Paul Stephenson: The Serpent Column. A Cultural Biography (= Onassis Series in Hellenic Culture), Oxford: Oxford University Press 2016, XXIII + 275 S., 100 s/w-Abb., ISBN 978-0-19-020906-3, GBP 47,99
Inhaltsverzeichnis dieses Buches
Buch im KVK suchen
Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.
Dieses Buch behandelt die sogenannte Schlangensäule, ein Monument aus Bronzehohlguss, das 479 v. Chr. in Delphi von den Griechen zum Dank für den Sieg über die Perser errichtet und im 4. Jahrhundert n. Chr. in der Hippodrom von Konstantinopel/İstanbul gebracht wurde, wo sie heute noch steht. Die Untersuchung geschieht in der Form einer "cultural biography", die Geschichte und Rezeption eines Objekts über die Jahrhunderte hinweg verfolgt, in diesem Fall von der griechischen Antike durch die byzantinische und die osmanische Zeit hindurch bis zur Gegenwart.
Die Säule war über 5m hoch und bestand aus drei zusammengedrehten Schlangenleibern mit drei Köpfen am oberen Ende, die heute bis auf einen Oberkiefer, der sich im Archäologischen Museum von Istanbul befindet, verloren sind. Sie diente der Unterstützung eines goldenen Dreifußes, der das eigentliche Weihgeschenk darstellte. Die Rekonstruktion des Ensembles ist nach wie vor umstritten: entweder wurde die Schale eines großen, bis zum Boden reichenden Dreifußes von den Schlangenköpfen gestützt, oder die ausladenden Köpfe trugen einen kleinen Dreifuß. Obwohl das Buch sonst reichlich illustriert ist, verzichtet Stephenson hier auf eine Rekonstruktionszeichnung und neigt vorsichtig der "kleinen" Lösung zu, die mir freilich technisch kaum möglich scheint.
Wie aus dem Bericht über Delphi bei Pausanias hervorgeht, war der Dreifuß schon im 4. Jahrhundert v. Chr. abhandengekommen. In Konstantinopel ist später mehrfach im Plural von "delphischen Dreifüßen" die Rede, Stephensons Deutung (101, 112) als "a group of monuments that included the Serpent Column" ist aber keineswegs gesichert. Tatsächlich wird die Schlangensäule erst im späten 14. Jahrhundert in Berichten russischer und westlicher Reisender eindeutig beschrieben, was bei der Größe des Objekts und angesichts der Tatsache, dass es damals bereits seit tausend Jahren in der Stadt gewesen sein muss, nur schwer zu erklären ist.
Über längere Strecken gerät das Buch zu einer Art Kulturgeschichte der Schlange in der antiken und byzantinischen Zeit, die mit der Schlangensäule selbst kaum etwas zu tun hat. Beim Versuch, die Umstände der Aufstellung und die ursprüngliche Bedeutung des Objekts zu erklären, wagt sich Stephenson mehrfach auf sehr hypothetisches Gelände, etwa dort, wo die zusammengedrehten Schlangenleiber - ohne Quellenbeleg - als Darstellung der Milchstraße gedeutet werden (46). Auch neigen die Exkurse etwas zum Ausufern, so der über orientalische Schlangendarstellungen (70-73) oder über die christliche Ikonographie der Schlange (151-182).
Zwar versucht Stephenson immer wieder, einen Bezug zur Schlangensäule in Konstantinopel herzustellen. Doch scheint es mir sehr gewagt, möglichst sämtliche Darstellungen von Schlangen in der byzantinischen Kunst, vor allem solche mehrerer zusammengedrehter Schlangen, in der einen oder anderen Art mit diesem konkreten Objekt in Beziehung zu setzen, zumal dieses von den Quellen, wie gesagt, überhaupt erst in der letzten Zeit des byzantinischen Reichs erwähnt wird.
Einige Bemerkungen: Die Skizze (99) zeigt statt der südlichen Seemauer von Konstantinopel die Bahnlinie. Für die mit den Worten "recently, it has been suggested" eingeführte Hypothese, der Hippodrom von Byzantion sei erst nach 260 erbaut worden, ist keine Quelle angegeben (100). Die Aussage, die Schlangensäule habe sich im Hippodrom gegenüber der Kaiserloge befunden, ist unzutreffend (103, später mehrfach) und findet sich auch nicht auf der Planskizze (115) wieder. Ergänzung (114): Weitere sehr alte Dreifüße werden in Konstantinopel auf zwei öffentlichen Plätzen erwähnt, dem Strategion [1] und dem Xerolophos. [2] Für die Annahme, eine im 9. Jh. erwähnte dreiköpfige Statue im Hippodrom sei in Wirklichkeit eine Gruppe von drei Statuen gewesen, gibt es keinen Grund (121-122); sie gehörte sicher dem weit verbreiteten, im griechischen Bereich vor allem durch Darstellungen der Göttin Hekate präsenten Typus an, auf den Stephenson nur kurz eingeht.
Die relevante Bibliographie ist ziemlich vollständig erfasst; an - vielleicht nicht gravierenden - Lücken fielen mir auf: Gilbert Dagron: Naissance d'une capitale, Paris 1974 (zur Stadtgründung Konstantins immer noch das Standardwerk); Arne Effenberger: Überlegungen zur Aufstellung des Theodosios-Obelisken im Hippodrom von Konstantinopel, in: Beat Brenk (Hg.): Innovation in der Spätantike, Wiesbaden 1996, 207-282 (116); Titos Papamastorakis: Interpreting De Signis of Niketas Choniates, in: Alicia Simpson, Stephanos Efthymiadis (eds.): Niketas Choniates. A Historian and a Writer, Genf 2009, 209-223 (148); Urs Peschlow: Eine wiedergewonnene byzantinische Ehrensäule in Istanbul, in: Otto Feld, Urs Peschlow (Hg.): Studien zur spätantiken und byzantinischen Kunst. Festschrift für F. W. Deichmann, Bonn 1986, 23-33 (245).
Den Fußnoten und Querverweisen hätte an einigen Stellen eine etwas stringentere Redaktion gutgetan.
Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass dieses flüssig geschriebene und ansprechend hergestellte Buch, wenn man sich nicht an dem zuweilen lockeren Bezug zum namengebenden Objekt stört, eine sehr informative und stets anregende Lektüre ist.
Anmerkungen:
[1] Theodor Preger (ed.): Patria Konstantinupoleos II 61 (Scriptors originum Constantinopolitanarum II), Leipzig 1907.
[2] Priscianus: Institutiones VI 69, in: H. Kril (ed.): Grammatici Latini II, Leipzig 1855, 253f.
Albrecht Berger