Rezension über:

Lutz Maeke: DDR und PLO. Die Palästinapolitik des SED-Staates (= Studien zur Zeitgeschichte; Bd. 92), Berlin / Boston: De Gruyter Oldenbourg 2017, X + 549 S., ISBN 978-3-11-054789-4, EUR 79,95
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Rezension von:
Lorena De Vita
Universiteit Utrecht
Redaktionelle Betreuung:
Peter Helmberger
Empfohlene Zitierweise:
Lorena De Vita: Rezension von: Lutz Maeke: DDR und PLO. Die Palästinapolitik des SED-Staates, Berlin / Boston: De Gruyter Oldenbourg 2017, in: sehepunkte 18 (2018), Nr. 4 [15.04.2018], URL: https://www.sehepunkte.de
/2018/04/31011.html


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Lutz Maeke: DDR und PLO

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Das Thema ostdeutscher und palästinensischer Beziehungen hat für geraume Zeit nur geringe wissenschaftliche Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Hermann Wentker betonte, dass das gesamte Thema ostdeutscher Auslandsbeziehungen in den Jahren des Kalten Krieges generell ignoriert wurde aufgrund der weit verbreiteten Überzeugung, dass der internationale Spielraum der DDR derart begrenzt war, dass es wenig Sinn ergab, sich darauf zu konzentrieren. [1] Erst nach dem Ende des Kalten Krieges erschienen die ersten wissenschaftlichen Studien zu diesem Thema. In den letzten Jahren hat das wissenschaftliche Interesse an den ostdeutschen und nahöstlichen Beziehungen deutlich zugenommen. Doch die große Mehrheit der Studien, die sich mit der Frage der ostdeutschen Unterstützung für die Palästinenser befasst, behandelt inhaltlich meist das "gestörte Verhältnis" der DDR zu Israel oder das umfassende Thema der ostdeutschen Versuche, die 'Dritte-Welt'-Länder während der Konfrontation im Kalten Krieg zu erreichen. [2] Daher stellt diese Monografie bewusst einen Aspekt in den Mittelpunkt, der bisher nur spärlich behandelt wurde: das sich entwickelnde Verhältnis zwischen dem SED-Regime und der PLO vom Jahr der Gründung der DDR 1949 bis zum Jahr ihres Zusammenbruchs 1990.

Die Monografie widmet sich vergleichsweise wenig der antizionistischen, manchmal auch antisemitischen Haltung Ostdeutschlands über vierzig Jahre. Dies ist problematisch, da der, wie Jeffrey Herf es ausdrückte, "nicht erklärte Krieg gegen Israel", ein entscheidender Teil der ostdeutschen Strategie hinsichtlich der Länder der Region (und auch darüber hinaus, der Länder der 'Dritten Welt') war und daher mehr Aufmerksamkeit und Raum in diesem Buch verdient hätte. Maekes Band untersucht vierzig Jahre ostdeutscher Beziehungen zur PLO, indem er die Bedeutung der Fatah innerhalb der PLO-Machtstrukturen besonders betont; indem er die regionale, politische Dynamik hervorhebt; und indem er gebührend auf die Tatsache eingeht, dass Arafat gleichzeitig verschiedene politische Ziele in West- und Ostdeutschland verfolgte. Das Buch gliedert sich in drei Teile: Der erste deckt den Zeitraum bis 1972 ab; der zweite befasst sich mit dem Zeitabschnitt 1972/1973 bis 1978 und der dritte analysiert die Jahre bis zum Fall der Berliner Mauer und dem folgenden Zusammenbruch des ostdeutschen Staates (1990). Maeke argumentiert hierbei, dass das Verhältnis zwischen dem ostdeutschen Regime und der PLO viel angespannter und komplizierter war als bisher angenommen wurde.

Jeder Teil des Buches besteht aus drei (A und B) bis vier (C) thematischen Kapiteln, die sich jeweils auf spezifische politische Fragen oder politische Beziehungen konzentrieren. Teil A erläutert, wie spät die DDR in das pro-palästinensische, geopolitische Spiel einstieg. Während Westdeutschland 1952 begann, palästinensische Flüchtlinge finanziell zu unterstützen, indem es Gelder an die UNRWA gab, verkündete Walter Ulbricht als erster ostdeutscher Vertreter die Anerkennung der Rechte des "palästinensischen Volkes" erst 1965 bei einem nicht allzu gelungenen Versuch, seinen ägyptischen Gastgeber, Gamal Abdel Nasser, zu beeindrucken. [3] Die erste klare ostdeutsche Formulierung der politischen Ziele in Bezug auf Palästina wurde erst 1970 in einem Dokument des Politbüros skizziert. Im Kern umfasste dieses Dokument eine ostdeutsche Haltung, die ausgesprochen anti-Fatah war, da das SED-Regime und seine Vertreter sie als bürgerlich, reaktionär und stark von Sympathien der Islamisten und der Muslimbruderschaft geprägt betrachteten. Dieses angeblich ideologische Motiv für die ostdeutsche Antipathie gegenüber der Fatah wurde durch praktische, politische Gründe noch verstärkt, da die Organisation erfolgreich versucht hatte, mit Ländern des Westens, einschließlich der Bundesrepublik, wo die Fatah bereits 1968 ein Büro eingerichtet hatte, zu interagieren. Diese Anti-Fatah-Haltung wurde in ostdeutsche Unterstützung für andere palästinensische Fraktionen, insbesondere die Demokratische Front zur Befreiung Palästinas (DFLP), die Volksfront zur Befreiung Palästinas (PFLP) und die Saiqa (Blitzschlag) übertragen, die sich im Laufe der Zeit unter dem Dachverband der PLO wiederfanden. Wie im Teil B des Buches deutlich wird, hatte diese ostdeutsche Haltung gegenüber den palästinensischen Fraktionen auch Auswirkungen auf Ostberlins Nahostpolitik. Als daher das syrische Regime von Hafez al-Assad im libanesischen Bürgerkrieg intensiv gegen Arafats PLO kämpfte, sandte die DDR enorme finanzielle und militärische Unterstützung an Arafats damaligen Erzfeind. Teil C beschreibt, wie die Unterstützung für andere palästinensische Gruppierungen als die Fatah ab 1980 deutlich zunahm, besonders zwischen 1982 und 1986, als sich die Unterstützung der DDR auf weitere radikale Terrorgruppen einschließlich der von Abu Nidal ausdehnte. Trotz eines Rückgangs der Anti-Fatah-Aktivitäten nach 1986 war, laut Maeke, die Beziehung zwischen der SED und der PLO-Führung nie wirklich herzlich.

Maekes wissenschaftlicher Beitrag liegt besonders in der Betonung der Komplexität des innenpolitischen, regionalen und internationalen politischen Kontextes in den vier untersuchten Jahrzehnten. Anhand einer Auswertung der internationalen Forschung, hebt Maeke besonders hervor, dass das palästinensische politische Lager zutiefst zersplittert war; dass der arabische Nahe Osten durch tiefe Feindseligkeiten und schwankende politische Beziehungen gekennzeichnet war; dass verschiedene Länder des Ostblocks unterschiedliche Interessen in der Region verfolgten oder dies zumindest versuchten; und dass hinter der Fassade der scheinbar kohärenten und energischen Unterstützung der SED-Staaten für die Palästinenser tatsächlich eine ziemlich schwankende Treue zu verschiedenen palästinensischen Splittergruppen lag, von denen Fatah die am wenigsten beliebte war.

Das Buch spricht außerdem weitere wichtige Punkte in der Geschichte der ostdeutschen Außenbeziehungen an, trotz der Fokussierung auf die PLO. Zu allererst, die relativ unbedeutende Rolle des ostdeutschen Außenministeriums bei der Festlegung des außenpolitischen Kurses und diesbezüglich die Bedeutung des Auslandsnachrichtendienstes (5). Zweitens, die komplexe Beziehung zwischen Moskau, Ost-Berlin und anderen sowjetischen Satellitenstaaten. Es ist in der Tat interessant zu sehen, wie Länder wie Polen, Bulgarien und Ungarn viel mehr daran interessiert waren, der Ostberliner und nicht der Moskauer Nahostpolitik zu folgen, obgleich sie sich letztendlich alle an die Linie des Kremls hielten (6). Da der Autor sich entschieden hat, einen Fokus auf die palästinensische Seite in den Beziehungen zwischen der DDR und der PLO zu legen, ist es verwunderlich, dass der Autor sich nicht mit den Dokumenten des PLO-Archivs in Beirut befasst hat. Diese Quellen haben vor Kurzem zu anderen prominenten Studien über die Politik der PLO beigetragen, wie zum Beispiel Paul Chamberlins wissenschaftliche Einzeldarstellung über die "globale Offensive" der PLO für internationale Anerkennung. [4] Wegen der Tiefe und Breite von Maekes Analyse ist es bedauerlich, dass der Inhalt von Arafats angeblich neunzehnbändigen Tagebuch nach wie vor unzugänglich bleibt. [5] Nichtsdestotrotz ist Maekes Auseinandersetzung mit der ostdeutschen Haltung gegenüber der PLO und anderen palästinensischen politischen Gruppierungen zwischen 1949 und 1990 insgesamt ein interessantes und gründliches Werk, das zu anregenden Diskussionen in der wissenschaftlichen Welt führen wird.


Anmerkungen:

[1] Hermann Wentker: Außenpolitik in engen Grenzen. Die DDR im internationalen System 1949-1989, München 2007, 10ff.

[2] Siehe z.B. Angelika Timm: Hammer, Zirkel, Davidstern. Das gestörte Verhältnis der DDR zu Zionismus und Staat Israel, Bonn 1997; Stefan Meining: Kommunistische Judenpolitik: die DDR, die Juden und Israel, Münster 2002; Jeffrey Herf: Undeclared Wars with Israel: East Germany and the West German Far Left, 1967-1989, New York 2016.

[3] Obwohl siehe auch die Dokumentation in: Politisches Archiv des Auswärtigen Amtes: Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten der DDR, A 12.740: 'Palästinafrage; Juni 1958-Mai 1962' erläutert in den Kapiteln 1 und 2 der Monografie.

[4] Paul Chamberlin: The Global Offensive: The United States, the Palestine Liberation Organization, and the Making of the Post-Cold War Order, New York 2015.

[5] L'Espresso, 'L'Espresso reveals the secret diaries of Arafat', accessible at: http://espresso.repubblica.it/internazionale/2018/02/02/news/l-espresso-reveals-the-secret-diaries-of-arafat-1.317895 (Last access: 10.03.2018).

Lorena De Vita