Takuma Melber: Pearl Harbor. Japans Angriff und der Kriegseintritt der USA, München: C.H.Beck 2016, 222 S., 2 Kt., 10 s/w-Abb., ISBN 978-3-406-69818-7, EUR 16,95
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Pünktlich zum 75. Jahrestag des japanischen Überfalls auf Pearl Harbor legt der deutsch-japanische Autor ein handliches Buch zum Thema vor, gut geschrieben, von der Mehrsprachigkeit des Verfassers profitierend und bereits mit breiter medialer Reaktion bedacht. Wissenschaftlich gesehen kann man kaum wirklich Neues erwarten. Aber das Buch zerfällt bei näherem Hinsehen doch in recht unterschiedliche Teile, die manches vermissen lassen. Ein langer erster Teil (11-89) ist der diplomatischen Vorgeschichte gewidmet, macht auch Motive für japanische Expansion, US-amerikanische Gegenpolitik etwa seit dem Washingtoner Flottenabkommen von 1921/22 klar. Während es Roosevelt und Hull vor allem um Prinzipien einer neuen Ordnung gegangen sei, hätten die unterschiedlichen japanischen Fraktionen in Heer, Marine, Außenministerium etc. pragmatischen Aufschub zu finden versucht, um Lösungen für eigene Expansion zu finden. Das ist klassische Diplomatiegeschichte, bindet differenziert auch andere Staaten ein, entfaltet den chinesischen Kriegsschauplatz jedoch wenig. Viele Entscheidungsprozesse, schnell wechselnde Perzeptionen und Aktionen werden ausführlich vorgeführt. Dieser Eingang stellt eine quellennahe und kompetente Orientierung dar.
Das zweite Kapitel (90-127) fokussiert enger auf die Entwicklung des japanischen militärischen Kriegsplans bis zum Aufmarsch und zum Angriff am 7. Dezember 1941. Das ist bei uns wenig bekannt und liefert eine konventionelle, aber lesenswerte Militärgeschichte. Kapitel 3 (128-165), "Der Angriff" in zwei Wellen, berichtet von den einzelnen Kampfeinsätzen der japanischen Flugzeuge und US-Verteidigung, schildert nacheinander das gleichzeitig ablaufende Kriegsgeschehen. Melber bleibt anschaulich, aber reiht quellennah Tod, Versenkung von Schiffen, unverhoffte Probleme und praktische taktische Lösungen auf dem dreidimensionalen Schlachtfeld. Diese drei Kapitel sind kenntnisreich, für manchen Leser vielleicht quellennah ermüdend geschrieben. Sie zeichnen sich aber immer wieder durch treffende Beispiele, Schilderung persönlicher Schicksale, Karrieren etc. aus. Roosevelt etwa und Admiral Yamamoto kannten sich gut, korrespondierten zuvor miteinander - ob sie "Freunde" waren, steht dahin. Doch dann entwarf Yamamoto den Plan des Überfalls auf Pearl Harbor, war aber keinesfalls der hinterlistige Aggressor, der er nun in den USA war. Weitere Beispiele von einfachen Soldaten und deren Schicksalen sind gut, aber ein wenig beliebig eingestreut.
Doch dann bricht die Arbeit gleichsam ab. Kapitel 4, "Die Folgen" von Seite 166-195, berichtet zunächst militärtechnisch von den Versenkungen und Wiederherstellungen der US-Schiffe, auch von den neuen japanischen Plänen für einen späteren zweiten Angriff, versagt sich jedoch jede politische Einordnung. Die zeitnahen japanischen Angriffe auf Südasien fehlen, der Fall Singapurs, die Kriegswende bei Midway auch - und damit die politisch-militärische Einordnung von Pearl Harbor. Stattdessen gibt es Anekdotisches um den ersten japanischen Kriegsgefangenen sowie die japanisch stämmigen Amerikaner und Pearl Harbor. In einem weiteren Abschnitt stellt Melber die Frage, ob Pearl Harbor hätte vermieden werden können.
Erst hier berichtet er, dass die Amerikaner die japanische diplomatische Kommunikation (nicht den Militärverkehr) zuvor abgehört hatten, was beträchtliche Auswirkungen schon auf die Vorgeschichte hatte. Melber interessiert sich für die daran seit Tansill 1952 ("Backdoor to war") anschließenden Verschwörungstheorien, nach denen Roosevelt (oder Churchill) unbedingt einen Vorwand für den US-Kriegseintritt, letztlich in Europa gegen Deutschland, suchten. Das ist ein bis in die Gegenwart reichender Geschichtsmythos, der sich bis zum neuen Museum beim Tokyoter Yasukuni-Schrein findet. In der Tat gab es hier geschichtspolitisch bemerkenswerte Folgen. Woher Melber die Gewissheit nimmt, dass Hitler meinte, die Japaner würden die Amerikaner im Pazifik schon schlagen (177) ist unklar und angesichts einer intensiven, jahrzehntelangen Debatte über die Motive für die deutsche Kriegserklärung an die USA, die mit keiner Silbe rezipiert wird, auch nicht so recht plausibel. Die Kritik an diesem Patchwork-Kapitel richtet sich vor allem darauf, dass eine Antwort über die allgemeine historische Bedeutung und Nachwirkung von Pearl Harbor vermieden wird - nur die personelle Kontinuität bei der Unterzeichnung der japanischen Kapitulation interessiert. Im Epilog heißt es schließlich, im Grunde hätte Japan trotz des offenkundigen militärischen Sieges bei Pearl Harbor den Krieg eigentlich schon verloren gehabt (200). Das lässt sich wissenschaftlich sehr gut vertreten - nur hätte man sich dazu ein paar mehr analytische, meinetwegen auch diplomatisch-militärische Erörterungen darüber im Sinne einer grand strategy gewünscht.
Sehr wünschenswert wäre auch eine Vertiefung nicht nur über sich wandelnde japanische Politikprozesse gewesen, sondern auch über die diesen zugrundeliegenden sozialen Konflikte und manchmal auch kulturellen Orientierungen. Es liegt ein gut bis salopp geschriebenes Sachbuch vor, das in vielen Ansätzen ebenso angemessen wie auch konventionell Diplomatie- und Militärgeschichte in den ersten Kapiteln verbindet. Das Werk gibt diesen Ansatz im Ausblick auf. Vielleicht musste der Verfasser ja gerade dringend seine - ein wenig anders gelagerte - Dissertation verteidigen [1], auf deren Publikation man gespannt sein darf?
Anmerkung:
[1] Zwischen Kollaboration und Widerstand: Die japanische Besatzungspolitik in Malaya und Singapur, 1942-1945, angekündigt bei Campus für 2017: http://www.asia-europe.uni-heidelberg.de/de/personen/academic-staff/wissenschaftler-personendetails/persdetail/melber.html.
Jost Dülffer