Tabea Strohschneider: Natur und höfische Ordnung in Sir Philip Sidneys "Old Arcadia", Berlin / Boston: De Gruyter Oldenbourg 2017, VIII + 243 S., ISBN 978-3-11-055936-1, EUR 79,95
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Die im Rahmen der DFG-Forschergruppe 1986 "Natur in politischen Ordnungsentwürfen: Antike - Mittelalter - Frühe Neuzeit" an der Universität München entstandene Dissertation von Tabea Strohschneider widmet sich einem zentralen Werk der Elisabethanischen Dichtung, Philip Sidneys "Old Arcadia", das von der Forschung im Vergleich zu Sidneys anderen Werken geradezu vernachlässigt erscheint. Strohschneider geht davon aus, dass Sidney hier eine politische, um genau zu sein eine höfische Ordnung entwerfe, die "'Natur' in ihren verschiedenen Konzeptionen in paradigmatischer Weise als Begründungsinstanz" (3) aufgreife. Dabei steht weniger Sidneys Naturbegriff im Zentrum, als die Frage, auf welche verschiedenen Naturkonzepte er in welchem spezifischen Kontext für die Darstellung der politischen Ordnung Arkadiens zurückgreift.
Entsprechend gliedert sich die Arbeit in vier Hauptteile, die sich unterschiedlichen Manifestationen von Natur in Arkadien widmen. Am Anfang steht der arkadische Wald (Kap. 2) als Handlungsraum, wobei es wesentlich um das Eindringen der höfischen Ordnung in den ursprünglichen Lebensraum Wald geht. Dabei wird deutlich, dass er mehr ist "als bloße Kulisse", sondern vielmehr "die politische Ordnung Arkadiens und die Menschen, die in ihr leben" beeinflusst (20). Das folgende 3. Kapitel widmet sich den verschiedenen Ordnungsinstanzen, die Sidneys Arkadien prägen und gestalten: Natur steht dabei in einer Reihe neben Providenz und Fortuna. Dabei argumentiert Strohschneider, dass Sidney keine Hierarchisierung dieser Instanzen vornimmt, sondern sie vielmehr gleichberechtigt auftreten und oft miteinander verzahnt wirken (71). Natur erscheint dabei sowohl in Form von "Naturgesetzen", als auch als "Gesamtkraft", sprich als "lenkende Macht" (120). In Kapitel 4 rückt schließlich die menschliche Natur in den Fokus. Das heißt, der menschliche Körper als Sinnbild politischer Ordnung, wie er sich unter anderem im Konzept der zwei Körper des Königs manifestiert, wird aufgegriffen, ebenso wie Vorstellungen zu Geschlecht und Affekten. Deutlich wird dabei, dass "Body matters" (149). Gerade in politischen Krisensituationen nimmt der Körper eine zentrale, den Verlauf der Ereignisse mitbestimmende Rolle ein. Schließlich wendet sich Strohschneider dem Themenfeld Natur und Recht zu (Kap. 5), wobei sie sowohl auf Fragen des Naturrechts im Verhältnis zur Widerstandslehre als auch zum positivem Recht eingeht. In einem abschließenden Kapitel gibt Strohschneider einen Ausblick auf die spätere, in der Regel bekanntere Fassung des Werks, "New Arcadia", und untersucht die Veränderungen mit Blick auf die Funktion und Bedeutung von Natur. Sie kommt zu dem Schluss, dass "die Komplexität der Naturkonzepte ebenso wie die Funktionen der Natur für das Erzählen von politischer Ordnung [...] entscheidend zurückgenommen" (219) wurden im Vergleich zur Ursprungsfassung. Eine Erklärung dieser Neuausrichtung des Werks bleibt die Autorin leider schuldig. Ebenso würde sich die Leserin ein abschließendes Fazit wünschen, dass einen Bogen zwischen den verschiedenen Naturkonzepten und ihren Funktionen für die politische Ordnung Arkadiens schlägt.
Rezensiert eine Historikerin eine literaturwissenschaftliche Arbeit, kann dies in gewisser Weise bereichernd wirken, weil sie eine Außenperspektive liefern kann. Es ist gleichzeitig aber auch immer etwas problematisch, da die Geschichtswissenschaften zumeist andere Fragen stellen als die Literaturwissenschaften - auch an literarische Texte, deren Quellenwert inzwischen auch Historiker und Historikerinnen erkannt haben. Vor diesem Hintergrund sind die folgenden Anmerkungen zu lesen. Strohschneider erklärt zu Beginn explizit, sie wolle Sidneys Biographie sowie sein politisches und intellektuelles Umfeld zwar berücksichtigen, gleichzeitig aber den Fokus auf "Old Arcadias" "Funktionieren als literarisches Werk" (17) legen. Ein solcher Ansatz ist durchaus legitim. Dennoch erscheint es mitunter etwas unausgewogen, was als politisches und intellektuelles Umfeld berücksichtigt wird und was nicht. Besonders ausführliche Beachtung finden philosophische Diskussionen sowie die Rechtsdebatten um die Widerstandslehre, die sie in einen größeren europäischen Kontext einordnet. Hier finden sich Verweise auf das politische Geschehen, insbesondere auf die Diskussion um eine mögliche Anklage Maria Stuarts. Allerdings sind diese häufig in Fußnoten versteckt; eine prominentere Einbindung in die Argumentation erschiene durchaus gewinnbringend. Andere Aspekte, wie das cross-dressing als gesellschaftliches Phänomen in Zeiten weiblicher Herrschaft, werden deutlich weniger kontextualisiert. Dies gilt generell für die Bedeutung von Elisabeths Herrschaft für die Genese von "Old Arcadia". Zwar liegt hierzu, wie die Autorin richtig betont, bereits die Studie von Blair Worden vor [1], dennoch erscheint es der Historikerin eine vertane Chance, die von Strohschneider herausgearbeitete komplexe Verwendung von Naturkonzepten in ihrer zentralen Bedeutung für politische Ordnung nicht stärker politisch und gesellschaftlich einzuordnen.
Trotz dieser Kritik eröffnet Strohschneider interessante Perspektiven nicht nur auf Sidneys "Old Arcadia", sondern auf elisabethanische Ordnungsvorstellungen.
Anmerkung:
[1] Blair Worden: The Sound of Virtue: Philip Sidney's Arcadia and Elizabethan Politics, London u. a. 1996.
Lena Oetzel