Richard W. Kaeuper: Medieval Chivalry (= Cambridge Medieval Textbooks), Cambridge: Cambridge University Press 2016, XVI + 426 S., 13 s/w-Abb., ISBN 978-0-521-13795-9, GBP 19,99
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Das Rittertum ist eines der bekanntesten, wenn nicht sogar das bekannteste Phänomen, welches das Mittelalter hervorgebracht hat. Es erscheint gleichzeitig omnipräsent und schwer greifbar, entzieht es sich doch seit Beginn seiner Erforschung jedem Versuch klarer Definitionen und Abgrenzungen. Nun hat sich der amerikanische Historiker Richard Kaeuper, der bereits eine Vielzahl von Publikationen zum Thema vorweisen kann, der schwierigen Aufgabe angenommen, einen Gesamtüberblick des mittelalterlichen Rittertums vorzulegen. Selbstverständlich ist er bei weitem nicht der Erste, der diesen Versuch unternimmt. Das Standardwerk von Maurice Keen ist weiterhin allgemein anerkannt, mittlerweile aber auch deutlich in die Jahre gekommen. [1] Gute Voraussetzungen also, um endlich einen potenziellen Nachfolger vorzulegen.
Kaeupers Begeisterung für das Thema ist das gesamte Buch hindurch spürbar. Bereits der ungewöhnliche Titel seines einleitenden Kapitels - "An approach to chivalry: was it real and practical?" - zeigt, dass es ihm darum geht, die Lebenswirklichkeit des Rittertums und seiner Ideale in den Vordergrund zu stellen. Zu diesem Zweck greift er im Laufe seiner Darstellung unter anderem immer wieder auf fünf "model knights" (William Marshal, Robert Bruce, Geoffroi de Charny, Don Pero Niño, Thomas Malory) zurück, deren Lebenswege relativ gut nachvollziehbar sind und die er einleitend kurz vorstellt. Leider lässt der Autor es später gelegentlich an Quellenkritik fehlen, wenn er die zeitgenössischen Lebensbeschreibungen dieser Musterritter heranzieht, um bestimmte Aspekte des Rittertums zu illustrieren.
Nach der ausgiebigen Einleitung folgt ein Abriss der Geschichte des Rittertums über fast 100 Seiten, der größtenteils den bekannten Bahnen folgt. In der ersten Phase, von der Karolingerzeit bis zur Mitte des 11. Jahrhunderts, lässt sich noch kein rangübergreifendes Kriegerethos ausmachen. Der Begriff des miles war rein an die militärische Funktion des Reiterkriegers gekoppelt und wurde noch nicht vom Adel als Selbstbezeichnung verwendet. Dies änderte sich in der zweiten Phase, die Kaeuper bis zum Ende des 13. Jahrhunderts andauern lässt. In dieser Zeit bildete sich das Rittertum als elitäre Kriegergemeinschaft heraus, die nun auch hochrangige Personen bis hin zu Königen und Kaisern einschloss. Diese Gemeinschaft entwickelte schnell eine eigene Ideologie, die etwa in der aufkommenden höfischen Literatur verbreitet, diskutiert und weiterentwickelt wurde. Die letzte Phase, während des 14. und 15. Jahrhunderts, sieht Kaeuper charakterisiert durch eine zunehmend strenge Abgrenzung des Rittertums nach unten und gleichzeitig eine zunehmende Übernahme ritterlicher Ideale durch breitere Gesellschaftsschichten, insbesondere das Bürgertum. Zudem widerspricht er deutlich der traditionellen Ansicht, das Rittertum sei im Spätmittelalter militärisch bedeutungslos geworden. (133f.)
Nach diesem gelungenen Überblick widmet sich Kaeuper in drei großen Kapiteln (Gewalt, Verhältnis zu Institutionen, Emotionen) diversen Themen, die das Rittertum und das Ritterethos betreffen und hier nicht im Einzelnen betrachtet werden können. Gerade der letzte Abschnitt zu ritterlichen Emotionen schneidet Aspekte an, die sich in älteren Werken nicht finden, wie etwa Formen der Liebe zwischen Männern oder negative Gefühlsregungen wie Hass, Wut und Rachsucht. Manches klassische Thema, z. B. die Heraldik, wird dagegen nicht gesondert angesprochen.
Von der ersten bis zur letzten Seite zeigt sich Kaeupers eingangs angesprochenes Anliegen, das Rittertum als ein Phänomen begreifbar zu machen, das über Jahrhunderte hinweg auf sehr reale Weise das Leben einer Vielzahl von Menschen bestimmt hat - nicht auf starre und fremdbestimmte Weise, sondern pragmatisch, eigenständig und flexibel. Im Zusammenhang mit diesem Anliegen wendet er sich im Laufe des Buches immer wieder gegen zwei Sichtweisen auf das Rittertum, die er für grundlegend falsch hält: Zum einen gegen eine romantische Verklärung, die in der Tradition des 19. Jahrhunderts steht, zum anderen gegen einen modernen Zynismus, der die Existenz ritterlicher Ideale bzw. deren Anwendung infrage stellt. So zeigt er deutlich, dass Ritter im Allgemeinen wenig altruistisch handelten und ein hohes Maß an Gewaltbereitschaft an den Tag legten, insbesondere gegen Personen, die gesellschaftlich unter ihnen standen. Andererseits gesteht er ihnen gleichzeitig ein hohes Maß an Religiosität zu, wenn auch in einer teils sehr eigenständigen Auslegung, die - von den Kreuzzügen einmal abgesehen - häufig von kirchlichen Richtlinien abwich.
Die einzelnen Kapitel bieten dabei ein Maß an Tiefe und Informationsreichtum, die anderen Überblickswerken zum Thema fehlt. Dies gilt insbesondere für die Aspekte, bei denen sich Kaeuper auf seine eigenen Publikationen stützen kann, etwa in den Kapiteln zum Verhältnis von Rittertum und Religion, die stark auf seinem Buch "Holy Warriors" [2] basieren. Auch die Ergebnisse anderer führender Forscher wie John Gillingham oder Matthew Strickland fließen immer wieder ausgiebig in die Darstellung ein. Dies macht die Lektüre nicht nur ausgesprochen informativ, sondern erschließt dem Leser auch eine große Menge weiterführender aktueller Sekundärliteratur, zumal das Buch dankenswerterweise Fußnoten statt Endnoten verwendet.
Einschränkend muss dabei aber bemerkt werden, dass es in erster Linie die englischsprachige Forschung ist, die hier herangezogen wird. Französische und deutsche Titel werden nur selten genannt. Kaeuper ist bemüht, den Fokus auf das mittelalterliche England, der bei angloamerikanischen Studien oft vorherrscht, möglichst aufzubrechen, was aber nur teilweise gelingt. Ein großer Teil der Personen, Ereignisse und Quellen, die zur Veranschaulichung einzelner Phänomene herangezogen werden, stammen aus dem Kontext des Hundertjährigen Krieges. Insgesamt wird hauptsächlich das englische und französische Rittertum betrachtet, mit einigen Seitenblicken nach Spanien und ins Reich. Andere Regionen, wie etwa Italien oder Osteuropa, fehlen fast vollständig.
Letztlich ruft Kaeuper in seinem Schlusskapitel dazu auf, die Unschärfen und Widersprüche, welche sich bei der Betrachtung des Rittertums auftun, als diesem inhärent anzusehen und zu akzeptieren. Was das Rittertum war, wer ihm angehörte und wie diese Personen zu handeln hätten, sei bereits unter den Zeitgenossen umstritten gewesen. (385) Den damit einhergehenden Facettenreichtum des Phänomens sowie seine Konflikte und Kooperationen mit Königtum und Kirche fasst der Autor hier noch einmal knapp zusammen. Zudem weist er erneut auf die große Bedeutung hin, die das Rittertum und seine verschiedenen Ideale als Richtschnur für das Handeln derjenigen hatte, die sich daran gebunden fühlten.
Diese ständige Rückkopplung des abstrakten und enorm variablen Ritterethos an die Lebenswirklichkeit der Zeitgenossen ist eine der großen Stärken von Kaeupers Werk. Das Buch revolutioniert den Blick auf das mittelalterliche Rittertum zwar nicht, liefert aber einen umfassenden und gut lesbaren Überblick dieses komplexen Themas und bringt dem Leser anschaulich und schwungvoll die grundlegenden Erkenntnisse der (englischsprachigen) Forschung der letzten Jahrzehnte näher. Da es damit deutlich aktueller und zudem auch noch um gute 100 Seiten dicker ist, wird es wohl auf längere Sicht zurecht die Überblicksdarstellung von Maurice Keen als Standardwerk ablösen.
Anmerkungen:
[1] Maurice Keen: Chivalry, New Haven 1984.
[2] Richard W. Kaeuper: Holy Warriors: The Religious Ideology of Chivalry, Philadelphia 2009.
Fabian Fellersmann