Jörg Sonntag / Coralie Zermatten (Hgg.): Loyalty in the Middle Ages. Ideal and Practice of a Cross-Social Value (= Brepols Collected Essays in European Culture; Vol. 5), Turnhout: Brepols 2015, XXI + 467 S., 5 s/w-Abb., ISBN 978-2-503-55103-6, EUR 110,00
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Jörg Sonntag: Klosterleben im Spiegel des Zeichenhaften. Symbolisches Denken und Handeln hochmittelalterlicher Mönche zwischen Dauer und Wandel, Regel und Gewohnheit, Münster / Hamburg / Berlin / London: LIT 2008
Jörg Sonntag (Hg.): Die Gesetzgebung der Cauliten im 13. Jahrhundert. Ausgewählte Zeugnisse ihrer Verfassung. Edition und Übersetzung, Regensburg: Schnell & Steiner 2022
Sylvain Excoffon / Coralie Zermatten (Hgg.): Sammeln, kopieren, verbreiten. Zur Buchkultur der Kartäuser gestern und heute, Saint-Etienne: CERCOR 2018
Loyalität gehört zu allen sozialen Beziehungen, gerade auch im akademischen Bereich. Als Zeichen ihrer Loyalität haben die Herausgeber diesen Band anlässlich des 70. Geburtstages ihres Mentors Gert Melville auf den Weg gebracht und dafür 19 Autoren gewonnen, um Loyalität gemäß den weitgespannten Interessen des Jubilars in den verschiedensten Bereichen des mittelalterlichen Zusammenlebens zu untersuchen. Der Band ist entsprechend in drei Teile gegliedert, die persönlichen Beziehungen, politischen Ordnungen und kirchlichen Gemeinschaften gewidmet sind. Die Wissenschaft nutzt das Wort "Loyalität" oft, um Phänomene wie Freundschaft, Gehorsam oder auch Treue zu beschreiben, aber ein theoriegeleitetes Konzept von Loyalität fehlt bislang. Ebenfalls ein Desiderat der Forschung sind systematische Untersuchungen zur Semantik dieses Begriffs, der von lateinisch "legalis" abstammt. Der vorliegende Band macht einen gelungenen Anfang bei der Behebung dieser Defizite. Klaus Oschema vermutet mit guten Gründen eine Aufladung des Rechtsbegriffs "legalis" mit ritterlich-ethischen Idealen während des 12. Jahrhunderts. Bis ins 18. Jahrhundert blieb laut Jean-Claude Schmitt die enge Verbindung von legalis und loyal im Bewusstsein.
Wichtiger war den Herausgebern die theoretische Dimension ihres Leitbegriffs, zumal in vielen Quellen von Loyalität gar nicht ausdrücklich die Rede ist. Daher haben sie ihren Autoren ein vom modernen Verständnis abgeleitetes Loyalitätsmodell an die Hand gegeben, mit dessen Hilfe diese untersuchen sollten, ob sich in den Quellen Ideen oder Praktiken nachweisen lassen, die auf Gegenseitigkeitsverpflichtungen gegenüber Personen, Gruppen oder gar Institutionen beruhen. Selbstverständlich können die Beiträge hier nicht umfassend besprochen werden, aber die theoretische Dimension und die Bandbreite des Konzepts "Loyalität" erschließt sich am ehesten durch eine Würdigung der wichtigsten Thesen und Themenfelder, die in diesem Band in den Blick genommen wurden.
Rudolf Weigand hebt auf die konkurrierenden Loyalitätsverpflichtungen im Nibelungenlied zwischen Gunther und Siegfried einerseits und ihren jeweiligen Familien andererseits ab. Letztere hätten Hagen dazu veranlasst, gegen Siegfried vorzugehen, um die von diesem verletzte Ehre Brünhilds wiederherzustellen, die durch ihre Heirat mit Gunther zum Mitglied der burgundischen Königsfamilie geworden war. Klaus Oschema thematisiert in seinen Betrachtungen über Loyalität in spätmittelalterlichen Freundschaften einen zentralen Aspekt zwischenmenschlicher Beziehungen (25-48). In seinem anregenden Beitrag beschreibt er die semantischen Dimensionen von Loyalität anhand spätmittelalterlicher französischer Quellen und verweist zugleich auf die Notwendigkeit einer tiefergehenden Auseinandersetzung mit diesem Begriff. In diese Richtung weist auch Jean-Claude Schmitt (49-64), der die Anfänge des Begriffs anhand von Beispielen aus dem Chanson de Roland untersucht, um dann auf breiter Quellenbasis vor allem das Gedenken an die Verstorbenen zu analysieren. Die Gefährten und Mitstreiter des franziskanischen Reformers Johannes Kapistran stehen bei Ludovic Viallet im Mittelpunkt (97-108). Dem Zusammenhang von "terror" und Herrschaft geht Hans Joachim Schmidt in einem aus den Quellen erarbeiteten Überblick der Zeit zwischen Spätantike und Hochmittelalter nach (111-139). Rosamond McKitterick blickt in ihrem Beitrag über die Straßburger Eide vor allem auf die Erzählstrategie des Zeitgenossen Nithard (141-159), der diese bemerkenswerten Zeugnisse des Altfranzösischen und Althochdeutschen überliefert hat. Anscheinend ging es dem Chronisten vor allem darum, nicht nur die sprachlichen Unterschiede unter den Franken zu schildern, sondern gerade auf diese Weise auch die Größe des Karolingerreiches zu unterstreichen.
Karl-Heinz Spieß problematisiert in seinem gedankenreichen Beitrag über spätmittelalterliche Fürstenhöfe zunächst das Verhältnis von Loyalität und Treue, die besonders im Rahmen von Lehensverhältnissen gefordert wurde, was angesichts der weit verbreiteten Mehrfachvasallität zu Loyalitätskonflikten führen konnte. Gerade beim Abschluss von Dienstverträgen zwischen Fürsten einerseits und anderen Adligen andererseits suchten jene, sich die alleinige Loyalität ihrer Vertragspartner zu sichern, während diese ihren Loyalitätskonflikt in Form eines Treuevorbehalts berücksichtigt sehen wollten. Maria Pia Alberzoni untersucht die Verwendung der Worte "fides", "fiducia" und "fedus" im politischen Sprachgebrauch lombardischer Kommunen während ihrer Auseinandersetzungen mit dem Staufer Friedrich II. (161-182). David L. d'Avrey zeigt, dass in den Arengen, die sich auf das Verhältnis Papst Bonifaz' VIII. und König Philipps IV. von Frankreich beziehen, eine ausgesprochen persönlich gehaltene Begrifflichkeit verwendet wurde (205-212). Nikolas Jaspert untersucht die Loyalitätsbindungen christlicher Söldnerführer vor allem von der Iberischen Halbinsel, die sich in den Dienst muslimischer Sultane begeben hatten, zugleich aber auch an der Treue zu ihrem jeweiligen König festhielten (235-275). In vielen Fällen hatten die christlichen Herrscher sogar ihren muslimischen Kollegen eine Söldnertruppe zur Verfügung gestellt und deren Anführer bestellt, sodass diese als offiziöse Vertreter ihre Könige gelten konnten. Gerade diese Doppelrolle rechtfertigt es, sie mit dem Autor als "interkulturelle Makler" anzusprechen.
Steven Vanderputten verweist auf die Lehre des Soziologen James Connor über die unterschiedlichen Loyalitäten, die eine Person aufgrund ihrer verschiedenen Rollen im Leben entwickelt, und wendet dieses Modell auf Äbte des 10. und 11. Jahrhunderts an (279-303). Diese waren einerseits ihren Kommunitäten verpflichtet, andererseits repräsentierten sie diese nach außen und mussten daher auch Erwartungen der "Welt" entsprechen, wofür ihre Viten eindrücklich Zeugnis ablegen. Brian Patrick McGuire nimmt Loyalität und Verrat in den Schriften Bernhards von Clairvaux in den Blick (305-326) - Motive, die sich durchgängig in dessen Briefen finden. Weiterführend sind seine Beobachtungen über Bernhards Ausführungen über die Bedeutung von Freundschaftsbeziehungen innerhalb einer monastischen Gemeinschaft. Bernard Ardura thematisiert den Stellenwert der Loyalität bei den Prämonstratensern (327-344), während Anne Müller die Zisterzienser in Wales und Irland zwischen regionaler Identität und gesamtkirchlicher Ausrichtung beschreibt (345-360). Michel F. Cusato betrachtet den Streit über den Habit der Franziskaner im frühen 14. Jahrhundert (361-404).
In den zusammenfassenden Betrachtungen beschäftigt sich Patrick Geary zunächst mit dem 1875 publizierten Drama "Deutsche Treue", in dem Felix Dahn den Thronwechsel von 918/19 als Lehrstück über die den Deutschen angeblich eigene spezifische Loyalität behandelte - eine Annahme, die rund 100 Jahre später von František Graus in seiner Debatte mit Walter Schlesinger endgültig in den Bereich der Mythenbildung verwiesen wurde (407-421). Karl-Siegbert Rehberg stellt schließlich die Aspekte der Gegenseitigkeit und der institutionellen Risikoverminderung in den Mittelpunkt seiner soziologischen Anmerkungen zur Loyalität, die zugleich eine souveräne Zusammenfassung dieses vielschichtigen Bandes und ein gelungener Ausblick auf eine weitere Auseinandersetzung mit dessen Thematik sind (423-452).
Matthias Becher