Isabella Lazzarini / Armando Miranda / Francesco Senatore (a cura di): Istituzioni, scritture, contabilità. Il caso molisano nell'Italia tardomedievale (= I libri di Viella; 259), Roma: Viella 2017, 368 S., zahlr. Abb., ISBN 978-88-6728-831-1, EUR 38,00
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Der anzuzeigende Band reiht sich ein in die Studien zur pragmatischen Schriftlichkeit und bereichert sie um die Perspektive auf Süditalien. Die Verwaltungsdokumente, die auf den Zusammenhang zwischen Schrift- und Herrschaftspraktiken hin untersucht werden, stammen also nicht, wie sonst so oft in der pragmatischen Schriftlichkeitsforschung, aus den Kommunen Norditaliens, sondern aus den feudal organisierten Regionen des Südens, der im späten Mittelalter zum Königreich Neapel gehörte. Als Fluchtpunkt fast aller Studien fungiert deshalb die Verwaltung des Königs von Neapel, deren Praktiken und Dokumenttypen die Arbeit der lokalen Verwaltungen beeinflussten. Diese Perspektive mag beeinflusst sein von der Überlieferungssituation: Die meisten Studien arbeiten auf Grundlage von Archivalien aus dem Staatsarchiv Neapel. Dessen Quellenbestände will der Sammelband vorstellen und mit anderen Funden verknüpfen, um das Interesse der Forschung auf Süditalien zu lenken.
Diese doppelte Zielsetzung - die Präsentation süditalienischer Quellen und ihre Verankerung in der Forschung zur pragmatischen Schriftlichkeit - geht der Band auf drei Ebenen an: Auf vier Lokalstudien zur Region Molise folgen fünf Beiträge zur Verwaltungsgeschichte im Königreich Neapel. Vier vergleichbare Fälle aus dem Rest Italiens runden den Band ab. Erst eine Betrachtung auf allen drei Ebenen, so argumentieren die Herausgeberinnen, würde es erlauben, die Zusammenhänge zwischen Schriftlichkeit und Regierungskultur zu ergründen, da die drei Ebenen sich gegenseitig beeinflussten. Das klingt verheißungsvoll, aber leider wird die Syntheseleistung, die drei Ebenen miteinander zu verbinden, der Leserin selbst überlassen.
Dass gerade die Region Molise die Lokalstudien des ersten Teils liefert, ergab sich offenbar daraus, dass einer der Herausgeber (Armando Miranda) ein Forschungsprojekt bearbeitet, das die Quellen aus dem Staatsarchiv Neapel erschließt, die für die Geschichte von Molise von Interesse sind. Weitere Begründungen, warum sich die Leserin gerade für diese Region Italiens interessieren sollte, die zudem in dieser Form erst seit 1963 existiert, geben die Beiträge nicht an. Serena Morelli versucht anhand eines Steuerverzeichnisses von 1320, die Ursprünge der heutigen Region, ihre Organisationsform und Bevölkerungszahlen zu erschließen. Miranda stellt zwei Quellenserien vor, die sich auf das heutige Molise beziehen lassen, nämlich die Carte Aragonesi vari, die verschiedene Kanzleidokumente vereint, und die Antwortschreiben des königlichen Schatzamts. Bruno Figliuolo arbeitet die Beziehungen zwischen Kommunen, Adligen und König heraus. Zwar stützte sich der König auf die Feudalherren, die zum Beispiel Abgaben für ihn einzogen, untergrub ihre Machtposition aber bisweilen zugleich, etwa indem er Kommunen Abgabenerleichterungen gewährte. Einer dieser feudalen Familien, den Orsini, wendet sich Lorenzo Iannacci zu: Die Orsini sicherten ihre Herrschaft insbesondere mit Hilfe ihres bürokratischen Apparats, der ihre Titel und Rechte sicherte, so argumentiert Iannacci in bester pragmatischer Schriftlichkeitstradition. Höhere Komplexität erreicht die Auseinandersetzung mit den Thesen dieser Forschungsrichtung im ersten Teil nicht.
Die Beiträge des zweiten Teils setzen sich mit dem Zusammenhang zwischen Buchhaltungs- und Machtpraktiken expliziter auseinander, weisen allerdings wiederum keinen Bezug mehr zu den Lokalstudien aus Molise auf. Francesco Senatore analysiert, dass die Suppliken an den König nicht nur als Herrschaftsinstrument angesehen werden können, sondern dass sie geradezu selbst herrschten: Ihre stark regulierte und konstante Form prägte die lokalen Verwaltungen, die sich in Reaktion auf die steigenden Anforderungen der königlichen Administration veränderten. Die Schriftstücke aus der königlichen Verwaltung seien oftmals die einzigen Dokumente gewesen, die die lokalen Verwalter kannten, so Senatore, die königliche Verwaltung habe die lokalen Eliten gleichsam literarisiert. Auch Enza Russo betont den Einfluss der königlichen Verwaltung: Die Abrechnungspraxis des Hofs habe diejenige der Städte und Feudalpatrimonien geprägt. Wer sich an der königlichen Verwaltung orientierte, konnte selbst ein Herrschaftsgebiet aufbauen, so berichtet Rosanna Alaggio über die Fürsten von Taranto. Das Schriftgut kleinerer Gemeinschaften in den Abruzzen hingegen, so Francesco Mottola, konnte es mit der Systematik und Archivierung des königlichen Archivs nicht aufnehmen. Die Beiträge folgen also einer eher traditionellen Interpretation der Verwaltungsgeschichte: Die höhergestellte Verwaltung prägte die niedrigere. Klare Kriterien, wie z. B. ein systematisches Archiv, werden an alle Verwaltungen angelegt, ohne zu fragen, ob sich das für die kleineren Gemeinschaften überhaupt gelohnt hätte. Ein Gegengewicht bildet Pierluigi Terenzis Beitrag, der Ratsprotokolle aus Asti und Entschlussregister von Bürgerversammlungen aus L'Aquila vorstellt. Die königliche Verwaltung habe diese Dokumente kaum beeinflussen können. Stattdessen betont er, wie diese kommunalen Formen der "Grenzschriftlichkeit" (scitture di confine) die politische Kultur Süditaliens ebenfalls geprägt hätten.
Der dritte Teil des Bandes liefert weitere Fallstudien aus dem übrigen Italien, ohne sie mit dem Rest des Buchs zu verklammern. Die Beiträge formulieren keine Thesen über Verwaltungsentwicklung, die verschiedene Regionen umfassen könnten. Der Zusammenhang zwischen Herrschafts- und Schriftlichkeitspraktiken wird noch stärker als im zweiten Teil herausgearbeitet. So analysiert Alessandro Silvestri, welche neuen Verwaltungsinstrumente die Krone Aragon erfand, um Sizilien aus der Ferne regieren zu können. Lorenzo Taranzini untersucht ein Herrschaftsinstrument, mit dem die Stadt Florenz ihre Territorien regierte, nämlich die Briefe. Deren unterschiedlicher Tonfall zeigt zwei Herrschaftsstile: Briefe an die florentinischen Offiziellen vor Ort bedienten sich eines Vokabulars des Vertrauens, wohingegen Briefe an die untergebenen Gemeinschaften in Befehlssprache verfasst waren. Die d'Este in Ferrara stützten ihre Regierung vor allem auf ihre Rechnungskammer, so Isabella Lazzarini. Die Rechnungskammer fundierte das Patronagenetzwerk und den Hof der d'Este und fungierte als buchhalterisches Gedächtnis des Fürstentums. Armand Jamme beschreibt, wie sich die Verwaltung des Kirchenstaats im 13./14. Jahrhundert zentralisierte, bis das Schisma von 1378 dem Prozess ein Ende setzte.
Auch wenn die drei Teile etwas unverbunden nebeneinanderstehen, bleibt doch positiv hervorzuheben, dass der Band den Fokus der pragmatischen Schriftlichkeitsforschung auf feudale Regime und den Süden Europas lenkt. Die meisten Beiträge beschäftigen sich vorrangig mit Herrschaftspraktiken, gehen jedoch mindestens nebenbei auch auf die Arbeitsweise von Verwaltungen ein. Dabei betonen sie die Wichtigkeit von Erfahrungslernen, Imitationen, von Veränderungsprozessen, die aus der praktischen Arbeit resultieren und nicht immer zentral gesteuert werden. Hier lassen sich interessante Ähnlichkeiten zu den Studien über Verwaltungen aus anderen Herrschaftsformen und aus anderen Teilen Europas erkennen, die hoffentlich zu vergleichenden Studien anregen. Der Band von Lazzarini et al. macht deutlich, dass die süditalienischen Archive ausreichendes Material für einen solchen Vergleich beisteuern können.
Ulla Kypta