Rezension über:

Marcus Böick: Die Treuhand. Idee - Praxis - Erfahrung. 1990-1994, Göttingen: Wallstein 2018, 767 S., ISBN 978-3-8353-3283-6, EUR 79,00
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Rezension von:
Andreas Malycha
Institut für Zeitgeschichte München - Berlin
Redaktionelle Betreuung:
Dierk Hoffmann / Hermann Wentker im Auftrag der Redaktion der Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte
Empfohlene Zitierweise:
Andreas Malycha: Rezension von: Marcus Böick: Die Treuhand. Idee - Praxis - Erfahrung. 1990-1994, Göttingen: Wallstein 2018, in: sehepunkte 18 (2018), Nr. 10 [15.10.2018], URL: https://www.sehepunkte.de
/2018/10/31872.html


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Marcus Böick: Die Treuhand

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Zur Geschichte der noch in der Regierungszeit Hans Modrows im März 1990 gegründeten Treuhandanstalt liegen inzwischen zwar zahlreiche Bücher vor, allerdings vornehmlich aus der Feder von Journalisten und Publizisten. Dabei überwiegen Publikationen, die ausschließlich negative Begleitumstände der Privatisierung und ein angebliches Versagen der Treuhandanstalt thematisieren. Auf der anderen Seite betonen ehemalige Entscheidungsträger der Behörde bis heute die Alternativlosigkeit ihres damaligen Wirkens. Wissenschaftlich fundierte Untersuchungen, die sich auf Primärquellen stützen, sind aufgrund des schwierigen Quellenzugangs fast nicht vorhanden.

Was leistet vor diesem Hintergrund die Untersuchung von Marcus Böick? Zunächst widmet sie sich den Erwartungshaltungen und konzeptionellen Vorstellungen, die sich mit der Gründung der Treuhandanstalt verknüpften. Daran anschließend werden die im Sommer 1990 geschaffenen politischen und juristischen Rahmenbedingungen sowie der personelle und strukturelle Aufbau der Behörden beschrieben. In dem sozial- und erfahrungsgeschichtlich ausgerichteten Teil der Studie untersucht Böick das Innenleben einer Institution, die die Privatisierung der staatlich gelenkten Kombinate und Betriebe der DDR praktisch zu organisieren hatte. Im Zentrum stehen die Behördenpraxis sowie die Erfahrungen von Treuhandmitarbeitern in ihrem täglichen Arbeitsalltag. Auf der Grundlage individueller Erzählungen der beteiligten Manager, Beamten und Mitarbeiter aus Ost und West wird deutlich, dass sowohl das hohe Lernpotential bzw. die Lernfähigkeit der damaligen Akteure als auch der enorme Erwartungsdruck für die Herausbildung einer dynamischen, aber auch heterogenen Organisationskultur ausschlaggebend waren.

Da ihm der Zugang zu relevanten Primärquellen aus den Beständen der Treuhandanstalt selbst sowie den zuständigen Bundesbehörden (Bundesfinanzministerium, Bundeswirtschaftsministerium, Bundeskanzleramt) im Bundesarchiv nicht möglich war, suchte Böick nach einer alternativen Quellenbasis. Er stützt seine detaillierte Analyse u.a. auf Interviewreihen, die in den 1990er Jahren durchgeführt wurden, sowie auf von ihm selbst durchgeführte Interviews mit Treuhandmitarbeitern unterschiedlicher Hierarchieebenen. In Kombination mit bereits veröffentlichen Dokumenten gelingt es ihm, subjektive Perspektiven damaliger Akteure mit den medialen Außensichten auf die Treuhandanstalt ins Verhältnis zu setzen. Schlaglichtartig beleuchtet der Autor damit den sozialen und kulturellen Alltag des Wirtschaftsumbaus in der Übergangs- und Umbruchgesellschaft der 1990er Jahre.

Aufschlussreich sind allerdings weniger die ausführlich geschilderten, weitgehend bekannten wirtschaftspolitischen Reformdebatten in Ost- und Westdeutschland ab November 1989, bei denen die in der DDR 1989/90 diskutierten Reformkonzepte (zu denen im Bundesarchiv zugängliche Unterlagen vorliegen) unberücksichtigt bleiben. Weitaus informativer ist der Blick auf die konfliktträchtigen Organisationspraktiken in der Aufbau- und Konsolidierungsphase der Behörde. So entsteht auf der Grundlage einer subjektiven Rückschau ein facettenreiches Bild der internen Konflikte und Aushandlungsprozesse, die sich eben nicht nur zwischen West- und Ostdeutschen vor dem Hintergrund unterschiedlicher sozialer, kultureller und politischer Erfahrungen abspielten, sondern auch generationell und geschlechterspezifisch geprägt waren. Bemerkenswert ist ferner der Befund, dass die in der Aufbauphase mit viel Enthusiasmus angetretenen "Männer der ersten Stunde" seit Anfang 1993 "einem bürokratisch-routiniert auftretenden Verwaltungs- und Kontrollpersonal weichen" (728) mussten, was intern zu beträchtlichen Spannungen, Enttäuschungen und Demotivation geführt habe. Das eröffnet einen ungewohnten Einblick in die wechselvolle Alltagspraxis einer Behörde, die von außen lediglich als monolithischer Block wahrgenommen wurde.

Allerdings bietet die individuelle Rückschau auf die Personalrekrutierung der Treuhandspitze Zeitzeugen auch breiten Raum, alte Legenden zu kultivieren. Mitunter stehen konträre Deutungen und Zuschreibungen nebeneinander, die letztlich nur auf der Grundlage von Primärquellen zu verifizieren sind. So bleibt auch weitgehend unreflektiert, wie die Treuhandspitze intern mit den damals öffentlich diskutierten Interessenkonflikten bzw. "Insidergeschäften" von Verwaltungsrats- und Vorstandsmitgliedern sowie mit Korruptionsvorwürfen umging, für die die sogenannte Stabsstelle für besondere Aufgaben zuständig war. Böick stützt sich in seinen knappen Kommentaren zu diesem heiklen Aspekt der Personalpolitik lediglich auf die Pressemitteilungen der Behörde. Gerade in diesen sensiblen Bereichen wäre Aufklärungsbedarf nötig, da noch immer der Vorwurf im Raum steht, Präsidentin Birgit Breuel sei in einer Art Wagenburgmentalität damals weitgehend untätig geblieben.

Der Verfasser hat mit seinem umfangreichen Werk einen wertvollen Beitrag zur wissenschaftlichen Diskussion über ein bis in die Gegenwart hinein politisch kontrovers bewertetes Thema geleistet. Mit dem Blick auf die Alltagspraxis einer von Erwartungen überfrachteten Behörde zeigt er neue Wege zur Erforschung der historischen Umbruchphase zwischen Diktatur und Demokratie auf, die eben jenseits polarisierter Zuschreibungen beschritten werden können. Die zeithistorische Forschung steht allerdings noch immer vor der Aufgabe, eine empirisch fundierte Analyse von Struktur, Arbeitsweise und Aktionsradius der Treuhandanstalt zu erarbeiten, die insbesondere auch deren Rolle im politischen Kräftefeld verortet. Dabei wird insbesondere nach dem Zusammenspiel zwischen Treuhandzentrale und Bundesfinanzministerium bzw. Bundeswirtschaftsministerium zu fragen sein. Anhand von Fallstudien gilt es zu untersuchen, inwiefern politischer wie auch öffentlicher Druck die Handlungsspielräume der Entscheidungsträger in den ihnen zugeordneten Industriebranchen tatsächlich einengte und welche Rolle dabei betriebswirtschaftliche, industriepolitische und wirtschaftspolitische Erwägungen spielten.

Andreas Malycha