Rezension über:

Norbert Miller: Marblemania. Kavaliersreisen und der römische Antikenhandel, Berlin: Deutscher Kunstverlag 2018, 184 S., 144 Farb-, 18 s/w-Abb., ISBN 978-3-422-07443-9, EUR 34,90
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Rezension von:
Hans Christian Hönes
Leo-Baeck-Institut, London
Redaktionelle Betreuung:
Hubertus Kohle
Empfohlene Zitierweise:
Hans Christian Hönes: Rezension von: Norbert Miller: Marblemania. Kavaliersreisen und der römische Antikenhandel, Berlin: Deutscher Kunstverlag 2018, in: sehepunkte 18 (2018), Nr. 9 [15.09.2018], URL: https://www.sehepunkte.de
/2018/09/31771.html


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Norbert Miller: Marblemania

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Es bedarf einer gewissen Chuzpe, um einem Buch über den neoklassischen Antikenhandel denselben Titel zu geben wie eine Ausstellung (mit Katalog) zu einem ziemlich ähnlichen Thema, welche im Jahr 2001 in London zu sehen war. [1] Dies kann sich wohl nur ein Gelehrter vom Rang Norbert Millers erlauben, der ohne Zweifel zu den wichtigsten Kennern der Epoche gehört. Millers Monografien zu Giambattista Piranesi, Horace Walpole und William Beckford haben besonders für den deutschsprachigen Raum Pionierarbeit geleistet und diese Exponenten eines dunklen Klassizismus erstmals erschlossen.

In diesem Sinne ist auch vorliegende Publikation sehr zu begrüßen, denn obwohl die Literatur zu Grand Tour, Antikenhandel, und Neoklassizismus ganze Bibliotheken füllt, mangelt es doch durchaus an einem griffigen Überblick, der die genannten Themenstränge produktiv zusammenführt. Miller präsentiert dem Leser in diesem Sinne ein faszinierendes Panorama; der Autor geht in fünf Kapiteln vor, die sich jeweils einer anderen Gruppe Romreisender widmen.

Eingeleitet ist das Buch mit einem Vorspann zu dem gekaperten britischen Handelsschiff Westmorland, dessen Ladung (2002 in einem spanischen Museumsdepot spektakulär wiederentdeckt) einen einmaligen Einblick in die Sammlungspraktiken mehrerer "zweitrangiger" Grand Touristen wie Francis Basset oder John Henderson gibt. Die folgenden Kapitel widmen sich dagegen einschlägigeren Namen: Kapitel 1 gibt einen kurzen Abriss der Geschichte der Kavaliersreise, wobei der Fokus vor allem auf William Kent und den Aktivitäten der Society of Dilettanti liegt. Kapitel 2 widmet sich der künstlerischen und archäologischen Aneignung der römischen Ruinen, mit Giovanni Battista Piranesi, Johann Joachim Winckelmann und Anton Raphael Mengs als Art Triumvirat der Antikenrezeption. Kapitel 3 erläutert die Umstände von archäologischen Grabungen und deren kommerzieller Verwertung am Beispiel der Hadriansvilla. Kapitel 4 widmet sich vornehmlich dem eklektischen Sammlungsinteresse britischer Adeliger. Das Buch schließt mit einem Kapitel zu der Romreise Gustavs III., König von Schweden.

Bereits dieser kurze Inhaltsüberblick dürfte klar machen, dass Miller seine Themenstränge durchaus eklektisch wählt, wobei die dezidiert internationale Perspektive zu begrüßen ist. Mit fortschreitender Lektüre wächst jedoch der Eindruck, dass die Kapitel sehr wohl von einer inhaltlichen Klammer zusammengehalten werden - doch diese ist nicht so sehr die Stadt Rom, Antikenrezeption, oder gar die Kavaliersreise, sondern ein Künstlerindividuum. Der heimliche Held von "Marblemania" ist Piranesi, und es wäre nicht abwegig gewesen, dem Buch den Titel "Piranesi und seine Freunde", oder "Piranesis Rom" (59) zu geben. Unwillentlich offenbart besonders der Index diese inhaltliche Fixierung auf den aus Venedig stammenden Architekten und Stecher: "Piranesi, Giovanni Battista passim".

Dies führt durchaus zu einem gewissen Schwanken hinsichtlich des eigentlichen Fokus des Buches: bekanntlich hatte Piranesi erklärtermaßen wenig Sympathie für und Interesse an den "milordi", die scharenweise nach Rom pilgerten (92). Das Interesse an Piranesi sticht dabei den Fokus auf die Kavaliersreise häufig aus. Deutlich wird dies etwa im Fall eines langen Exkurses zu Robert Adams Entwürfen für diverse englische Landsitze. Der Zusammenhang mit dem Thema des Buches ist wohl nicht unbedingt zwingend, da Adams Bauten zwar zweifelsohne aus einem römischen Zitatfundus schöpfen, es hier aber mehr um englische Kunstgeschichte denn um römische Reisen geht. Es wäre auch zu fragen, ob die Reise eines Künstlers wie Adam wirklich in einem Atemzug mit adeligen Kavaliersreisen genannt werden kann - gerade angesichts dessen, dass sich der schottische Architekt bereits auf halbem Wege nach Italien sehr frustriert von der Vergnügungssucht seiner noblen Mitreisenden zeigte, die wenig Aufwand in ein ernsthaftes Kunststudium investierten. Warum Adams Werk für Miller dennoch entscheidend ist, lässt sich einfach beantworten: an kaum einem anderen Künstler lässt sich Piranesis europäische Wirkung so klar herausstellen (110, 115).

Bei einem solchen Ansatz, der einen kulturellen Kosmos in Abhängigkeit von einer heimlichen Heldenfigur beschreibt, werden andere Protagonisten notwendig etwas marginalisiert. Besonders deutlich wird dies etwa in der Diskussion von William Hamilton, einem der Schwergewichte und Knotenpunkte der internationalen Netzwerke von Antikenliebhabern. Sein Wirken ist jedoch praktisch nur insoweit beschrieben, als es hilft Piranesis Rolle im Kunstsystem zu beleuchten.

Miller präsentiert seine adeligen Kunstliebhaber insgesamt als extrem "disinterested". Der Autor hat klare Sympathien für Amtsträger wie Goethe oder Gustav III. von Schweden, für die die Romreise eine Befreiung von drückenden Pflichten war. Gerade in den Ausführungen zu Charles Townley betont Miller den "heiteren Wirrwarr" der seine Sammlung prägte, sowie Townleys "Hang zum Geheimnisvollen"; hier wird Antikensammeln nicht als intellektuelle Übung, oder gar als Instrument zur sozialen Prestigesteigerung gesehen, sondern ganz zum geistreichen Zeitvertreib erklärt. Auch wenn dieser "spielerische" Aspekt der Antikenrezeption zentral ist, so fragt man sich doch ob die kulturpolitischen Ambitionen, die sich damit verbanden, nicht eine etwa stärkere Würdigung verdient hätten. [2]

"Marblemania" ist in vieler Hinsicht das Werk eines Connoisseurs, der seinen sehr persönlichen Zugriff auf das Thema entwickelt. Dies führt oft zu deutlichen Wertungen, gerade wenn es um jene Archäologen und Sammler geht, die Piranesis imaginativem Zugriff auf die Antike kritisch gegenüberstanden und sich so der "Anmaßung ... und altkluge[n] Pedanterie" schuldig machten (103). Eine solche Perspektive hat jedoch auch zur Folge, dass der aktuelle Forschungsstand nicht immer berücksichtigt wurde. Einige einschlägige Standardwerke, von Autoren wie Caroline van Eck, Pascal Griener, Ruth Guilding (Kuratorin der Ausstellung "Marble Mania") und - die vielleicht eklatanteste Lücke - Viccy Coltman, sucht man vergeblich in der Bibliografie. [3] Autoren wie der wiederholt zitierte Carl Justi scheinen in mancher, auch literarischer Hinsicht, wichtiger für Miller.

Dem Lesevergnügen muss das nicht notwendigerweise abträglich sein. Der Duktus ist durchgehend impressionistisch, und Miller reiht zahlreiche höchst lesenswerte Miniaturen und Exkurse (etwa zu Goethe, 108-110, oder zur Oper, 46-50) aneinander, die vor allem auf eines abzuzielen scheinen: dem Lebensgefühl der Romreisenden poetisch nachzuspüren. Dies wird auch unterstrichen durch die teils seitenlangen Zitate (z.B. 80-81), die den "sound" der Epoche aufleben lassen. Hier spürt man die tiefe Vertrautheit des Verfassers mit seinem Gegentand; die essayistischen Ausführungen sind gesättigt mit einem enormen Wissensschatz, der spielend mit diversen Themen jongliert.

Das Buch ist sehr ansprechend gestaltet und durchgängig qualitativ hochwertig illustriert. Es bietet damit einen idealen genuss- und kenntnisreichen Einstieg in die Thematik, dem auch dank des erschwinglichen Preises hoffentlich eine breite Leserschaft, auch und gerade jenseits der Fachwissenschaft, zugedeihen wird.


Anmerkungen:

[1] Ruth Guilding: Marble Mania. Sculpture Galleries in England, 1640-1840, London 2001.

[2] Dazu etwa Holger Hoock: Empires of the Imagination, London 2010.

[3] Caroline van Eck: Art, Agency, and Living Presence, Berlin / Boston 2015; Pascal Griener: La République de l'œil. L'Expérience de l'art au siècle des Lumières, Paris 2010; Ruth Guilding: Owning the Past. Why the English Collected Ancient Sculpture, 1640-1840, New Haven / London 2014; Viccy Coltman: Fabricating the Antique. Neoclassicism in Britain, 1760-1800, Chicago 2005.

Hans Christian Hönes