Nikolaus Jaspert / Stefan Tebruck (Hgg.): Die Kreuzzugsbewegung im römisch-deutschen Reich (11.-13. Jahrhundert), Ostfildern: Thorbecke 2016, VII + 375 S., 37 Abb., ISBN 978-3-7995-0383-9, EUR 39,00
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Unser Bild der Beziehungen des römisch-deutschen Reichs zu den Kreuzzügen ist weitgehend von der teils treibenden und teils passiven Rolle der Stauferherrscher sowie den diversen Papst-Kaiser Konflikten seit der Zeit des Investiturstreites geprägt. Zurecht verweisen die Herausgeber des vorliegenden Bandes in ihrer Einleitung (1-12) auf den Umstand, dass strukturelle Themenfelder wie etwa die Breitenwirkung der Kreuzzüge auf den Adel und andere soziale Schichten, die personelle und institutionelle Verankerung der Ritterorden, das Pilgerwesen, Kreuzzugspropaganda und mit Jerusalem verknüpfte Frömmigkeitspraktiken in der Forschung weit weniger Aufmerksamkeit gefunden haben. Eine im Juni 2012 in Gießen abgehaltene Tagung bildete den Ausgangspunkt für die 15 breit angelegten und reich dokumentierten Beiträge dieses Bandes. Sie enthalten alle eine ausführliche Diskussion des Forschungsstands und quellenkritischer Probleme, zeichnen längere Entwicklungen vornehmlich im 12. und 13. Jahrhundert nach und bieten einen nützlichen Leitfaden für weitere Forschungen. Trotz der inhaltlichen Breite ist es den Herausgebern gut gelungen, eine einheitliche Konzeption zu wahren und übergreifende Fragestellungen zur Geltung zu bringen.
Eine erste thematische Einheit widmet sich Kreuzfahrern in verschiedenen Regionen des Reiches, wobei der Nordwesten, d. h. die Kölner Kirchenprovinz und das Bistum Minden (Alexander Berner, 13-40), der sächsisch-thüringische Raum (Stefan Tebruck, 41-83) sowie der Südwesten, d. h. Franken, Schwaben und das Elsass (Alan V. Murray, 85-102), ausgewählt wurden. Die Ausgangsbasis dieser Untersuchungen bildet noch immer R. Röhrichts Katalog zu den Deutschen im Heiligen Land, doch wird dieser stets ergänzt und berichtigt. In allen hier diskutierten Regionen weisen die Verfasser eine enge Verbindung zwischen den Kreuzfahrten einzelner Adelsgruppen und politischen Verhältnissen, vor allem den persönlichen Beziehungen zur Stauferdynastie bzw. deren Vernetzung in diversen Gebieten des Reichs nach. Hinzu kommen die führende Rolle kirchlicher und weltlicher Würdenträger, erfolgreiche Prediger und persönliche Motive der Teilnehmer. Zu bedauern ist, dass der mit der Kreuzzugsbewegung vielfach eng verknüpfte bayerisch-österreichische Raum unbeachtet bleibt, während Sachsen aufgrund seiner Orientierung zum Baltikum nicht sehr repräsentativ für die Beziehungen zu den Kreuzfahrerstaaten ist. Hubert Houben (103-118) widmet sich den Beziehungen deutscher Pilger und Kreuzfahrer zu Kirchen und Hospitälern in den apulischen Städten Bari, Brindisi und Barletta. Neben einer gründlichen Diskussion des einschlägigen Urkundenmaterials zeigt der Beitrag vor allem die wichtige Rolle auf, die der Deutsche Orden zeitweise an einer der zentralen Schnittstellen der vom Reich ins östliche Mittelmeer führenden Land- und Seerouten spielte.
Dieses Thema leitet über zu einem weiteren inhaltlichen Schwerpunkt des Bandes, nämlich den Ordensgemeinschaften des Heiligen Landes und deren personelle und institutionelle Verankerung im Reich. Erwartungsgemäß widmet sich je ein Beitrag den Templern (J. Burgtorf, 119-140), den Johannitern (K. Borchardt, 141-154) und dem Deutschen Orden (M.-L. Favreau-Lilie, 155-174). Berücksichtigung findet aber auch der zwar kleinere, für die Jerusalemfrömmigkeit im Reich jedoch sehr einflussreiche Orden vom Heiligen Grab (N. Jaspert, 175-206). Die Quellenlage ist für die vier genannten Fälle sehr unterschiedlich: die Zentral- und Provinzialarchive der Templer sind weitgehend verloren; für die Johanniter und den Deutschen Orden ist die Überlieferung sehr dicht; die Sepulchriner waren auf bestimmte Zentralorte, vor allem das Priorat von Denkendorf, konzentriert, für die sich wiederum eine reiche päpstliche und kaiserliche Urkundentätigkeit nachweisen lässt. Gemeinsame Entwicklungslinien und Faktoren in der Ausgestaltung der jeweiligen Netzwerke sind dennoch klar erkennbar. Die Fördertätigkeit durch die Stauferkaiser war stets von vorrangiger Bedeutung, wofür die enge Beziehung zwischen Friedrich II. und Hermann von Salza nur ein besonders prominentes Beispiel ist. Alle Orden entfalteten verschiedene Formen institutioneller und persönlicher Präsenz im Reich, wobei die von J. Burgtorf getroffene Unterscheidung zwischen Besitzungen, Niederlassungen und Verwaltungszentren sehr nützlich ist. Nur in letzterem Fall haben wir es mit voll ausgeprägten Kommenden unter der Leitung unterschiedlich bezeichneter Funktionsträger zu tun. Hierarchien und Jurisdiktionsbereiche lassen sich bei den Templern nur schwer rekonstruieren. Bei den Johannitern hingegen sind strukturelle Organisationsformen von Prioraten, Baillien, und Kommenden, Verbindungen zu Spitälern und Pfarreien und die Fördertätigkeit durch bestimmte Familien deutlich erkennbar. Beim Deutschen Orden treten die Privilegierung durch Friedrich II., die Expansion in bestimmten Gebieten des Reichs, der Transfer von Hilfsgeldern zum Haupthaus in Akkon, Krisenerscheinungen in der Zeit des Interregnums und die anfangs recht zögerliche Haltung Rudolfs von Habsburg in den Vordergrund. Für den Heiligkreuzorden lassen sich vier mit Denkendorf locker verbundene regionale Schwerpunkte um bestimmte Zentralorte erkennen. Wichtige fördernde Faktoren waren die Tätigkeit von Geistlichen aus dem Reich und den Kreuzfahrerstaaten sowie bestimmte Attraktoren und Aktanten, wie etwa der enge Bezug zum Ort der Grablege und Auferstehung Christi und Formen der Jerusalem- und Heiliglandfrömmigkeit.
Die Beiträge von Claudia Zey zu päpstlichen Legaten als Kreuzzugswerber (207-233) sowie von Christoph T. Maier zu Propaganda und Diversifikation der Kreuzzüge im 13. Jahrhundert (235-248) behandeln unterschiedliche Aspekte der Rolle des Papsttums bei der Verbreitung und Verfestigung der Kreuzzugsidee im Reich. Die Beziehungen zwischen Papst und Kaiser, die persönlichen Qualitäten einzelner Legaten, und die sich wandelnden Ziele der päpstlichen Politik zwischen Eugen III. und Innozenz III. bestimmten in vielerlei Hinsicht die Art und Weise der päpstlichen Einflussnahme auf die Organisation von Kreuzzügen im Reich. Die verbesserte Quellenlage aufgrund der erhaltenen Papstregister und des reicheren Materials lokaler Archive gestattet eine genauere Durchdringung päpstlicher Propagandastrategien im 13. Jahrhundert. Die Beauftragung der Dominikaner und Franziskaner in den 1230ern durch Papst Gregor IX. stellt einen entscheidenden Schritt in Richtung einer zentral organisierten Steuerung der Kreuzzugspropaganda dar, so dass unterschiedliche Unternehmungen effektiv beworben werden konnten. Schrittweise ergibt sich eine Konzentration auf die Bewerbung der baltischen Kreuzzüge unter der Führung des Deutschen Ordens im Norden des Reichs.
Der letzte Teil des Bandes ist dem Niederschlag der Kreuzzugsbewegung und Jerusalemfrömmigkeit in Literatur, Kunsthandwerk und Architektur gewidmet. Ein stark mit legendären Elementen durchwobener Bericht über den Fall Akkons in der Steirischen Reimchronik bildet eines der ganz wenigen Beispiele für die Thematisierung der Kreuzzüge in der mittelhochdeutschen Geschichtsdichtung (B. Bastert, 249-267). Ein heute in Cleveland befindliches Tafelreliquiar verbindet ein Doppelkreuzfragment aus Jerusalem mit gestalterischen Elementen des Reliquienschatzes, die eine enge Verwandtschaft mit der aus Konstantinopel stammenden Staurothek von Limburg aufweisen (Gia Toussaint, 269-283). Die architektonische Kopie des Heiligen Grabes in der Kapuziner Kirche von Eichstätt, eine Heiliglandkarte aus dem Benediktinerkloster Zwiefalten sowie diverse bildliche Darstellungen des Heiligen Grabes auf Emailleplatten, Reliefs, Fenstern und Handschriften veranschaulichen ein weitverbreitetes Bemühen um die visuelle Vergegenwärtigung des Zentralortes des Heilsgeschehens im Reich (A. Worm, 285-317). Möglichkeiten der architektonischen Adaption der Auferstehungsrotunda und der Grabeskirche entfalteten ein besonders vitale Tradition, die neben Zwecken der Translation Jerusalems in diverse Andachtsstätten des Reichs auch für die Veranschaulichung von Jerusalembezügen in der westlichen Kaiserideologie nutzbar gemacht wurde, wie aus der Hofkapelle zu Aachen oder den Repliken der Pariser Sainte-Chapelle in Prag zu ersehen ist (B. Kühnel, 319-345). Gedanken über Jerusalem im Spiegel der abendländischen Liturgie bringen den Band zum Abschluss (J. Bärsch, 347-359).
Alles in allem vereint der Band erfolgreich verschiedene Disziplinen und ein breites thematisches Spektrum. Einzelne Lücken wie die bereits angesprochene Aussparung des Südostens oder das Fehlen einer Behandlung der im Reich entstandenen lateinischen Geschichtsschreibung sind in derartigen Sammelbänden kaum zu vermeiden. Der Band wird sich zweifelsohne als grundlegendes Standardwerk für weitere Forschungen auf diesem Gebiet etablieren.
Alexander Beihammer