Guy G. Stroumsa: The Making of Abrahamic Religions in Late Antiquity, Oxford: Oxford University Press 2015, XI + 225 S., ISBN 978-0-19-873886-2, GBP 65,00
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Die Perspektive, aus der heraus die Christentumsgeschichte so konstruiert wurde, dass sie ihren Schwerpunkt vom östlichen Reichsteil [1] schnell und auf Dauer in den Westen verlegte und als lateinisches Christentum dann im Mittelalter fortgesetzt wurde, war schon immer verkürzt; aber wie kann man die Perspektive auffüllen und korrigieren? Von Jerusalem als 'Mitte' aus gesehen, erweitert sich der Raum nach Süden und nach Osten, mit den Kompetenzen der jüdischen Tradition und der Vielfalt der Christentümer hat Guy Stroumsa schon lange wertvolle Untersuchungen beigetragen. Nach seiner Emeritierung vom religionsgeschichtlichen Lehrstuhl an der Hebrew University zum ersten Professor eines Stiftungslehrstuhls für Abrahamische Religionen an der Universität Oxford berufen, hat er das vorliegende Buch geschrieben. [2] Zum größeren Teil sind Versionen der Kapitel schon einmal in den letzten acht Jahren veröffentlicht, ein Aufsatz ist älter (Siegel der Propheten, 1986); mehr oder (meist) weniger überarbeitet. Einleitung und c. 2 sind neu. Jetzt erweitert sich die Perspektive "von Qumran bis zum Qoran" im Entstehungsprozess der noch nicht abgeschlossenen Religionen, die vielmehr miteinander im Gespräch, Teilnahme an Gottesdiensten, Konkurrenz und Streit sich entwickeln. Anders als in Rom und Konstantinopel, wo Vielfalt beschnitten, Religion zur Macht hin Loyalität erweisen soll, sind in Syrien, Palästina, Arabien, Ägypten Überlieferungen noch offener, nicht im Besitz einer Religion. Die Ausweitung auf den Islam (im Wortspiel: zum Koran) soll keinen Endpunkt bezeichnen, sondern eine gewisse Bündelung und Verfestigung zu einer neuen Heiligen Schrift, die dann wieder andere Prozesse auslöst, dessen sich der Autor bewusst ist, sich aber beschränkt. Die jetzt diskutierte Konzeption eines "Ersten Jahrtausends" [3] ist bei Stroumsa nicht im Blick. In souveräner Kenntnis älterer und aktueller Debatten erweitert er die Diskussion je um Mesopotamien, Arabien, Ägypten, um die vielen Sonderformen der Religionen, die sich nicht in der später kanonisierten Form wieder finden. In der Mitte, aber nur gedachtes Zentrum, ist Jerusalem und darin der Tempelberg. Besonders das 9. Kapitel 'Christian Memories and the Dream of Jerusalem' (159-176) beschreibt das. Auch im Islam ist Jerusalem zunächst die Gebetsrichtung, bevor die Muslime sich beim Gebet Richtung Mekka wenden (Sure 2, 142-145).
Stroumsas Perspektive bezieht also jetzt den Entstehungsort und -zeit des Islam ein. Nicht mehr in der leeren Wüste [4], sondern in der religiösen Vielfalt und inmitten anderer monotheistischer Trademe, also Überlieferungen, die noch nicht nur einer Tradition zuzurechnen sind, entsteht eine neue Religion. Verwendung der Erzählungen, Figuren, Hymnen, eschatologischen Zukunftserzählungen, der Figur des Propheten, Mystik sind in unterschiedlichen Konzeptionen und Interpretationen verfügbar, oft gerade nicht in der später kanonischen Form. Der erste Teil der Studien ist die Frage: Wie ändert sich Religion, wenn nicht mehr das Opfer das grundlegende Ritual und der Altar das Zentrum darstellt? Das Ende des Opfers hat enorme Folgen. [5] - Der zweite Teil beschäftigt sich mit der Frage nach der Identifizierung von dem wahren und den falschen Propheten oder als Messias-Figur oder seine Gegenfigur Antichrist / Dajjal. Stroumsa fokussiert die Orte und Situationen, an denen das aufeinanderprallt, was er mit dem Schlagwort Clash of civilizations anspricht (bes. eindrücklich 82: Jerusalem nach der Eroberung durch die Muslime). Ein solcher Streitpunkt ist: Wann endet die Prophetie und wird 'versiegelt' durch das verschriftete Buch? Mit dem "Siegel der Propheten" (Christus, Mani, Muhammed) wird ein Machtwort reklamiert. - Der dritte Teil handelt von den religiösen Gemeinden und dem göttlichen Gesetz anstelle von Religionen und der Kanonbildung. Stroumsa nennt das das "sectarian milieu". Während jüdische und christliche Gemeinden zunächst in einer geduldeten, manchmal verfolgten Situation sich organisieren, versteigt sich das Christentum (erst ab dem vierten Jahrhundert kann man von einer gesonderten Tradition des Judentums und des Christentums sprechen) zum Bündnis mit der Herrschaft, verliert sie aber im Osten und Süden des Mittelmeers wieder und beide Gemeinden werden geduldete Religionen im Dhimmi-Status. Die Konstantinische Wende relativiert sich unter dieser Perspektive. - Teil 4 'The Way to Mecca' umfasst drei Studien: die Bedeutung der Judenchristen für das Milieu, in dem der Islam entstand. Jerusalem und der Tempelberg zur Zeit der Eroberung durch die Muslime und die Kategorie Barbaren oder Häretiker.
In der Einleitung vermag Stroumsa souverän, klassische Narrative der Religionsgeschichte zu dekonstruieren, wenn nicht mehr Rom oder Konstantinopel die Mitte ist, sondern Jerusalem. Das Buch ist keine Gesamtdarstellung und kein Buch für Anfänger. Aber etwas Fortgeschrittene können hier die Spitze der augenblicklichen Diskussionen mit sehr gut gewählten Beispielen erlesen: unbedingt wert, es durchzuarbeiten. Es untersucht an wichtigen Knotenpunkten die fluide Interaktion der Ideen und Sekten, bevor sie kristallisieren und erstarren.
Anmerkungen:
[1] Die viele Male gedruckte und in hohen Auflagen verbreitete Geschichte von Rudolf Bultmann, Das Christentum im Rahmen der antiken Religionsgeschichte verlängerte 1949 das antijudaistische Geschichtsbild des in Rituale und Gesetzesfrömmigkeit verkalkten Judentums über die Shoah hinaus. Danach ist das Christentum nicht aus dem Judentum in Palästina, sondern im völlig hellenisierten Judentum weit westlicher in der Diaspora aus dem griechischen Konzept des 'Kultheros' Christus entstanden.
[2] Den Lehrstuhl an der Universität Oxford hat ein Saudi gestiftet, der seinen Namen nicht in der Öffentlichkeit genannt wissen will. Die Befürchtung, dass Stifter auch ein bestimmtes Ergebnis erwarten, ist hier nicht zu erkennen. - In der deutschen Sprache hat sich 'abrahamitisch' eingebürgert.
[3] Mischa Meier: Die Spätantike, zeitlich und räumlich neu gefasst. Eine Zwischenbilanz aktueller Suchbewegungen, in: Historische Zeitschrift 304 (2017), 686-706. Die Monografienreihe "Millennium Studien: Zu Kultur und Geschichte des ersten Jahrtausends n.Chr." bei de Gruyter, zuletzt Band 65: Proclus and his legacy, edited by David D. Butorac / Danielle A. Layne, Berlin 2017. Die Zeitschrift Frühmittelalterliche Studien hat ein ähnliches Konzept.
[4] Die berühmte Behauptung von Ernest Renan 1862, nur in der Wüste habe man den Monotheismus ausdenken können, wird man nicht mehr herbeiziehen. Anders als die Untersuchung von Patricia Crone / Michael Cook: Hagarism. The making of the Islamic world, Cambridge 1977 sieht nicht nur Stroumsa Arabien schon voller monotheistischer Vorläufer.
[5] Stroumsa hat dazu eine Vorlesungsreihe veröffentlicht La fin du sacrifice, Paris 2005; dt.Ü. Das Ende des antiken Opferkults. Die religiösen Mutationen der Spätantike, Berlin 2011. Rezension Christoph Auffarth: Das Ende des Opfers - eine jüdische Perspektive, http://buchempfehlungen.blogs.rpi-virtuell.net/2011/12/30/das-ende-des-opferkults-die-religiosen-mutationen-der-spatantike-von-guy-g-stroumsa/ (30.12.2011). Andere Perspektive Christoph Auffarth: Gift and Sacrifice, in: Steven Engler / Michael Stausberg (eds.): The Oxford Handbook of the Study of Religion, Oxford 2016, 541-552.
Christoph Auffarth