Robert Büchner: Im städtischen Bad vor 500 Jahren. Badhaus, Bader und Badegäste im alten Tirol, Wien: Böhlau 2014, 195 S., 86 Farbabb., ISBN 978-3-205-79509-4, EUR 35,00
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Es waren offenbar regelrechte Hexenküchen, diese Badstuben des 16. Jahrhunderts! Um verschiedenen Beschwerden beizukommen, empfahl Georgius Pictorius 1560 in seinem Bäderbuch, das Wasser mit "Baumöl" zu versetzen, "in dem zuvor ein Fuchs oder Dachs gesotten worden" ist (23). Eine Enthaarungscreme bestand neben Kalk aus ebenso fragwürdigen Zutaten wie "Meerschaum, Blut von Fröschen und Schnecken, Ameiseneiern oder Eidechsenöl" (28). Fielen einem nicht schon vor bloßem Grauen die Haare aus, wurde dann wohl einfach nachrasiert.
Derart unterhaltsame Details beleben das Buch von Robert Büchner, das vor allem das noch erhaltene städtische Bad in Rattenberg im österreichischen Tirol beleuchtet. Neben einem schalkhaften Charme zeichnet sich das Werk durch die Auswertung einer Vielzahl regionaler Quellen aus.
Wir lieben sie natürlich, die Geschichten von erotischen Orgien und gruseligen medizinischen Behandlungen, stellen uns das blutgetränkte Wasser und die - jedenfalls für heutige Verhältnisse - katastrophalen hygienischen Verhältnisse in den Schwitz- und Wannenbadestuben vor, die zugleich Körperpflege und wundärztlicher Behandlung dienten. Doch ging schon den Zeitgenossen zuweilen die Fantasie durch, ein Umstand, den Büchner in Bezug auf den sittenstrengen Hippolytus Guarinonius anspricht, der in "Die Grewel der Verwüstung Menschlichen Geschlechts" (Ingolstadt 1610) auch den öffentlichen Badebetrieb anprangert (13).
Bereits Hans Peter Duerr hat das Bild der Badstuben als eine Art spätmittelalterlicher 'Swinger Clubs', das sich aus Darstellungen von Badebordellen speiste (zu diesen auch 40-45), widerlegt. [1] Dementsprechend zeigt auch Büchner, dass - entgegen moralisierender Malereien oder solchen, in denen sich seines Erachtens männliche Wunschträume manifestierten, wie etwa in der Wenzelsbibel (37) - Geschlechtertrennung und Badekleidung in Rattenberg die Regel waren. Außerdem scheint es "in den Badstuben laut und fröhlich, aber nicht unziemlich hergegangen [zu] sein" (140).
Zeichnet das erste Kapitel zum "Badewesen bis ins 16. Jahrhundert" ein ebenso überzeugendes wie detailreiches Bild des Badebetriebs insbesondere um 1500, ist die Studie dort weniger gelungen, wo Büchner sein eigentliches Thema auf "Das Badewesen vom 16. bis zum 19. Jahrhundert" (Kapitel 2) ausdehnt. Die allzu verkürzte Darstellung der eigentlich reichen Quellen- und Befundlage im Alten Reich wird im Rückgriff auf den französischen Hof gestreckt. Erhaltene Anlagen wie die 'Badstube' der Burg Trausnitz in Landshut oder das reich stuckierte Bad des 17. Jahrhunderts im Baden-Badener Schloss bleiben unerwähnt. Dafür verlässt der Autor sich auf die ebenso fragwürdige wie hartnäckige Annahme, "die seit Mitte des 17. Jahrhunderts unter französischen Einfluss errichteten neuen Bäder" seien "teilweise nur Schau- und Prunkräume" gewesen (49). Wird diese Fehleinschätzung erst in aktuellen Forschungen wiederlegt [2], hätten andere, 2014 bereits vorliegende Beiträge in diesem Kapitel Berücksichtigung finden müssen. [3]
Auch einschlägige Studien zur Balneologie des 16. Jahrhunderts sowie Martin Bitz' Buch zum Kurbadewesen, ebenso Susanne Loleits Abhandlung zur literarischen Behandlung des Bades bleiben unerwähnt. [4] Immerhin wird die maßgebliche Untersuchung von Birgit Tuchen zu öffentlichen Badhäusern wiederholt herangezogen, und der Autor stimmt mit den Erkenntnissen von "Frau Tuchen" in weiten Teilen überein (72). [5]
Auf wackeligem Fundament steht die Aussage, in "Kur- und Wildbädern" habe "die größte Freiheit" geherrscht (45). Denn Poggio Bracciolinis vielzitierter 'Bäderbrief' von 1416 "über das fröhliche, ungezwungene Leben, Lieben und Trinken in den Thermalbädern zu Baden im Aargau" (ebd.) zeugt wohl mehr von der Sehnsucht des Beschreibenden als von der Unanständigkeit der Badenden. [6] Ein Gegengewicht hätte der Reisebericht Montaignes liefern können, der auf seiner Bäderreise zu sehr mit seinen körperlichen Befindlichkeiten beschäftigt war, um sich in erotischen Träumereien zu ergehen. [7]
Bei der sich zumeist aus Bildzitaten speisenden Illustration des Buches wären ein differenzierter Umgang mit dem weitgehend bekannten Material sowie eine sinnvolle Auswahl im Hinblick auf Rattenberg gut gewesen. Haarsträubend ist die unkommentierte Abbildung des sogenannten 'Täuferbades', einer noch immer rätselhaften Grafik von Heinrich Aldegrever und Virgil Solis, als "Badestube mit gemischten Publikum" (Abb. 5). So wenig das Werk, in dessen Zentrum ein schmusendes Paar dargestellt ist, auch erforscht ist, so sicher ist seine Unangemessenheit zur Illustration des Badebetriebs "um 1550" (14). Im Kapitel zum Rattenberger Bad stört das Fehlen von Grundrissen und aussagekräftigen Aufnahmen des Gebäudes und seiner Ausstattung.
Überzeugend ist das Buch in seiner Untersuchung der mit dem städtischen Bad verbundenen Berufe, die bereits im ersten Kapitel eingeführt und im vierten dann entfaltet wird. Büchner lässt die Rattenberger Bader des 15. und 16. Jahrhunderts regelrecht aus den Quellen auferstehen. Ihre Bestallung erfolgte jährlich durch die Stadt, und sie hatten "das Inwohnerrecht" (82). Wir erfahren außerdem, dass sie zugleich im Augustinerkloster praktizierten und in bescheidenen Verhältnissen lebten: "Die Geschichte der Bader in Rattenberg, soweit sie sich für das 16. Jahrhundert rekonstruieren ließ, ist die Geschichte kleiner Leute." (140) Ihre berufseigenen Dienstleistungen brachten wenig ein, sodass sie ihr Budget durch wundärztliche Behandlungen, vor allem Schröpfen und Aderlassen, aufbesserten. Nicht immer hätten sie sich gut benommen, viel getrunken, wobei ihre "Stigmatisierung" vorrangig auf den Umgang mit "Körperflüssigkeiten und Geschwüren" zurückzuführen sei (32-33).
Eingeflochten in Büchners Rattenberger Bader-Geschichte sind Unterkapitel zur Konkurrenz auswärtiger Kollegen oder Barbiere, zu Bräuchen wie dem Mai- oder dem Hochzeitsbad, dem Umgang mit Krankheiten, der Geruchsbelästigung, privaten Bürger-Bädern, die ebenfalls von den städtischen Badern 'frei Haus' mitbetreut wurden, sowie zum weiblichen Personal. Diese 'Frauen im Bade' arbeiteten freiberuflich als sogenannte "Reiberinnen" oder "Gewandhüterinnen", d.h. sie wurden zwar von der Stadt angestellt, aber ausschließlich von ihren Kundinnen mit "ein paar Vierern" (114) bezahlt. Ihre Aufgaben waren: "Übergießen, Abgießen, Waschen, mit dem Quast Reiben, Massieren, Fußbäder, Kopfwäsche, Kämmen, vielleicht auch Haareschneiden, Einreiben mit gebrannten Wässern oder ätherischen Ölen [...] Der Bader betrat die Frauenstube nur als Wundarzt, Aderlasser und Schröpfer" (113). Im Männerbad standen ihm Badeknechte und Lehrlinge zur Seite, denen auch die Gebäude-Reinigung oblag.
Die weiblichen Angestellten waren zumeist "Witwen, denen der Rat mit dem bescheidenen Amt ein Nebeneinkommen verschaffen wollte" (114). Für die 1549 vakante Gewandhüterinnen-Stelle kann Büchner sechs Bewerberinnen nennen. Die schließlich ausgewählte Barbara, Witwe des Rattenberger Wächters Sigmund Waldhueber, hatte einen Bürgen zu stellen, denn sie musste im Falle eines Verlustes an der 'Garderobe' für diesen einstehen (ebd.). Es sind diese sozialgeschichtlichen Nahaufnahmen, welche den Erkenntniswert der Studie und ihre Bedeutung für die Bäderforschung ausmachen.
Anmerkungen:
[1] Hans Peter Duerr: Der Mythos vom Zivilisationsprozess, Bd. 1, Nacktheit und Scham, Frankfurt a.M. 1994 [1988].
[2] Vgl. Antje Scherner: Ein Bad ohne Wasser? Das Marmorbad in Kassel und die Kasseler Bäder der Frühen Neuzeit, in: Kristina Deutsch et al. (Hgg.): Höfische Bäder in der Frühen Neuzeit. Gestalt und Funktion, Berlin / Boston 2017, 287-309; Vera Herzog: Der fürstliche Badepavillon als zweckmäßige und repräsentative Bauaufgabe im späten 17. und 18. Jahrhundert, Berlin / München 2016.
[3] Das Stille Örtchen. Tabu und Reinlichkeit bey Hofe, Ausst.-Kat. (Baden-Württemberg), hgg. von Wolfgang Wiese / Wolfgang Schröck-Schmidt, Berlin / München 2011; Le Bain et le Miroir. Soins du corps et cosmétiques de l'Antiquité à la Renaissance, Ausst.-Kat. (Écouen, Paris), Paris 2009; Wolfgang Cilleßen: Exotismus und Kommerz, Bäder- und Vergnügungswesen im Paris des späten 18. Jahrhunderts, Frankfurt a.M. 2000; Susanne Grötz / Ursula Quecke (Hgg.): Balnea. Architekturgeschichte des Bades, Marburg 2006; Les bains privés au Moyen Âge et la Renaissance, in: Bulletin monumental 159 (2001), Nr. 1. Verschiedene Beiträge zum französischen Kontext veröffentlicht seit 2010 auch Ronan Bouttier, der im März 2017 mit dem Thema "Invention et diffusion dans l'architecture des bains privées à Paris au XVIIe siècle" an der Sorbonne in Paris promoviert wurde.
[4] Martin Bitz: Badewesen in Südwestdeutschland 1550-1840. Zum Wandel von Gesellschaft und Architektur (= Geschichtswissenschaftliche Beiträge; Bd. 108), Idstein 1989; Simone Loleit: Wahrheit, Lüge, Fiktion. Das Bad in der deutschsprachigen Literatur des 16. Jahrhunderts, Bielefeld 2008. Ebenfalls nicht erwähnt werden wichtige Beiträge zur Balneologie von Frank Fürbeth, zuletzt ders.: Bäderdiskurse in den deutschsprachigen balneologischen Bestsellern des 16. Jahrhunderts (Paracelsus, Etschenreutter, Tabernaemontanus), in: Didier Boisseuil / Hartmut Wulfram (Hgg.): Die Renaissance der Heilquellen in Italien und Europa von 1200 bis 1600, Frankfurt a.M. 2012, 193-212, sowie (noch immer) Irmgard Probst: Die Balneologie des 16. Jahrhunderts im Spiegel der deutschen Badeschriften, Münster 1971.
[5] Birgit Tuchen: Öffentliche Badhäuser in Deutschland und der Schweiz im Mittelalter und der Frühen Neuzeit, Petersberg 2003.
[6] Vgl. dazu Duerr 1994 (wie Anm. 1), 59-62.
[7] Michel Eyquem de Montaigne: Tagebuch einer Reise durch Italien, die Schweiz und Deutschland in den Jahren 1580 und 1581, Frankfurt a.M. 1988.
Kristina Deutsch