Ruth Lambertz-Pollan: Auf dem Weg zu Souveränität und Westintegration (1948-1955). Der Beitrag des Völkerrechtlers und Diplomaten Wilhelm Grewe (= Studien zur Geschichte des Völkerrechts; Bd. 34), Baden-Baden: NOMOS 2016, 780 S., ISBN 978-3-8487-2899-2, EUR 199,00
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Trotz der großen öffentlichen Aufmerksamkeit in den Adenauer-Jubiläums-Jahren - 140. Geburtstag 2016, 50. Todestag 2017 - weist die Forschung über den ersten Bundeskanzler immer noch Desiderate auf. Eins davon ist sicherlich die Beschäftigung mit den Menschen, die um ihn herum zu seiner Politik beitrugen oder vielleicht sogar selbst Politik gestalteten.
Zu Adenauers Apparat, seiner Regierungszentrale, seinem Küchenkabinett werden Walter Hallstein, Otto Lenz, Felix von Eckardt, Heinrich Krone, Herbert Blankenhorn und vor allem Hans Globke gezählt - und nur über die beiden letzteren existieren biographische Forschungsarbeiten, die sich mit ihrem Wirken im Umfeld des Bundeskanzlers beschäftigen. [1] Auch Wilhelm Grewe wird manchmal zu dem engeren Kreis um Konrad Adenauer gerechnet; auch über ihn fehlte bisher ein wissenschaftliches Werk.
Somit schließt das vorliegende Buch, das auf die Dissertation der Autorin zurückgeht, durchaus eine Lücke in der Erforschung nicht nur des Umfelds des ersten Kanzlers der Bundesrepublik Deutschland, sondern auch über deren Anfangsjahre "Auf dem Weg zu Souveränität und Westintegration" - wie der Titel des Werks bezeichnenderweise lautet; der Name Grewes wird erst im Untertitel genannt.
Titel und Untertitel werden dem inhaltlichen Schwerpunkt des Buches durchaus gerecht, der auf Grewes Überlegungen zum Besatzungsstatut (ab 1948) sowie seinem Wirken bei Aushandlung (bis 1952) und Überarbeitung (bis 1955) des Generalvertrags liegt. Aber es sind eben Grewes Urteile und Grewes Arbeit, um die es geht bzw. gehen sollte. Leider finden sich einige Abschnitte ohne jeglichen Bezug zur Person, die dann allgemein bekannte Fakten zu lang wiedergeben (z.B. Kapitel 1.1.5.1 "Veränderung der alliierten Ziele für Deutschland vom Kriegsende bis zu den Frankfurter Dokumenten" oder Kapitel 2.2.1 "Kalter Krieg und Angst vor der Sowjetunion"). Auf der anderen Seite gibt die Autorin Grewes Urteilen - auch über seine eigene Arbeit - sehr viel Raum. Die in den teilweise sehr langen Fußnoten zitierten Quellen sind überproportional oft eigene Ausarbeitungen oder autobiographische Werke des Juristen und Diplomaten.
Nicht erstaunlich, dass allein acht Seiten des - mit insgesamt 50 Seiten sehr ausführlichen - Literaturverzeichnisses Schriften Grewes auflisten. Gemeinsam mit abgedruckten Dokumenten, einem Lebenslauf und dem hilfreichen Personenregister ist somit ein beeindruckender Anhang entstanden. Fast schon verwirrend ist dagegen die kleinteilige Kapiteluntergliederung in bis zu sieben Ebenen.
Die Einleitung gibt einen ersten Überblick über den Lebenslauf und beschäftigt sich ausführlich mit der "Bedeutung Grewes als Mann der zweiten Reihe" (25-27). Von besonderer Bedeutung ist auch das knapp 50seitige Kapitel über Grewes "Juristenkarriere im Schatten des Dritten Reichs", das sehr wichtig ist, um die Person besser zu verstehen.
Der Hauptteil beginnt in den späten 1940er Jahren, in denen sich Wilhelm Grewe als junger Professor für Völkerrecht in Freiburg ausführlich mit den Beziehungen West-Deutschlands - erst der drei Besatzungszonen, dann der neu gegründeten Bundesrepublik - zu den West-Alliierten USA, Großbritannien und Frankreich auseinandersetzte. Das sich in diesen Ausarbeitungen zeigende, und für Jura-Professoren nicht selbstverständliche "Gespür für politische Implikationen von Rechtsauslegungen, bis ins kleinste Detail" (191), führte - auf Anregung von Staatssekretär Walter Hallstein - zu Grewes Berufung zum Leiter der "Delegation für die Ablösung des Besatzungsstatuts" durch Bundeskanzler Adenauer.
Die Darstellung des nicht immer einfachen Zusammenspiels der drei Juristen Grewe, Hallstein und Adenauer - unter Berücksichtigung der vielen anderen beteiligten Personen, die ebenfalls vorgestellt werden - bei den Verhandlungen bis zum Generalvertrag vom 26. Mai 1952 ist dabei anschaulich gelungen. Beispielhaft ist die Diskussion in der deutschen Delegation über die angestrebte Ausformung der zukünftigen Gewalt der ehemaligen Besatzungsmächte, die einmal in einer "Hallstein-Formel", einmal in einer "Grewe-Formel" zur Debatte standen. Die Autorin konstatiert, es sei "bemerkenswert, welches Umdenken Grewe bei Adenauer in nur zwei Monaten bewirkte" (327).
Doch nicht mit allen Ansichten konnte sich Grewe durchsetzen. Mit einigen Problemen, vor denen er selbst bei der Ausarbeitung gewarnt hatte, sah er sich bei der der Unterzeichnung folgenden Diskussion über die Verträge - sowohl im In- als auch im Ausland - konfrontiert. Trotzdem, so die Erkenntnis der Autorin: "Als getreuer Mann der zweiten Reihe kritisierte er jedoch Adenauer - auch in späteren Jahren - nach außen hin nie." (679)
Diese Loyalität blieb nicht ohne Folgen. Grewe wurde erst zum kommissarischen Leiter der Rechtsabteilung des Auswärtigen Amts dann zum Beauftragten für außenpolitische Spezialaufgaben berufen. Während er sich bei der Berliner Viermächtekonferenz im Januar/Februar 1954 noch Herbert Blankenhorn unterstellt sah, nahm er bei der Pariser Konferenz im Herbst des Jahres an allen Sitzungen der Außenminister teil (648). Die im Juni 1955 folgende Ernennung zum Leiter der Politischen Abteilung des Auswärtigen Amts stellte einen ersten Höhepunkt seiner diplomatischen Karriere dar.
Laut Lambertz-Pollan war Grewes "größtes Verdienst [...] sein unbeirrbares Engagement für die Souveränität im Rahmen der Westintegration" (684). Dieses Engagement, seinen Einfluss auf die offizielle Haltung der Bundesregierung und Kanzler Adenauer, auch wenn er nicht zu dessen "allerengsten Vertrauten" (688) zählte, herauszuarbeiten, ist sicher die Leistung dieser - trotz ihrer Längen - gut lesbaren Arbeit. Glücklicherweise ist diese mit entsprechendem Zugang in der Nomos elibrary als pdf abrufbar, so dass nicht alle Interessierten den stolzen Ladenpreis von € 199,- aufbringen müssen.
Anmerkung:
[1] Siehe Birgit Ramscheid: Herbert Blankenhorn (1904-1991). Adenauers außenpolitischer Berater, Düsseldorf 2006. Nicht unumstritten sind die beiden Arbeiten zu Globke von Erik Lommatzsch: Hans Globke (1898-1973). Beamter im Dritten Reich und Staatssekretär Adenauers, Frankfurt/M. / New York 2009, und Jürgen Bevers: Der Mann hinter Adenauer. Hans Globkes Aufstieg vom NS-Juristen zur Grauen Eminenz der Bonner Republik, Berlin 2009. Ingrid Piela: Walter Hallstein - Jurist und gestaltender Europapolitiker der ersten Stunde. Politische und institutionelle Visionen des ersten Präsidenten der EWG-Kommission (1958-1967), Berlin 2012, beschäftigte sich, wie der Titel schon sagt, nur mit dem europäischen Wirken Hallsteins. Die Bonner Magisterarbeit von Robert Labedzke: Felix von Eckardt - ein "unordentliches Leben"? Schlaglichter einer politischen Biographie von 2004, bleibt ein erster Aufschlag.
Kordula Kühlem