Stefan Alkier / Hartmut Leppin (Hgg.): Juden - Heiden - Christen? Religiöse Inklusion und Exklusion in Kleinasien bis Decius (= Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament; 400), Tübingen: Mohr Siebeck 2018, 453 S., 11 s/w-Abb., ISBN 978-3-16-153706-6, EUR 149,00
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Der Band geht auf eine Frankfurter Tagung gleichen Titels zurück, die im Juni 2014 Altertumswissenschaftler, Neutestamentler und Kirchenhistoriker vereinigte. Movens war das Unbehagen an den drei Termini, die als normative Identitätskonstruktionen, zum Teil mit stark pejorativer Konnotation, der lokal bedingten Diversität der multireligiösen Gesellschaft, den unterschiedlichen Formen der Abgrenzung, aber auch der Entwicklung gemeinsamer Vorstellungen nicht gerecht werde.
"In dieser Forschungslage stellt sich die Aufgabe, die einfache Opposition zwischen Römischem Reich und Christentum durch komplizitätssteigernde Hypothesen zu ersetzen, die nicht nach fixen Identitäten, sondern nach regionalen und überregionalen Inklusionen und Exklusionen politischer und religiöser Partizipation fragen" (6). Der Epilog versucht ein Fazit und schlägt vor, vorläufig "Christentum" als umbrella term zu benutzen und jeweils anzugeben, für welches chronotopologische Feld er gebraucht wird. In vergleichbarer Weise sollten als Regenschirmbegriffe für verschiedene jüdische Gruppen "Israeliten" und für "Heiden" "Polis- und Landkulte" oder einfach "Mehrheitsbevölkerung" benutzt werden (442). In den so bezeichneten Rahmen sind 15 Aufsätze gespannt. Drei bearbeiten Grundsatzfragen: begriffsgeschichtliche Beobachtungen zu frühchristlichen Strategien der Exklusion, die Problematisierung des Modells "parting of the ways" und eine Reflexion über Orthopraxie und Orthodoxie aus Anlass zweier Opferbeschreibungen.
Es folgen 12 Fallstudien unterschiedlicher Qualität. Die ersten widmen sich Inschriften aus dem ländlichen Raum, vornehmlich aus Phrygien, einer Landschaft, für die seit Jahrzehnten bekannt ist, dass es oft nicht möglich ist, archäologische oder epigraphische Zeugnisse einer der drei Gruppen zuzuordnen. Dem Alten Testament entlehnte Fluchformeln konnten Juden wie Nichtjuden zum Schutz eines Grabes benutzen. Auch wer sich durch die Formel "Christen für Christen" offen als Christ zu erkennen gab, kaufte vermutlich in einer Werkstatt einen Stein mit dem üblichen figürlichen Schmuck. Man braucht hier nur Inklusion oder Exklusion einzufügen.
Christian Marek behandelt die aktuelle Kontroverse um die über 300 Weihinschriften für den theos hypsistos. Nach Marek, der auch neues Material beibringt, vermittelt die Quellenlage kein klares Bild. ob man es bei den zu verschiedenen Zeiten an verschiedenen Orten bezeugten Weihenden mit einer kohärenten Gemeinschaft, oder mit vielen nicht zusammenhängenden lokalen Gruppen zu tun hat. Die entscheidende Frage sei, ob sich überhaupt und in welchem Umkreis ein distinkter Ausdruck in den Weihinschriften feststellen lasse, der auf den Gott einer bestimmten Religionsgemeinschaft verweise. Es sei eben die Frage, ob eine Weihinschrift überhaupt stets die gesamte Theologie enthalten müsse. Es folgen zwei Aufsätze zu Ephesos, die die religiöse Landschaft ziemlich konventionell und eher in Divergenz von der leitenden Fragestellung behandeln, sogar die verpönten Juden- resp. Heidenchristen treten hier auf.
Sehr lehrreich fand die Rezensentin die Überlegungen von Martina Böhm zur Samaritanischen Diaspora sowie die Studien zu den christlichen Quellen. Das sind: der Blick eines fiktiven Heptapoliten auf die Sendschreiben der Johannesapokalypse, die apokryphen Apostelakten, Hartmut Leppins "Christlicher Intellektualismus und Exklusion", schließlich Stefan Alkiers Parforce-Ritt durch die Apostelgeschichte. Diese konstruiere eine kollektive Identität der im Namen Jesu Christi auf dem "Weg" Befindlichen nicht durch eine kollektive Terminologie, sondern durch die "Jesus-Chistus-Geschichte", die gelehrt und auf der Basis der Heiligen Schriften Israels interpretiert werde.
Carsten Claußen eruiert umständlich die jüdischen Identitätsmarker und zeigt anhand dreier auf Sardes bezüglicher Texte, die Josephus zitiert, das jahrelange zähe Ringen um Sonderrechte, die den Juden ein Leben nach den väterlichen Gesetzen ermöglichten. Die Erörterung ist nicht frei von sprachlichen und sachlichen Schnitzern. In der zweiten Hälfte des 3. Jahrhunderts hatte sich das Bild, nach Claußen, vollständig geändert. Die Inschriften der imposanten Synagoge zeigten, "dass die jüdische Gemeinde in der Stadtgesellschaft angekommen war" (294). Claußen verschweigt, dass eine einzige Inschrift diese Interpretation tragen muss. Die zahlreichen anderen Inschriften, die sardische Bürger und Ratsherren als Stifter bezeugen, liegen über Hunderten von Münzen aus dem mittleren und späten 4. Jahrhundert. Sinnvoller wäre es deshalb, diese Inschriften für die Zeit zu verwenden, in die sie gehören: Noch Jahrzehnte nach der Constitutio Antoniniana bekunden das Gentilnomen Aurelius und das Ethnikon Sardianós den Stolz auf das römische wie auf das städtische Bürgerrecht. Die Stellung des Ratsherrn war nicht nur Bürde, sondern immer noch Würde. Damit fällt die Synagoge aus dem zeitlichen Rahmen dieses Buches. Es wäre redlich, dies einzugestehen und sich von der teilweise unglücklich verlaufenen Entdeckungsgeschichte der Synagoge zu trennen (ZNW 81,1990,103ff. IJudOr II, Nr. 60ff. mit dem ausgezeichneten Kommentar von Ameling).
Den Abschluss der Aufsatzserie und fast eine Zusammenschau bietet die Studie von Walter Ameling zu Smyrna, einer Stadt, in der alle drei Gruppen Zeugnisse hinterlassen haben. Ameling stellt an alle dieselben Fragen: Was sagen sie über sich selbst, nehmen sie die anderen wahr und wie sind die Aussagen in Relation zu einander zu bringen? Offiziösen Inschriften der Polisreligion, Reden des Aelius Aristides und christlichen Märtyrerakten, die nicht ohne weiteres miteinander kompatibel sind, gewinnt er durch minutiöse Interpretation, ganz ohne prätentiöses Vokabular, wichtige Einsichten ab.
Das Buch ist, wenn man sich einmal an die vielen Fremdwörter gewöhnt hat, in verständlicher Sprache geschrieben, sorgfältig ediert und enthält kaum Druckfehler. Vielleicht hätte man für die griechischen Zitate eine einheitlichere Präsentation wählen können. Auch eine Vereinbarung, wieviel Vorwissen man bei den Benutzern vorauszusetzen hat, wäre sinnvoll gewesen. Jedem Beitrag ist eine Literaturliste angefügt; wünschenswert bei einem interdisziplinären Unternehmen wäre eine kurze Notiz, welcher Profession der jeweilige Beiträger obliegt. Manche kennt nicht einmal Google. Es gibt knappe Personen- und Sachregister, vermisst wird ein Stellen- und Inschriften-Index. Im Sachregister findet sich das Wort "Inschriften", dem knapp 90 Seiten zugeordnet sind. Ob das ein Scherz sein soll?
Die Herausgeber halten ihr Unternehmen für gelungen, was man vielleicht nicht auf jeden einzelnen Beitrag beziehen muss, aber doch grundsätzlich für angemessen halten darf. Vor 40 Jahren hat die Rezensentin ein solches interdisziplinäres Forum nicht einmal vermisst. Es war einfach nicht vorstellbar. Insofern sieht man hier doch einmal einen Fortschritt der Wissenschaft und hört gern die Versicherung der Herausgeber, dass sie an den angesprochenen Fragen gemeinsam weiterarbeiten wollen.
Helga Botermann