Veronika Heyde: Frankreich im KSZE-Prozess. Diplomatie im Namen der europäischen Sicherheit 1969-1983 (= Quellen und Darstellungen zur Zeitgeschichte; Bd. 113), Berlin / Boston: De Gruyter Oldenbourg 2017, VIII + 473 S., ISBN 978-3-11-051470-4, EUR 59,95
Inhaltsverzeichnis dieses Buches
Buch im KVK suchen
Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.
Maurizio Cau (a cura di): L'Europa di De Gasperi e Adenauer. La sfida della riconstruzione (1945 - 1951), Bologna: il Mulino 2012
Michael Gehler / Wilfried Loth (Hgg.): Reshaping Europe. Towards a Political, Economic and Monetary Union, 1984-1989, Baden-Baden: NOMOS 2020
Michael Sutton: France and the Construction of Europe, 1944-2007. The Geopolitical Imperative, New York / Oxford: Berghahn Books 2011
Die Studie ist Bestandteil eines größeren Forschungsprojektes, das sich unter dem Titel "Der KSZE-Prozess. Multilaterale Konferenzdiplomatie und die Folgen" aus verschiedenen Perspektiven mit der Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa beschäftigt. Schon seit den 1950er-Jahren hatten die Sowjetunion und auch Polen auf eine europäische Sicherheitskonferenz gedrängt, nicht zuletzt um den 1945 gewonnenen politischen und territorialen Status quo in Europa abzusichern. Auf westlicher Seite waren diese Vorstöße eben deshalb zurückhaltend aufgenommen worden. Erst in der Entspannungsphase des Ost-West-Konfliktes in den 1960er-Jahren akzeptierte man im Westen Verhandlungen über gesamteuropäische Fragen.
Die Autorin verfolgt die französische Politik in diesem Kontext zwischen 1969 und 1983, das heißt in den Präsidentschaften von Georges Pompidou, Valery Giscard-d'Estaing und François Mitterrand. Dabei betont Heyde die hohe Kontinuität der französischen Politik im Rahmen der KSZE. Dies ist überraschend, weil der gaullistische Pompidou, der eher liberale Giscard d'Estaing und der Sozialist Mitterrand als Oppositionspolitiker die Außenpolitik ihrer jeweiligen Vorgänger zum Teil sehr hart kritisiert hatten. Als Präsidenten jedoch vertraten sie im Kern ähnliche Positionen. Dabei macht die Studie deutlich, wie hoch die Autonomie der Präsidenten in Bezug auf die Außenpolitik war. Das Außenministerium spielte im institutionellen Gefüge der Fünften Republik nur die Rolle eines ausführenden Organs, für die konzeptionellen Fragen waren alleine der Präsident und seine engere Entourage zuständig.
Im Kern drehten sich die Probleme Frankreichs in der KSZE um drei große Themen: Das erste war die Rolle Frankreichs im Ost-West-Konflikt. Angesichts der starken Dominanz der beiden Supermächte ging es aus französischer Sicht darum, die Unabhängigkeit des Landes und seinen Einfluss in Europa und der Welt zu stärken. Die KSZE bot hierfür eine Möglichkeit, weil die direkten Verhandlungen Frankreichs mit der Sowjetunion und den osteuropäischen Staaten die Bedeutung der USA relativierten. Darüber hinaus bestand die Möglichkeit, die Liberalisierung des Ostblocks durch gesellschaftliche Kontakte voranzubringen und auf diese Weise den ideologischen Gegensatz zwischen Ost- und Westeuropa zu überwinden. Entspannungspolitik und nationale Machtpolitik ergänzten also einander.
Das zweite wichtige Thema der französischen KSZE-Politik war einmal mehr die Deutsche Frage. Ende der 1960er betrachtete man in Paris den Aufstieg der Bundesrepublik Deutschland zur führenden Wirtschaftsmacht in Westeuropa mit Skepsis. Auch wenn Georges Pompidou die Neue Ostpolitik grundsätzlich unterstützte, sah er gleichzeitig, dass diese als Fernziel die Überwindung der deutschen Teilung hatte. Eine gesamteuropäische Struktur, die die KSZE bot, konnte in diesem Zusammenhang auch dazu dienen, das steigende deutsche Gewicht in einem weiteren institutionellen Rahmen einzubinden. Auch Giscard d'Estaing und Mitterrand dachten in diesen Kategorien. Neben der Europäischen Integration und den engen bilateralen Beziehungen zwischen Paris und Bonn konnte die KSZE eine weitere Sicherheitsklammer für Frankreich gegen eine potenzielle deutsche Hegemonie sein.
Schließlich war auch die Europäische Integration von Bedeutung. Insbesondere die Europäische Politische Zusammenarbeit erwies sich im Rahmen der KSZE als fruchtbares Instrument zur Koordinierung der Außenpolitik zwischen den Mitgliedstaaten der EG. Allerdings, und auf dieses Problem weist die Autorin auch hin, war dies der intergouvernementale Bereich der EG. Die französischen Präsidenten folgten alle drei auch hier der Tradition de Gaulles, dass die Außenpolitik Frankreichs nicht durch supranationale Kompetenzen der EG eingeschränkt werden dürften.
Die Arbeit besticht vor allem durch die breite Quellenbasis und die detaillierte Schilderung der französischen Politik im Rahmen der KSZE. Heyde ist den Verhandlungen bis in die Details gefolgt und stellt diese auch minutiös dar. Demgegenüber kommt die analytische Einordnung des Themas etwas zu kurz. Beispielsweise wird die Frage, inwieweit der Multilateralismus im Rahmen der KSZE nationale Außenpolitik bestimmte, nicht aufgeworfen. Auch die von der Autorin überzeugend dargestellte Kontinuität der Außenpolitik über die drei Präsidentschaften hinweg wird nicht analytisch thematisiert. Warum übernahm der Sozialist Mitterrand jene Politik seiner Vorgänger, die er zuvor massiv kritisiert hatte? War die Politik der französischen Präsidenten trotz ihrer hohen Autonomie im politischen System doch bestimmten Strukturen unterworfen?
Doch soll diese Kritik nicht darüber hinwegtäuschen, dass Veronika Heyde eine Arbeit vorgelegt hat, die die Kenntnisse über die KSZE und die französische Außenpolitik gerade in den Details enorm bereichert.
Guido Thiemeyer