Peter Fane-Saunders: Pliny the Elder and the Emergence of Renaissance Architecture, Cambridge: Cambridge University Press 2016, XXIV + 491 S., ISBN 978-1-107-07986-1, GBP 108,00
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Bücher über Plinius den Älteren scheinen in den letzten Jahren im Trend zu sein. Nach einer materialreichen Monografie von Sarah Blake McHam aus dem Jahr 2013, welche die Einflussnahme der "Naturgeschichte" auf die Renaissancekultur zum Thema hatte [1], erhebt nun Peter Fane-Saunders' Buch den Anspruch, die Einwirkung Plinius des Älteren auf die Entstehung speziell der Gattung der Renaissance-Architektur auszuloten.
Dass Plinius' Text in der Renaissance - editio princeps 1469, Ausgabe in Vulgärsprache in einer Übersetzung Cristoforo Landinos 1476 - eine nicht zuletzt aufgrund der Überlieferung einer Reihe von antiken Künstlernamen und -anekdoten eminente Bedeutung unter den zugänglichen antiken Schriftquellen zukam, ist wohlbekannt. [2] Die frühneuzeitliche Kanonisierung und Regulierung der Säulenordnungen bzw. der Architekturtheorie orientierte sich hingegen an dem einzigen aus der Antike überlieferten Traktat zu diesem Thema, Vitruvs "De architectura libri decem". [3] Doch auch Plinius nimmt - wenn auch nicht mit der theoretischen Konsequenz und Programmatik eines Vitruv - in der "Historia Naturalis" die antike griechische und römische Architektur in den Blick und liefert wertvolle Beobachtungen, die von den neuzeitlichen Architekturtheoretikern nicht unbemerkt geblieben waren. Eine Gesamtuntersuchung zu diesem Thema stellte ein dringendes Desideratum der Forschung dar. Peter Fane-Saunders ist es zu verdanken, dass diese Lücke nun endlich ausgefüllt worden ist.
Der erste Teil der in drei Abschnitten und vierzehn Kapiteln gegliederten Studie (Kap. 2-5, 25-91) befasst sich zunächst mit der Plinius-Rezeption bei den frühen Humanisten und deren antiquarischen Schriften. Die "Historia Naturalis" wurde laut Autor in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts lediglich als ein enzyklopädisches Werk angesehen, welches Zeugnis von der Vernichtung einst prachtvoller Baudenkmäler der Antike ablegte (Bracciolini, Torcelli). Gelegentlich stand dieses Lamento unter dem Zeichen christlich-katholischer Moralvorstellungen (Biondo). Anerkennung als eine zuverlässige Schriftquelle in Bezug auf die darin überlieferten realtopografischen Details errang die "Naturgeschichte" ab der zweiten Hälfte des Quattrocento erst mit Pomponio Leto. Die relevanten Passagen zur antiken Architektur fanden Eingang in die Rom-Guiden von späteren Antiquaren (Lelio, Fulvio, Marliani), bis die rein architekturtheoretischen Traktate von Serlio, Ligorio und Palladio erneut Zweifel auf die Glaubwürdigkeit der plinianischen Angaben aufkommen ließen.
Der zweite Teil des Buches (Kap. 6-11, 93-226) verfolgt den Nachhall von Plinius' Text in den Architekturtraktaten des 15. und 16. Jahrhunderts. Der Autor konstatiert dabei zwei zum Teil parallelverlaufende Traditionen. Für Alberti, Filarete und den anonymen Autor der "Hypnerotomachia Polifili" lieferten die plinianischen Beschreibungen von antiken architektonischen Wundern den Beleg für ein lobenswertes aber irreversibel verloren gegangenes Kunstideal. Auf den Versuch, die Fakten von Plinius mit realen Ruinen in Verbindung zu setzen, wurde dabei verzichtet. Francesco di Giorgio Martini und Ermolao Barbaro erkannten auf der anderen Seite in Plinius einen Experten im Bereich der Architektur, dessen Autorität in architekturtheoretischen Fragen als gleichbedeutend neben derjenigen Vitruvs einzuschätzen sei, zumal er - wie im Falle der "attischen Säule" - Fachbegriffe überlieferte, die bei Vitruv selbst nicht auftauchten. Während Cesariano, der Übersetzer und Kommentator Vitruvs und Verehrer Plinius', die beiden Traditionen zu kombinieren suchte, gingen Daniele Barbaro und Andrea Palladio der Frage von Plinius' Glaubwürdigkeit mit größerer Skepsis nach.
Im faszinierendsten dritten Teil der Untersuchung (Kap. 12-14, 227-311) unternimmt Fane-Saunders anschließend den Versuch, den Bogen von der Theorie zur Praxis zu spannen, indem er Phänomene der Fixierung in Papier bzw. Verwirklichung in Stein der bei Plinius erwähnten antiken Baudenkmäler eingehend analysiert.
Absolut richtig liegt meines Erachtens der Autor in seiner Einschätzung, dass Ciriaco d'Ancona (1391-1452) eine Schlüsselrolle bei einem neuen, unbefangenen, visuellen Umgang mit dem plinianischen Material zukommt (Kap. 12, 229-244). Der Kaufmann aus den Marken war in der Tat der erste, der die bei Plinius beschriebenen Architekturrelikte im östlichen Mittelmeer (Parthenon, Zeus/Proseprina-Tempel in Cyzicus) nicht nur schriftlich, sondern auch bildlich durch vor Ort entstandenen Skizzen dokumentierte. [4]
Ganz wichtig für die Plinius-Rezeption des 16. Jahrhunderts sind außerdem die mit römischem Formengut infiltrierten Rekonstruktionen von plinianischen "opera mirabilia in terris" von der "setta sangallesca" (Kap. 13, 245-280). Zusätzlich zu den hier von Fane-Saunders vorzüglich analysierten Architekturstudien Antonio da Sangallos des Jüngeren zum Grab des Lars Porsenna, zum Diana-Tempel in Ephesos und zum Mausoleum von Halikarnass, wäre die vom Autor nicht in Betracht gezogene Zeichnung U 1218A zur Kenntnis zu nehmen. Dort wird den Studien zum Treppenaufsatz des Podiums des Antoninus-Faustina-Tempels eine schematische perspektivische Darstellung des Podiums des Cyzikus-Tempels gegenübergestellt. Die Skizze liefert ein Indiz dafür, dass Sangallo sich auch mit diesem "Wunder" der antiken Architektur in seinen Architekturstudien auseinandergesetzt hatte. [5]
Lediglich im anschließenden letzten Kapitel, wo der Autor für den (in)direkten Einfluss von den Rekonstruktionen im Sangallo-Kreis der plinianischen "Wunder" auf eine Reihe von neuzeitlichen Skulptur- bzw. Architekturprojekten plädiert, wirkt die Argumentation an manchen Stellen wackelig, zumal "Pliny's name is never mentioned in documents relating to specific commissions" (303). In diesem Sinne mit Verweis auf die (zum Teil marginale) Präsenz des Motivs der abgestuften Pyramide mit oder ohne Kugelbekrönung in einer Reihe von norditalienischen Privatgrabmälern aus der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts eine durch Sangallos Architekturstudien vermittelte Plinius-Rezeption vorauszusetzen, wirkt nicht immer überzeugend, zumal das Motiv der Pyramide bzw. des Obelisken mit Kugelbekrönung in Italien omnipräsent war.
Insgesamt gesehen, lässt sich feststellen, dass Fane-Saunders sein heterogenes Material mit großer Kompetenz beherrscht; und dies obwohl die Untersuchung eine weite chronologische Spanne umfasst und profunde Kenntnisse in unterschiedlichen Forschungskomplexen erfordert. Zeugnis davon sind der üppige Anmerkungsapparat und die umfangreiche Bibliografie, welche unter anderem auch die wichtigste deutschsprachige Literatur zum Thema berücksichtigt - bei englischsprachigen Studien nicht immer eine Selbstverständlichkeit. Der Autor ist sich der Gefahr bewusst, der Resonanz des plinianischen Textes in der neuzeitlichen Architekturtheorie eine höhere Bedeutung als die angemessene zuzusprechen und gelangt zu abgewogenen, differenzierten Erkenntnissen, welche in einem zusammenfassenden Kapitel (312-322) in abgerundeter Form präsentiert werden. Alles in allem stellt Fane-Saunders' glänzende Untersuchung einen Meilenstein innerhalb der Plinius-Studien dar, bietet neue Denkanstöße und wird sicherlich viele neue Wege in der Forschung anregen.
Anmerkungen:
[1] Sarah Blake McHam: Pliny and the Artistic Culture of the Italian Renaissance. The Legacy of the Natural History, New Haven / London 2013.
[2] Zu den sozialgeschichtlichen Aspekten immer noch aktuell Ernst Kris / Otto Kurz: Die Legende vom Künstler, Frankfurt am Main 1980.
[3] Dazu Pier Nicola Pagliara: "Vitruvio da testo a canone", in: Memoria dell'antico nell'arte italiana, III, Turin 1986, 3-8.
[4] Michail Chatzidakis: Ciriaco d'Ancona und die Wiederentdeckung Griechenlands im 15. Jahrhundert, Petersberg 2017, insb. 11-26 und 150-161.
[5] Zu der Zeichnung siehe http://www.census.de, ID 10072717.
Michail Chatzidakis