hauptakteure des Prozesses - Angeklagte, Verteidiger, Staatsanwälte und Richter - allesamt Juden waren.
Arnold und Kistenmacher weisen auf das Fortbestehen eines staatlich geächteten Antisemitismus im Alltag hin. Dieser führte umgekehrt zu einer anhaltenden Sensibilität vieler amerikanischer Juden gegen eine Ausgrenzung mit Mitteln der Justiz (49ff.). Eine linke Zeitschrift fragte schon 1951, "Is this the Dreyfus Case of Cold War America?" Anekdotische Hinweise deuten darauf hin, dass trotz der De-facto-Unterstützung der jüdischen Organisationen für den Prozess tatsächlich eine ausgeprägte Unsicherheit vorherrschte, ob dadurch nicht die Zugehörigkeit von Juden zu Amerika in Frage gestellt werde. [2] Zur Hinrichtung der Rosenbergs, an einem Sommerabend kurz vor Beginn des Sabbat, versammelten sich in New York City viele Menschen zu einer Mahnwache; Protestkundgebungen fanden auch in anderen Städten statt.
Die Autoren gehen den angeblichen und realen Wechselbeziehungen von (Anti-) Kommunismus und Antisemitismus nicht nur in den USA der 50er Jahre nach, sondern ziehen darüber hinaus Parallelen zu öffentlichkeitswirksamen Prozessen gegen Juden in der Sowjetunion, der DDR und der CSSR (63-69). Sie rühren damit an Kernfragen linker Identität, insbesondere die Haltung zum Antisemitismus. Damit knüpfen sie an ihre Forschungen zur KPD in der Weimarer Republik und zur US-amerikanischen Linken Anfang dieses Jahrhunderts an. [3]
Bei der Analyse der Gender-Aspekte des Falls steht dagegen das Spannungsverhältnis zwischen linken Idealen und der Realität der Geschlechterbeziehungen nicht im Vordergrund (73). Diese behandelt vor allem die mediale Repräsentation von Ethel Rosenberg, die in Umkehrung traditioneller Rollenzuschreibungen (aber anknüpfend an Zerrbilder jüdischer Frauen) als dominant gegenüber dem schwachen Ehemann gezeichnet wurde sowie als schlechte Mutter.
Die beiden Söhne der Rosenbergs, die bei kommunistischen Adoptiveltern aufwuchsen, kommen im Buch mit ihren manchmal nonkonformen, aber die Sache ihrer Eltern letztlich verteidigenden Stimmen zu Wort. Sie stellen eine Verbindung dar zwischen dem angeblichen "Verbrechen des Jahrhunderts" und den Fragen, die der Fall der Rosenbergs vor allem für linke Anschauungen und Politiken bis heute aufwirft. [4]
Arnold und Kistenmacher lösen ihren Anspruch ein, diese Fragen nicht in Vergessenheit geraten zu lassen (84). Ihr Band vollbringt das Kunststück, in seiner Kürze einen Einblick über viele wichtige Aspekte des Falles zu geben, zu dem ein Index einen noch leichteren Zugang schaffen würde. Der Resonanzraum des Themas wird nicht zuletzt durch die immer wieder als Illustration zitierten künstlerischen, vor allem literarischen Bearbeitungen deutlich, die von Arthur Miller, über Sylvia Plath, zu E. L. Doctorow, Woody Allen und Tony Kushner reichen. Das Literaturverzeichnis ermöglicht eine tiefergehende Auseinandersetzung, die die Autoren anregen wollen.
Anmerkungen:
[1] Siehe etwa Ronald Radosh / Joyce Milton: The Rosenberg File. Second edition, with a new introduction containing revelations from National Security Agency and Soviet Sources, New Haven 1997; Walter Schneir / Miriam Schneir: Rosenberg Case, in: Encyclopedia of the American Left, hg. von Mari Jo Buhle / Paul Buhle / Dan Georgakas, second edition, New York 2007, 703-706; Elmer Gertz / Michael Berenbaum: Rosenberg Case, in: Encyclopaedia Judaica, hg. von Michael Berenbaum / Fred Skolnik, second edition, Detroit 2007, vol. 17, 440.
[2] Deborah Dash Moore: Reconsidering the Rosenbergs: Symbol and Substance in Second Generation American Jewish Consciousness, in: Journal of American Ethnic History 8, no. 1 (fall 1988), 21-37; vgl. auch Hasia Diner: The Jews of the United States, 1654 to 2000, Berkeley / Los Angeles / London 2004, 277f.; Edward S. Shapiro: A Time for Healing. American Jewry since World War II, Baltimore, 1992, 35ff.
[3] Sina Arnold: Das unsichtbare Vorurteil. Antisemitismusdiskurse in der US-amerikanischen Linken nach 9/11, Hamburg 2016; Olaf Kistenmacher: Arbeit und "jüdisches Kapital". Antisemitische Aussagen in der KPD-Tageszeitung "Die Rote Fahne" während der Weimarer Republik, Bremen 2016.
[4] Hoover zitiert in Moore: "Reconsidering the Rosenbergs", 21.
Markus Krah