Ilya Berkovich: Motivation in War. The Experience of Common Soldiers in Old-Regime Europe, Cambridge: Cambridge University Press 2017, XII + 280 S., 5 s/w-Abb., 3 Tbl., ISBN 978-1-316-61810-3, GBP 22,99
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Eine Historienmalerei aus dem Jahr 1900 illustriert als Titelbild Berkovichs Leitfrage: Trotz erster Verluste folgt das preußische Grenadiergardebatallion 1745 bei Hohenfriedberg in strenger Schlachtreihe den (im Bildausschnitt fehlenden) Offizieren in das feindliche Feuer. Weshalb setzten sich einfache Soldaten des 18. Jahrhunderts so einem Gemetzel aus? Hierzu wird gerne Friedrich II. von Preußen zitiert, es solle "der gemeine Soldat vor dem Officiere mehr Furcht als vor dem Feinde haben". [1] Zwar ging es in seiner Instruktion um die Disziplinierung von Soldaten, die sich anmaßten zu "raisonnieren", doch statt eines kritischen Geistes belegt sie meist nur ein Klischee des gepressten, gedrillten und zum Kampf gezwungenen Soldaten.
Nun haben innovative Arbeiten der 'neuen Militärgeschichte' begonnen, den Kontrast zwischen einer patriotisch motivierten, zukunftsweisenden französischen Revolutionsarmee und ihrer zum Dienst geprügelten Gegner zu relativieren. Dennoch bleibt, so Berkovich, die Motivation der Soldaten des 18. Jahrhunderts, zumindest in der englischsprachigen Forschung, weitgehend im Dunkeln. Vor diesem Hintergrund legt er Wert darauf, Leistungen der deutschen [2], französischen und russischen Militärhistoriografie in anglo-amerikanische Forschungsdebatten zu integrieren. Seine Studie erhebt darüber hinaus den Anspruch, anhand von Quellenmaterial zu über einem Dutzend europäischer Heere ein repräsentatives Gesamtbild soldatischer Erfahrungen des Ancien Régime zu zeichnen. Angesichts eines deutlichen Schwerpunkts in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts und auf nicht einmal 300 Seiten ist dies etwas hoch gegriffen. Doch gelingt es ihm, aufbauend auf methodisch-theoretischen Grundlagen aus Militärgeschichte und Militärsoziologie, zu zeigen, dass intrinsische Motivationsfaktoren für die Heere des 18. Jahrhunderts bisher zu Unrecht vernachlässigt werden.
An John Lynn und Stephen Westbrook anknüpfend entwickelt Berkovich ein Raster möglicher Motivationen (12). Dabei kreuzt er drei Phasen des Soldatenlebens ("initial", also den Schritt zur Verpflichtung; "sustaining" im alltäglichen Dienst; "combat", den Kampfeinsatz) mit drei unterschiedlichen Formen der Begründung von Gehorsam ("coercive", durch Zwang und körperliche Züchtigung; "remunerative", durch finanziell-materiellen Profit; sowie "normative", auf der Basis von Erwägungen zu sozialem Status und Moral). Anhand dieses Modells untersucht Berkovich neben österreichischen, britischen und französischen Archivalien zur Militärverwaltung etwa 250 (mehrheitlich gedruckte) Selbstzeugnisse von einfachen Soldaten und Unteroffizieren. Die Briefe, Tagebücher und Memoiren belegen, so Berkovich, gemeinsame Charakteristika des Militärdienstes bis in die Revolutionsära.
Die ersten drei Kapitel hinterfragen die Dominanz der "coercive compliance". Ein kritischer Forschungsüberblick zeigt, wie stark die Selbstinszenierung der Französischen Revolution, als Bruch mit einer auf Zwang basierenden Militärkultur, noch immer die Militärgeschichte des 18. Jahrhunderts prägt. Dann weist Berkovich nach, dass Desertion nur selten so strikt geahndet wurde, wie es die normativen Quellen vorgaben. Ein Großteil der Deserteure wurde gar nicht wieder aufgegriffen. Selbst wer gefasst wurde, entging häufig durch Begnadigung der vorgesehenen Strafe. Berkovich kombiniert quantitative und qualitative Quellenanalysen, um zu widerlegen, dass sich Armeen des 18. Jahrhunderts durch brutale Repression unwilliger Rekruten versicherten. Sein Argument bettet er in sozial- und kulturhistorische Kritik an der Idee der Sozialdisziplinierung in der Frühen Neuzeit ein: Wie das Verhältnis zwischen Obrigkeiten und Untertanen basierte jenes zwischen Offizieren und Mannschaften auf Aushandlungsprozessen. Die soldatischen Selbstzeugnisse offenbaren durchaus Zugeständnisse der Vorgesetzten an die Truppe.
Da gewaltsamer Zwang die Kampfbereitschaft offenbar nicht hinreichend begründet, fragt der folgende Teil des Buches nach der Bedeutung anderer Faktoren. Berkovich legt dar, dass finanzielle Anreize schon bei der Rekrutierung nicht die Rolle spielten, die ihnen oft zugeschrieben wird. Die Quellen weisen vielmehr darauf hin, dass immaterielle Motivationsfaktoren, wie der erwartete Lebensstil und das soziale Ansehen des Soldaten bzw. der Institution Militär, entscheidend waren. In der "sustaining stage" wurden die meisten Soldaten erfolgreich in ihre Tischgemeinschaft, ihre Einheit und ihre Armee sozialisiert. Die hier eingeprägten berufsspezifischen Ideale von Männlichkeit und Ehre spielten schließlich auch eine wichtige Rolle für die Motivation im Kampf. 'Von vorne' geführt zogen die Soldaten ihren eigenen Schilderungen nach in Gefechte, deren Legitimität sie durchaus reflektierten. Loyalität - zu Kameraden als sozialer Primärgruppe, zu Vorgesetzten und Armee sowie zu Dynastie, Nation und sogar zur "Ideologie" (16) des sozio-politischen Systems, in dessen Diensten man stand - förderte die Bereitschaft, sich der Lebensgefahr auszusetzen.
Berkovichs Studie bietet theoretisch-methodische Anregungen für die Weiterentwicklung der Militärgeschichte: Neben der Verbindung quantitativer und qualitativer Analysen zu Desertion und Disziplin erweist sich die Neulektüre publizierter Selbstzeugnisse in Kombination mit unveröffentlichtem Material als anregend. Hier wird deutlich, welches Potential in einem kulturgeschichtlichen Zugang liegt, der "old-regime soldiers as actors rather than victims of historical processes and their personal circumstances" (229) ernst nimmt. Allerdings bleiben in Bezug auf das herangezogene Quellenmaterial Fragen offen. Berkovich widmet der Quellenkritik in der Einleitung eine knappe Seite, wo er die Repräsentativität der 250 konsultierten Selbstzeugnisse begründet. Völlig unberührt bleibt jedoch das Problem der Überlieferungsform und ihrer inhaltlichen Auswirkungen. Macht es keinen Unterschied, ob Soldatenmemoiren schon zeitgenössisch oder erst im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert publiziert wurden? Welchen Überarbeitungsgrad weisen Publikationen im Vergleich zu Archivalien auf? Hat die Betonung normativer Motivationsaspekte die Archivierungs- oder Publikationswahrscheinlichkeit erhöht? Vorbehalten gegenüber den narrativen Darstellungen hätte hier noch besser begegnet werden können.
Berkovich legt insgesamt überzeugend dar, dass nicht erst die Soldaten der französischen Revolutionsarmeen von "normativen" Faktoren motiviert wurden. Angesichts dieses Kontinuitätsarguments wirken wiederholte Bezugnahmen auf das Ancien Régime begrifflich nicht ganz glücklich, scheinen sie doch die dichotomische Trennung zwischen einem vor- und einem nachrevolutionären Militärwesen zu bekräftigen. Eher hypothesenhafte Schlussbemerkungen über militärisches Ehrgefühl seit dem 16. Jahrhundert (230) unterstreichen zusätzlich, dass die Untersuchung ihren empirischen Schwerpunkt auf die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts legt. Eine entsprechende Titelwahl hätte den Wert der Studie besser abgebildet. Denn in der Beschäftigung mit ihrem spezifischen Gegenstand leistet sie einen bemerkenswerten Beitrag zu einer theoretisch fundierten, sozial- und kulturhistorisch anschlussfähigen Geschichte des Militärischen, die sich den Erfahrungshorizonten frühneuzeitlicher Soldaten zuwendet.
Anmerkungen:
[1] Instruktion von 1763, abgedruckt in Œuvres militaires de Frédéric II, Roi de Prusse, Bd. 3 (Œuvres de Frédéric le Grand, hg. v. Johann D. E. Preuss, Bd. 30), Berlin 1856, 302.
[2] So z.B. als Pionierarbeit Sascha Möbius: Mehr Angst vor dem Offizier als vor dem Feind? Eine mentalitätsgeschichtliche Studie zur preußischen Taktik im Siebenjährigen Krieg, Saarbrücken 2007.
Anke Fischer-Kattner