Pierre Delsaerdt / Yann Sordet : Lectures princières & commerce du livre. La bibliothèque de Charles III de Croÿ et sa mise en vente (1614), Enghien / Paris: Fondation d'Arenberg / Société des Bibliophiles françois / Éditions des Cendres 2017, 2 vol., 264 S., ISBN 978-2-86742-267-6, EUR 120,00
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Es beginnt wie eine Detektivgeschichte. Um 1600 hieß es, der Herzog von Aarschot, Charles III. de Croÿ, wolle demnächst der katholischen Universität Löwen seine private Büchersammlung - mit 6000 gedruckten und handschriftlichen Bänden eine der wertvollsten Adelsbibliotheken ihrer Zeit (45) - schenken. Die Spanischen Niederlande hatten damals noch keine öffentliche Bibliothek. Um den Herzog endgültig zur Schenkung zu bewegen, widmete ihm Justus Lipsius sogar sein Werk "De bibliothecis syntagma" (1602), in dem er ihn mit dem römischen Feldherrn und Senator Lucius Licinius Lucullus verglich, der am Ende seines Lebens den Gelehrten den Zugang zu seiner reichhaltigen Büchersammlung öffnete. Wie Lucullus war Charles III. de Croÿ (1560-1612) Befehlshaber und Statthalter, nun in den Spanischen Niederlanden, wo er seit mehreren Generationen dem regierungsnahen Hochadel angehörte. Nach einer ersten anscheinend unglücklichen Ehe mit der reichen Calvinistin Marie de Brimeu (1550-1605) im Jahre 1580 war er zum Calvinismus konvertiert und hatte die königliche Partei verlassen, bevor er sich 1583 dem König von Spanien und 1584 dem Katholizismus wieder anschloss. Von nun an häufte er Adelstitel, öffentliche Ämter und Reichtümer an. Er war unter anderem Herzog von Aarschot, Fürst von Chimay, Fürst von Porcéan, Marquis de Montcornet, Graf von Beaumont und Ritter des Ordens vom Goldenen Vlies. Die Verzeichnisse seiner Grundstücke und Schlösser, die er als bürokratisch-verständiger Verwalter erstellen ließ, legen Zeugnis von einem verblüffenden Vermögen ab. Als Charles III. de Croÿ in zweiter Ehe seine Base Dorothée de Croÿ heiratete, widmete er sich seiner Leidenschaft: dem Bau und der Verschönerung seiner Schlösser sowie dem Sammeln von Gemälden, Münzen, Medaillen, Gemmen, Statuen und Büchern. Lipsius' Vergleich mit dem reichen römischen Senator und Feldherren war also nicht unpassend. Eine öffentliche Schenkung hätte dem kinderlosen Herzog den posthumen Ruhm zugesichert, den er sehnlichst anstrebte. Sie hätte ihm auch einen deutlich prächtigeren Bücherkatalog eingebracht, als derjenige, der 1614 gedruckt wurde und Gegenstand der Publikation von Pierre Delsaerdt und Yann Sordet ist.
Doch Charles III. de Croÿ besann sich kurzerhand anders. Der Herzog nahm von der geplanten Stiftung Abstand und die Universitätsbibliothek Löwen konnte erst 1636 mittels Schenkungen ehemaliger Studenten und Professoren gegründet werden. Die plötzliche Meinungsänderung des Herzogs könnte auf einen Prozess zurückzuführen sein. 1519 hatte Germaine de Foix, die zweite Ehefrau König Ferdinands II. von Aragón, einen Prozess um Besitztümer in Frankreich gegen seine Vorfahren eingeleitet. Dieser zog sich mehrere Generationen lang hin, bevor das Pariser Parlament die Familie de Croÿ endgültig verurteilte. Die Geldstrafe belief sich auf den beachtlichen Betrag von 1.408.831 livres (35), so dass sich der Herzog eine fiktive Auktion seiner Mobilien und Bücher ausdachte, um einer Konfiskation zu entgehen. Er hoffte, dass seine Erben (seine Ehefrau Dorothée und sein Neffe Alexandre d'Arenberg) einige herrschaftliche Gebiete verkaufen und die Einkünfte aus den ersten Veräußerungen für den Herauskauf seiner Güter verwenden würden. Aufgrund von Erbstreitigkeiten mit der Schwester Anne de Croÿ-Aarschot (1564-1635) konnten Dorothée und Alexandre seinen Erwartungen allerdings nur bedingt entsprechen.
Als sachverständiger Verwalter ließ Charles III. de Croÿ bereits zu seinen Lebzeiten ein Verzeichnis seiner Büchersammlung erstellen. Ob dieses repräsentativen Zwecken oder der Pflege der Memoria diente, ist unklar. Zwei Jahre nach seinem Tod wurde ein Katalog der zur Versteigerung angebotenen Bücher vom Brüsseler Hofdrucker Rutger Velpius gedruckt. Er druckte dieses Werk, den allerersten Verkaufskatalog von Büchern außerhalb der Vereinigten Provinzen, in nur zwei Exemplaren. Das Exemplar der katholischen Universität Löwen wurde am Anfang des Ersten Weltkrieges 1914 ein Opfer der Flammen. Die von Pierre Delsaerdt und Yann Sordet betreute Publikation besteht aus zwei Bänden in einem Schuber: einer Faksimile-Ausgabe des einzigen Exemplars dieses Verkaufskatalogs aus dem Jahre 1614 - ein Unikat - (Band I) und einen Kommentar (Band II).
Der Kommentar zur Faksimile-Ausgabe gibt nicht nur einen Einblick in die faszinierende Biographie des Herzogs (Jean-Marie Duvosquel, 17-43), sondern bettet den Verkaufskatalog auch in die Geschichte der "Produktinnovationen" (47) infolge der Druckpresse ein (Yann Sordet, 45-71), erforscht die Aneignungsspuren und Weitergabe bzw. Vererbung des Werkes (Pierre Delsaerdt, 79-99), und stellt eine laufende Untersuchung zu den Käufern der Handschriften - von Wien bis Den Haag und Paris bis Berlin - dar (François Bougard, Françoise Fery-Hue, 101-132).
Yann Sordet kann beispielsweise zeigen, wie Verkaufskataloge von Büchern zu einer neuen Gattung wurden. Auktionen von Büchern sind bereits in den 1560er Jahren in den Vereinigten Niederlanden nachgewiesen. Der erste Verkaufskatalog von Büchern wurde 1599 von Louis II. Elzevier in Leiden gedruckt (dabei war die Familie gebürtig aus Löwen). Im Jahre 1614 übernahm der Hofdrucker Velpius das von Charles III. de Croÿs erstellte Verzeichnis seiner Büchersammlung ("Inventaire en la Librairie de feu Tres-Illsutrissime Prince & Sr. Monseigneur le Duc de Croy & d'Arschot"), fügte einige Seiten aus schönerem Papier mit zusätzlichen Titeln und ein attraktiveres Titelblatt auf Latein ("Catalogvs vniversalis sev designatio omnivm librorum...") hinzu, um eine größere Gelehrtenklientel anzuziehen, und kündigte das Ganze als Verkaufskatalog von Croÿs Büchern an. Ursprünglich als rein kommerzielle Produkte bestimmt, wurden solche Verkaufskataloge so erfolgreich, dass sie bald in ganz Europa (vorwiegend jedoch in Holland und Paris) gedruckt und zu Nachschlagewerken für Gelehrte und Buchhändler wurden. Die topische und akademische Einteilung der Bücher nach Fakultätsfach wurde 1706 definitiv in eine fünfteilige Klassifikation (Theologie, Recht, Literatur, Wissenschaft und Künste, Geschichte) umgeändert. Ziemlich rasch wurden solche Kataloge zu dauerhaften Hilfsmitteln für Buchhändler, Bibliothekare und Gelehrte. So entstanden die Sammlungen von Jean-Nicolas de Tralage, heute teilweise aufbewahrt in der Bibliothèque Mazarine, von Hans Sloane, heute in der British Library, und von Prosper Marchand, heute in der Universität Leiden. Auf solchen Verkaufskatalogen aufbauend veröffentlichte der Pariser Buchhändler Guillaume-François Debure 1755/1763 das erste Lehrbuch über seltene Bücher.
Von einer derart entstandenen Bibliophilie zeugt nicht zuletzt die Faksimile-Ausgabe des Verkaufskatalogs von 1614. Sie gibt nicht nur den Gesamttext im ursprünglichen Format, sondern auch die unterschiedliche Qualität des Papiers und die Verbrauchsspuren wieder. Marc Kopylow von den Éditions des Cendres belegt hier wieder seine große Präzision und Sorgfalt. Charles III. de Croÿ hatte die Gewohnheit, seinen Namen auf seinen Unterlagen und Büchern einzutragen, so dass die von Pierre Delsaerdt und Yann Sordet herausgegebene Publikation durch eine größere Untersuchung der Lokalisierung der verkauften Bücher und ihrer eigenen materiellen Geschichte fortgesetzt wird. Dieses umfassende Projekt wirft schon jetzt neues Licht auf den Umgang mit Büchern in der Frühen Neuzeit.
Claire Gantet