Hubertus Seibert (Hg.): Ludwig der Bayer (1314-1347). Reich und Herrschaft im Wandel, Regensburg: Schnell & Steiner 2014, 543 S., 20 Farb-, 19 s/w-Abb., ISBN 978-3-7954-2757-3, EUR 39,95
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Nach Alfred Hitchcock ist die Qualität eines Filmes nur so gut wie dessen Bösewicht. Wendete man diese Regel auf die römisch-deutschen Kaiser im Mittelalter an, so wäre Ludwig der Bayer (1314-1446) gewiss ein Herrscher der Superlative - musste er sich als Landesherr des Herzogtums Bayern, römisch-deutscher König sowie umstrittener Kaiser doch gegen eine stattliche Reihe von Widersachern behaupten: Dazu zählen sein Bruder Rudolf, die mächtigen 'Gegenkönige' Friedrich der Schöne und Karl IV. und nicht zuletzt die römische Kurie in Avignon mit ihren streitbaren wie prinzipientreuen Päpsten Johannes XXII., Benedikt XII. und Clemens VI. Verändert man die Perspektive, so wurde Ludwig der Bayer schließlich von den Päpsten sowie von einer ganzen Reihe kuriennaher Juristen und Chronisten selbst als ultimativer 'bad guy', "voll von infektiösem Schafsdreck", bezeichnet, der "die tödliche Giftigkeit der Schlange" besitze (Strack, 426) und dem die Verdammnis bis in die vierte Generation sicher sei.
Bei der bereits im Oktober 2012 im Historischen Kolleg München ausgerichteten Tagung "Ludwig der Bayer (1314-1347)" ging es dem Veranstalter und Herausgeber Hubertus Seibert erkennbar darum, die "Herrschaftspraxis und Repräsentation" (Teil II) des so häufig unterschätzten Herrschers (13) ebenso einer zeitgemäßen Neubewertung zu unterziehen, wie Ludwig innerhalb der verfassungsgeschichtlichen Rahmenbedingungen, Herrschaftsauffassungen und Innovationspotentiale seiner Zeit neu zu positionieren (Teil I: Kaisertum, Reich und Verfassung). Selbst wenn die inhaltliche Nähe des vorliegenden Bandes zu Hermann Nehlsens und Hans-Georg Hermanns bislang maßgeblicher Publikation "Kaiser Ludwig der Bayer. Konflikte, Weichenstellungen und Wahrnehmung seiner Herrschaft" (1) deutlich erkennbar ist, übertrifft der vorliegende Band den Vorgänger doch im Hinblick auf die inhaltliche Streuung und Methodenvielfalt seiner Ansätze. Originelle Ergänzungen innerhalb des häufig verfassungsgeschichtlichen Rahmens bieten die Beiträge zum Thema "Öffentlichkeit und Öffentliche Meinung" (Teil III) von Eva Schlotheuber (387-411) und Georg Strack (413-436). Letzterem zufolge stellen etwa die Konsistorialansprachen von Clemens VI. gegen Ludwig und den ihn unterstützenden Mainzer Erzbischof Heinrich von Virneburg trotz der eingangs zitierten sprachlichen Brachialgewalt ein kirchenrechtlich differenziertes, potentiell noch versöhnungsbereites sowie "vielschichtiges Medium in der politischen Kommunikation zwischen regnum und sacerdotium" (433) dar.
Im Grunde erweitern ließe sich dieses Themenfeld auch durch den Beitrag von Jean-Marie Moeglin (97-117). Durch seine Analyse der in Ludwigs Diplomen erkennbaren "Rhetorik der Macht" (117), im Vergleich mit den etwa aus den Chroniken Jean le Bels und Jean Froissarts ermittelbaren Königsidealen, erwies sich Ludwig trotz mancher institutioneller Vergleichbarkeiten weder als "Ritterkönig" (wie Eduard III.) noch als "allerchristlichster König" wie seine französischen Pendants, noch als "weiser König" wie Robert von Neapel - immerhin aber konkurrenzlos als "höchste [...] Verkörperung der kaiserlichen Majestät" (117).
Es kann hier nur schlaglichtartig auf einige weitere Beiträge verwiesen werden: Dazu zählt die eigens für den Band unternommene, liebevolle Rekonstruktion des 'Sitzes im Leben' der Schlacht von Gammelsdorf innerhalb des Aufstiegs Ludwigs durch Bernhard Lübbers (205-236) auf Grundlage bislang nicht gewürdigter Aufzeichnungen aus dem Koster Aldersbach. Von Susanne Lepsius werden detailliert Beeinflussungen des bekannten 'Tractatus de iuribus regni et imperii' von Lupold von Bebenburg mit dessen "Definierung der kaiserlichen Herrschaftsgewalt" (Erkens, 48) durch eine ältere, römisch-rechtliche Legistik nachgezeichnet. Nach Lupold war der im Hinblick auf seine Legitimation stets umstrittene Ludwig nach seiner Königswahl durchaus aber auch als umstrittener "imperator" ein "rex in imperio suo" (92f.). Susanne Lepsius wie auch Franz-Reiner Erkens ist es dabei wichtig zu betonen, dass es sich bei Lupolds 'Tractatus' angesichts der zeitlichen wie inhaltlichen Nähe zur Erklärung des Kurvereins von Rhense (1336) um eine der seltenen wechselseitigen Beeinflussungen zwischen offiziöser Reichspolitik und mittelalterlich-gelehrter Herrschaftstheorie handelt (Lepsius, 64; Erkens, 48f.).
Bemerkenswert erscheinen auch Neubewertungen der umstrittenen zeremoniellen Beteiligung des römischen Stadtadels bei Ludwigs Kaiserkrönung (1328) durch Jörg Schwarz. Diese stellte eine Apotheose eines multilateral anschlussfähigen, primär durch die innenpolitische Situation Roms sowie durch die situationsbezogenen Bedürfnisse Ludwigs erklärbaren "Romkultes" dar. Durch die Abkehr von einem durch den Papst oder die Kurienvertreter durchgeführten Weihezeremoniell sollte dem Obersten Pontifex durch die Neubewertung des Krönungsaktes auch historisch die Rolle als "Begründer des Kaisertums" abgesprochen werden (Schwarz, 138). Der "Verfassungsinnovation" des Münchener Vertrages (1325) in Form eines Doppelkönigtums Ludwigs des Bayern und Friedrichs des Schönen im Jahre 1325 als diplomatischer Beendigung der im Vorjahr bereits militärisch entschiedenen Doppelwahl von 1314 lagen wiederum, nach Gerald Schwedler, lehensrechtliche Vorstellungen des "Gesamthandmodells" aus der juristischen Sphäre des Niederadels zugrunde. Auch wenn dieses kooperative Modell bekanntlich keine Schule machte, sollte es nach Schwedler als situationsbezogen sinnfällige Konfliktlösungsalternative durchaus ernstgenommen werden.
Aus dem Umfeld der Regesta Imperii entstanden im Detail sehr aufschlussreiche, sich teilweise aber auch inhaltlich überschneidende Beiträge (Menzel / Burlach). Als erhellend in Bezug auf einzelne Forschungsgebiete, wie etwa die Städteforschung oder die Zeremonial- bzw. Diplomatiegeschichte, erweisen sich Beiträge von Sigrid Oehler-Klein zur "Interaktion zwischen den vier Reichsstädten der Wetterau und der Krone" zur Zeit Ludwigs sowie zum "[H]errscherliche[n] Hof zur Zeit Ludwigs als Nachrichten- und Kommunikationszentrum" von Mirjam Eisenzimmer. Die Neubewertung von Ludwigs überwiegend dynastischer Politik gegenüber dem Nordosten und Westen des Reiches durch Michael Menzel als "neue Architektur des Reiches im Nordosten, mit bayerischem Impetus", als "Reichskonstruktion" mit "einheitlichem Konzept" sowie als "bayerische Jahre Europas" (242f., 258) wirkt indes etwas gezwungen, wozu auch ein simplifizierendes Pfeildiagramm beiträgt (257). Der Verfasser dieser Besprechung zieht hier die nüchternen Interpretationen von Martin Clauss im Sinne einer pragmatischen Realpolitik vor, die dem Moment geschuldet war (2).
Ein letzter Abschnitt ist der diachronen Rezeptionsgeschichte des Bayern gewidmet. Karl Borromäus Murr (451-493) betrachtet unter anderem detailliert das bekannte ursprünglich in der Nähe des Hochaltars der Münchener Frauenkirche befindliche Grabdenkmal Ludwigs. Dieses wurde bekanntlich zu Beginn des 17. Jahrhunderts durch Maximilian I. zur Verdeutlichung der bayerischen Kurwürde in barocker Form umgestaltet und dann 1860 an das "hintere [...] Ende des mittleren Langhausschiffes" verlegt. Das Grabmal sowie frühbarocke Sakralkunstwerke in der Abtei Fürstenfeld sind dagegen Gegenstand des Beitrages von Markus T. Huber (495-525). Diese kunstgeschichtlichen Ausführungen zum Nachleben Ludwigs sind unter anderem deswegen aufschlussreich, weil ältere Theorien einer ideell einheitlichen Hofkunst des Bayern von Robert Suckale durch Mathias Weniger in dem vorliegenden Band eine eindeutige Widerlegung finden (361-385): Ludwigs eigene Stiftungen und künstlerische Hinterlassenschaften lassen abgesehen von "Stilparallelen" keine "verlässliche[n] historische[n] Aussage[n]" (Einführung Seibert, 23) zu Ludwigs Politik oder Glaubensleben zu. Originell in diesem Zusammenhang erscheint Martin Kaufholds ebenso gelehrte wie mild ironische Neubewertung des "Verhältnis[ses] der Kirche zum gebannten Kaiser Ludwig im späten Mittelalter". Anhand der Analyse von Stiftungsbestätigungen des Bayern durch die Kurie, um welche dessen Urenkel Ernst und Wilhelm von Bayern-München zu Beginn des 15. Jahrhunderts nachgesucht hatten, kommt der Autor zu dem Urteil, "dass der Name Ludwigs [...] keine Aufregung in Rom mehr verursachte" (446). So war auch die Lossprechung der genannten Bayernherzöge keine Unmöglichkeit mehr. In Anlehnung an den Dritten Gesang des Purgatoriums in Dantes 'Inferno' stellte nach Kaufhold selbst die Loslösung Ludwigs aus dem Fegefeuer bis zum Jahr 2052 zumindest eine rechnerische Möglichkeit dar - "wenn die guten Bitten ihm dieses Urteil nicht verkürzen würden" (449).
Insgesamt gelingt es dem prachtvoll ausgestatteten Band überzeugend, ein vielschichtiges Bild von Ludwigs Herrschaft als "Zeit des Umbruchs und vielfältiger Veränderungen" (Umschlagstext) zu entwerfen. Auch ohne die "täuschende Verschlagenheit eines Fuchses" (426) bereitete Ludwig institutionell, lehensrechtlich und staatstheoretisch seinem lange als innovativer bewerteten Nachfolger Karl IV. den Weg (13, 249, 260).
Anmerkungen:
[1] Vgl. Hermann Nehlsen / Hans-Georg Hermann (Hgg.): Kaiser Ludwig der Bayer. Konflikte, Weichenstellungen und Wahrnehmung seiner Herrschaft (= Quellen und Forschungen aus dem Gebiet der Geschichte, 22), Paderborn 2002.
[2] Vgl. Martin Clauss: Ludwig IV. der Bayer. Herzog, König, Kaiser (= Kleine bayerische Biographien), Regensburg 2014, 95, 97, 101.
Andreas Willershausen