Ferdinand Opll / Heike Krause / Christoph Sonnlechner: Wien als Festungsstadt im 16. Jahrhundert. Zum kartografischen Werk der Mailänder Familie Angielini, Wien: Böhlau 2017, 578 S., 108 Farbabb., ISBN 978-3-205-20210-3, EUR 60,00
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Norbert Spannenberger / Szabolcs Varga (Hgg.): Ein Raum im Wandel. Die osmanisch-habsburgische Grenzregion vom 16. bis zum 18. Jahrhundert, Stuttgart: Franz Steiner Verlag 2014
Susanne Klemm: Straßen für den Steirischen Erzberg. Archäologisch-historische Altstraßenforschung in der Steiermark, 16.-18. Jahrhundert, Münster / Hamburg / Berlin / London: LIT 2011
Ferdinand Opll / Martin Scheutz: Der Schlierbach-Plan des Job Hartmann von Enenkel. Ein Plan der Stadt Wien aus dem frühen 17. Jahrhundert, Wien: Böhlau 2014
Rolf Peter Sieferle: Europe's Special Course. Outline of a research program, Stuttgart: Breuninger Stiftung 2001
Ferdinand Opll / Martin Scheutz: Die Transformation des Wiener Stadtbildes um 1700. Die Vogelschau des Bernhard Georg Andermüller von 1703 und der Stadtplan des Michel Herstal de la Tache von 1695/97, Wien: Böhlau 2018
Wenn zu dem vorliegenden Thema ein stattlich geratenes und solide gestaltetes Werk vorliegt, ist dies kein Zufall, sondern das Ergebnis einer erfolgreichen Zusammenarbeit dreier Disziplinen: der quellengestützten Geschichtsforschung, der Archäologie und der historischen Kartografie, wobei letztere weder nur ein Unterfach der Geografie noch der Kunstgeschichte darstellt, sondern ebenso auch der (Druck)Technikgeschichte und der Distributionsgeschichte. Die Studie gibt auch Auskünfte und Einblicke in Familiengeschichte, in die Geschichte der interregionalen Kulturbeziehungen, in die Archivgeschichte, in die Illustrationsgeschichte ebenso wie in die Bau, Orts- bzw. Stadtgeschichte sowie in die Militärgeschichte.
Auf eine ausgefeilte Einleitung folgt der Blick zunächst auf die aus Mailand stammende Kartografenfamilie Angielini, die im Dienste der Habsburgermonarchie im 16. Jahrhundert tätig wurde. Jene trug zur Verbildlichung des Wiener Raumes namhaft bei, als es darum ging, infolge der Bedrohung durch die Osmanen als Festungsbaumeister bauliche Maßnahmen ins Werk zu setzen und darüber visuelle Spuren anzulegen. Zu den Ausführungen gehören nicht nur biografische Angaben zu dem italienischen "Team", sondern auch Informationen über die Speicherorte, an denen das kartografische Erbe gelagert ist (Wien, Dresden und Karlsruhe). Daran knüpft ein kürzerer Abschnitt mit der Frage an, welcher Raum in den Atlanten der Milaneser Produzenten erfasst wird: Daraus ist zu entnehmen, dass diese Professionisten unzählige Festungsanlagen von der Adria bis nach Oberungarn "im Blick hatten" bzw. "ins Bild setzten". Das Kapitel 3 gibt Aufschluß, wie der Raum Ungarn und Wien (Bedrohtheitsraum, Befestigungszone) in der damaligen Kartografie erfasst wurde, um zu erkennen, welchen Platz die Angielini'schen Karten einnehmen. Sieht man von einem allgemeinen Evidenzbedürfnis ab, das im Spätmittelalter um sich griff, war es insbesondere die Frontlage (aus dem Blickwinkel des Deutschen Reiches), die ab Anfang des 16. Jahrhunderts erhöhtes Interesse erzeugte. Auch Kapitel 4 erweist sich noch als Wegbereitung zu den Hauptkapiteln: Darin wird die Entwicklung des Festungsbaus im 16. Jahrhundert in Grundzügen nachgezeichnet, um die Brücke zwischen den zeitgenössischen Bauplänen und den kartografischen Abbildungen zu schlagen. Der erste Hauptteil (Kapitel 5) betrifft die konkrete Festungsbaugeschichte zu Wien nach 1529, nachdem das osmanische Heer versucht hatte, die Residenzstadt des Kaisers zu erobern. Sehr ausführlich werden hier Planungen, Verbauungen und deren archäologische Befunde zueinander geführt und somit die Vergangenheit in ihren divesern Zeitschichten seziert. In Kapitel 6 hingegen wird die Plan-Geschichte kontextualisiert, um die Frage zu beantworten, in welchem Maße und durch welche Techniken die Realität sich in den Angielini'schen Bildquellen widerspiegelt. Das Ergebnis ist erstaunlich: Archäologische Befunde, historisches Wissen und kartografische Illustrationen nähern einander stark an und liefern gemeinsam ein geschärftes Bild. Reichhaltig erweist sich auch der umfangreiche Anhang, der nicht nur diverse klassische Angaben enthält (Quellen- und Literatur, Abbildungsverzeichnis u.ä.), sondern auch weiterführende Informationen zur Quellenkunde über das Thema.
Das breite Fundament der verwendeten Literatur sowie der schriftlichen und visuellen Quellen belegt, wie gut das vorliegende Œuvre in den Forschungsstand eingebettet ist. Ein Seitenblick auf den zeitgenössischen "europäischen" Horizont hätte allerdings nicht geschadet, um die auf Mitteleuropa bezogenen Praktiken der Stadt- bzw. Ortskartografie in einen breiteren Kontext zu stellen. Der Aufbau ist sehr logisch und der Text ist anschaulich gestaltet, sodass er leicht fasslich und der Leserschaft zugänglich ist. Diese Wirkung verstärken die zahlreichen Abbildungen - zu den Karten selbst ebenso wie zu diversen Schauplätzen in ihrem aktuellen Baubestand.
Worin liegt der Nutzen derartiger, aufwendig erstellter und ausgestatteter Studien? Zum einen leisten sie für die Kulturwissenschaften (Visuelle Kultur) einen Beitrag, indem sie zeigen, wie in einer voraufgeklärten Zeit Realität verbildlicht wurde. Zum zweiten dienen sie der Ortsgeschichte, die im Fall von Wien nicht irgendeine Ortsgeschichte darstellt, sondern die Geschichte eines Ortes, an dem über Jahrhunderte großraumprägende Fäden zusammengelaufen sind. Diese Einsicht erhält eine Erweiterung, wenn am vorliegenden Beispiel sichtbar wird, dass trotz der örtlichen Gebundenheit des Schauplatzes die Quellen über "halb Europa" verstreut sind und erst mittels gemeinsamer Berücksichtigung bündige Ergebnisse zeitigen. So wird einmal mehr vor Augen geführt, dass neben den aus dem Deutschen Reich kommenden Fachleuten vor allem (und wohl am längsten) Spezialisten aus Italien maßgeblich am kulturellen Profil weiter Teile der Alpenländer beteiligt waren. Letztlich zeigt sich an dem gewählten Thema jedoch auch, dass Ungarn als unmittelbares Nachbarland an der südöstlichen Reichsgrenze kein Niemandsland war, sondern funktional zum größeren Ganzen dazugehörte. Somit spiegelt diese Publikation auch ein gutes Stück Geschichte der Habsburgermonarchie wider.
Harald Heppner